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Ausgabe:

1990

Spalte:

610-611

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Stallmann, Edith

Titel/Untertitel:

Martin Stallmann - Pfarramt zwischen Republik und Führerstaat 1990

Rezensent:

Stiewe, Martin

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 8

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undifferenzierte Beanspruchung von Texten für Pereis, als deren studio, wirklich im Konnex mit den „verschiedenen Forschungs-
Autor bislang Bonhoeffer galt (so etwa 153fA. 174; 168-172). zweigen überdicnationalsozialistischeZeit"(223)-daraufkämeesin

Dieselbe Sorglosigkeit gegenüber historischen Fakten und nüchter- der Tat wohl an.

nergeschiehtswisscnschaftlichcr Arbeit spiegelt sich in einer Vielzahl Gießen/Münster MartinGreschat
von Ungenauigkeiten und Fehlern. Ich beschränke mich auf einige
Beispiele. Da wird das Bundcslied der Bibelkreise falsch zitiert (38)

und durchgängig der Vorname Thadden-Trieglaffs (55 usw.): Stallmann. Edith: Martin Stallmann - Pfarramt zwischen Republik

1928/29 soll die politische ..Notverordnungspraxis" dominiert haben und Führerstaat Zur Vorgeschichte des Kirchenkampfes in West-

14,,. ... .... rl i u In- ~ „„.ch-i^nH falen. Bie eleld: Luther 1989. 321 S. 8 = Schriften zur politischen

TO); Niemoller hatte 933 seine poli ische Auflassung entscheidend . . _ . • ,, , , .„. . , r-ii •......V < v ,,.

... K . . _ . und sozialen Geschichte des neuzeitlichen C nnstentums. 5. Kart,

korrigiert (59); Weißler sei „maßgeblich" an der Abtassung der Denk- QM ^ _

schrift der 2. VL beteiligt gewesen (113)-usw. Zum kirchengeschichtlichen
Grundwisscn^gehört eigentlich, daß die Homberger Kirchen- Wie hat ein junger Theologe in der Provinz - im westfälischen
Ordnung von 1526 aufgrund von Luthers betontem Einspruch gerade Sauerland - den Übergang von der Weimarer Republik zum NS-Staat
»khteingeführt wurde(130) im AlltaB seines Dienstes erlebt und verarbeitet? Was wirkte von der
Gewichtiger sind die "religiös-theologischen und die politischen deutschnationalen Gesinnung des elterlichen Pfarrhauses nach?
Defizite der Arbeit. Die Frömmigkeit und vor allem das Bibelver- Welche handlungsleitenden Einsichten und Kriterien vermittelte das
«ändnis von Pereis werden keineswegs hinreichend auf dem Hinter- Studium bei Rudolf Bultmann ,n Marburg angesichts der Heraus-
Wind der B. K. und DCSV analvsicrt: anstelle dessen begegnen forderungen der politischen Krisenjahre von 1929 bis 1933? Was
Vermutungen, gipfelnd in der Behauptung eines Eintlusses von Karl prägte die ersten Amtsjahrc in dieser Zeit? Auskunft darüber gib. eine
Barth, wo schlicht eine eindeutig neupie.istische Theologie sich aus- von Günter Brakelmann angeregte und tür den Druck überarbeitete
spricht (40. bes 96-98) Daß es von hierher bis zur schroffen Ablch- Bochumer Dissertation über den Ptarrer und spateren Professor Tür
nung von Bultmanns En.mvthologisierungsprogramm nicht weit Evangelische Theologie und Methodik des Evangelischen Religions-
*ar, hegt eigentlich auf der Hand (ander« 164). Im übrigen setzte Bon- Unterrichts Martin Stallmann (1903-1980).

hoeffer hier bekanntlich andere Akzente! Aber auch im Blick auf das Edith Stallmann, d.e mit Martin Stallmann in den letzten lunl

Verständnis von geistlichem Amt und Recht im Disscrtations- Jahren seines Lebens verheiratet war. möchte mit der „Arbcitsbiogra-

entwurf von Pereis wird lediglich referiert, der Kern des Problems phie" ihres Mannes einen Beitrag zur Vorgeschichte des Kirchen-

jedoch nicht erfaßt (12611): Daß in jenem rein geistlichen Konzept - kampfes in Westfalen geben Man tragt sich, ob dieses Vorhaben

das zudem bruchlos auf die eigene Gegenwart übertragen werden angesichts der persönlichen Nahe zu Stahmann überhaupt gelingen

sollte (13411) - die inneren Schwierigkeiten des kirchlichen Notrechts kann. Doch diese Sorge erweist sich als unbegründet Die Vtn. hat sich

alpi^i, .„ , . , ■ ,, „„„■,„„ „,mindest an die Ouellen gehalten, darunter vor allem an die Arbeitsbucher

Wachsam gebündelt zutage traten, wird nicht gesehen, zumindest an uic e ' . . . lud

"ich, entfaltet. Die Einwände von Smend bekommen, wenn man ihres Mannes von,1932 bis .934. und zeichnet ohne erkennbare Par-

fe»en Kontext sieh,. jedenfalls cm erheblich anderes, viel grundsätz- teinahme das typische Bild eines jungen Pfarren,, der auch unter den

''cheres Gewicht besonderen politischen Bedingungen seiner Zeit seinen eigenen Weg

Ebensowenig wie die religiöse und theologische Eigenart von Pereis gehen wollte. ,

' seine politische Posnion klar herausgearbeitet. Begriffe wie Martin Stallmann wurde am . Dezember 1929 zum Ptarrverweser

•aber,," od« „konservativ" besagen ,n diesem Zusammenhang doch der (Diaspora-.Kirchengcmeinde Grevenbruck in der west.ahschen

* wenig. Es leuchte, gewiß ein. d ü Pcrels aus persönlichen und reli- Synode Lüdenscheid beru.en und gleic zeitig m„ der pastoralen Ver-

e'ös-kirchlichcn Gründen gegen die Wel.anschauung des Na.ional- sorgung des benachbarten Gemeinde teils einer anderen Kirchen-

„ ™™T 77rZ u,a.Am Dritten Reiches" und gemeinde beaultragt. Er war 26 Jahre alt. als er seine erste selbständige

Sozialismus war. KCKen die Kirchenpohtik des „urittcn Kticncs u,lu ... . , , ,. , .... ,

«K« ^nehmende Zerstörung des Rechtsstaates. Aber solche Aussagen berufliche Verantwortung übernahm. Die vier Jahre. ,e er dort blieb.
si"d Vid zu allgemein als daß sie einen größeren Erkenntniswert waren eine Zeit der Au hauarbeit. Trotz der wirtschaftlichen Depres-
h<saßen. Sie bleiben chheh. hinter der ausdiflcrcnzicrtcn histo- sion konnten notwendige Bauvorhaben abgeschlossen werden Im
Aschen Widersta d orschung zurück, die längs, klargelegt hat. daß Gemeindeleben vertrat Stallmann einen volksmissionarischen
,>;„ j ««■imiiiujiuim.iiuiiki.uiu ... u.,.,,1 in Ansatz Er bemühte sich um eine Intensivierung des Gottesdienst-
2 Dissens als partieller Widerspruc durchaus nd m Ansa. E b _ Zusammenhang des Luther-
Hand gehen konnte mi, der Zustimmung zu anderen Aspekte od besuchTU«ac « ^ |fl der öftentlichkeit. Auch
^ar dem Ganzen des „Dritten Reiches". Dies so « Ues von ^ cr bewußt und tatkräftig auf. Theolo-
^neswegs unterstell, werden. Nurdarum geht es: auf ^^h^ad ^ Wilheim Vischer und Georg Merz in
£ -rl'^nden Argumentation hinzuweisen. Hier wird schheßh ^"^J^ ,cdoch wclter vor allcm seinen alten Marburger
noch prok.am,ert. was weder behandelt noch en. alte, und noch Bc. *i*** ^ ^ ^
^niger bewiesen wurde: daß Pefe.s jeder „christliche An isem, ,s- L*£rn e p Jahren dcr Republik mit Bcsorgnis.
jus" trernd gewesen sei (31): und daß er auch nie „national ,m Sinn » ^rm ^ Monaten Ma, bis Oktober 1933 ein Verhältnis-
«deutschen Rechtsparteien" war (224). * Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat. Edith
Der Autor mein,, damit die These verschiedener Historiker. n^gp« und Rerbrmanstee Hitlers.
^ Klaus Jürgen Müller, relativiert zu haben, wonach für den SUm nnc ^ ^ ^ ^ ^ ^
d- a.Kma.-konservativen Widerstand" eine partielle^ung -n J ^J»^ die Scclsorgc auch rür die nall0na,soz,a.is„schen
*" Nationalsozialismus sowie eine antisemitische Grund immung dcf 2, S) ,m m ,933 erwog Sta,|mann vorüber.
^arakteristisch gewesen seien.Beides gelte, laute, ruer das Urteil lur Ge g ^ bemrtreten. für deren volksmissio-
^rels gerade nicht „7f. 2230- Aber abgesehen Lschcn Anspruch cr Sympathie hatte. In der Fo.gcZcit orientierte er
S'ud,e den exakten Nachweis für jene Behaup ung ^Wnj btabt. ^ ,„ Jcm wcstt:illschcn (ieneralsuperin.enden.en Wil-
^rde sich an der Darstellung und Beurteilung des „nationa - ^ ^ ..Aufruf an alle Lutheraner". Stahmann
konservativen Widerstandes" Wesentliches ändern, ^n sich c - aktualisierten Formulierung des kirchlichen Bekennten
ließe, daß eine kleine Gruppe um Bonhoeller und Dohnany, • r ^ abcr er sah |n sok.hen Versuchen
J"ch anden. Auromungen vertreten hätte'.' Gehandelt haben ffloe politisch-reaktionäre Einstellungen im Hintergrund.
^Wchen eben doch nicht selbständig, sondern in jenem breiteren „p0,iti»erun, der Kirchenno," (S.2.7). Mi,
«»logischen, sozialen und politischen Kontext! Diesen msgesa ,hcologischen Absichten befand sich Stallmann nach seinen
^•nauer herauszuarbeiten, ohne falsche Apologetik und sine ira et seinen tncoiog