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Ausgabe:

1990

Spalte:

600-601

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Bodenmann, Reinhard

Titel/Untertitel:

Naissance d'une exégèse 1990

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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599

Theologische Literaturzeitung 1! 5. Jahrgang 1990 Nr. 8

600

Das Kapitel „Weltlichkeit des Glaubens" (VII, S. 8411) umspannt
so unterschiedliche Gegenstände wie „Die Christen und die staatliche
Ordnung", „Die Christen in Haus und Familie" (vor allem neutesta-
mentliche Haustafeltradition) und „Ethische Unterweisung in der
nachapostolischen Tradition" (hier wird der Weg der paulinischen
ethischen Überlieferung in den deuteropaulinischen Briefen nachgezeichnet
). Daß sich der Verfasser in diesem Zusammenhang gegen den
Begriff „Bürgerlichkeit des Christentums" als einer negativen Kennzeichnung
der Ethik der Pastoralbriefe ausspricht (S. 971). sollte Zustimmung
finden, weil durch eine derartige Beschreibung das sachliche
Recht von Theologie und Ethik des deuteropaulinischen Schrifttums
nicht in den Blick kommt, auch wenn die Frage der „kritischen
Norm" gegenüber der sich konsolidierenden, die christliche Gemeinde
institutionalisierenden nachapostolischen Tradition gestellt
bleibt; droht doch eben darin deren charismatischer Ursprung in Vergessenheit
zu geraten. - Der Abschnitt „Gebot und Gesetz" (VIII,
S. 99tT) befaßt sich zunächst mit dem paulinischen Gesetzesverständnis
. Dabei wird die Kontinuität zur alttestamentlichen Tora betont.
Ist auch umstritten, ob in Rom 8,2 mit dem BegriIT „Gesetz des Geistes
" noch die Vorstellung der alttestamentlich-jüdischcn Tora gedacht
ist, oder richtiger der Ausdruck „Gesetz" in einem uneigentlichen
Sinn, etwa als „Norm" verstanden werden muß (ebenso zu
Gal 6,2; Rom 3,21), so ist doch gesichert, daß das alttestamentliche
Gesetz für Paulus durch das Liebesgebot seine eigentliche Bedeutung
gewinnt (Rom 13,10). - Die Ethik des Jakobusbriefes wird unter das
Thema „Das Gesetz der Freiheit" (vgl. Jak 1,25; 2,12) gestellt. Der
Autor, der nicht mit dem Herrenbruder identisch ist (vgl. S. 1 10), ist
kein eigentlicher Antipode des Paulus. „Sein Ziel ist begrenzt und bescheiden
: Weisungen für ein gottgefälliges Leben zu bieten" (S. 1 11).
Dagegen bezeugen der 1. Petrus-, Hebräerbrief und auch die Johannesoffenbarung
in verschiedener Weise eine christliche „Bewährung
im Leiden" (XI, S. 112ff). Hierzu gehört ebenso das „Festhalten am
Bekenntnis" wie auch der Aufruf zu „Standhaftigkeit und Treue",
der den wesentlichen Inhalt der gegen Ende der Regierungszeit des
Kaisers Domitian geschriebenen Johannesapokalypsc darstellt
(S. 1I9ff).

Das letzte Kapitel wendet sich der „Urchristliche(n) Ethik in der
spätantiken Welt" zu (X, S. 123 IT). Es trägt den unterschiedlichen
urchrisllichen Strömungen Rechnung, die zu Konflikten geführt
haben (z. B. Gal 2,11 ff: Antiochenischer Zwischenfall; I Kor 8-10;
Rom 14f: Starke und Schwache). Sie geben Anlaß, der christlichen
Freiheit Raum zu lassen, ohne daß dies zur Willkür entarten darf. Die
urchristliche katechetische Unterweisung hat diese Problematik im
Blick, wenn sie zu unterschiedlichen ethischen Verhaltensweisen sich
äußert (Liebesgebot, Mann und Frau, Herr und Sklave, Arbeit und
Beruf u. a.; S. 1301T). In alledem stellt sich das Problem des rechten
Verhältnisses von Glauben und Handeln. Es entscheidet sich an der
„Nachfolge Christi", die „unter den Bedingungen dieser Welt Gestalt
gewinnt" (S. 134). Hierzu wird die Predigt und Unterweisung aufgerufen
. In Anknüpfung und Widerspruch gegenüber der nichtchristlichen
Umwelt artikuliert sich im Neuen Testament die Einheit von
Glauben und Handeln, von der „eine große Anziehungskraft auf die
spätantike Welt ausgegangen (ist)" (S. 137).

Kein Zweifel, daß mit dem vom Verfasser gewählten „mittleren
Weg", der zwischen historischen und systematischen Problemstellungen
gebahnt wird, die Gefahr gegeben ist, weder der Historie noch der
systematischen Problematik der neutestamentlichen Ethik ausreichend
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wer zu Einzelheiten von
dogmatischen oder ethischen Fragen des Neuen Testaments und ihrer
wissenschaftlichen Diskussion Auskunft erwartet, wird von diesem
Buch enttäuscht werden. Auch ist im Referat nicht verschwiegen worden
, daß der eingeschlagene Weg zu harmonisierenden Ergebnissen
verleitet, die auf der Grundlage der neutestamentlichen Schriften
Widerspruch herausfordern müssen. Dies festzustellen mindert weder
Anerkennung noch Dank: Mit diesem übersichtlichen, allgemeinverständlich
geschriebenen Werk ist es dem Verfasser gelungen, die

Grundstrukturen der neutestamentlichen Ethik in ihrem literarischen
und historischen Kontext vorzuführen und zugleich ihre Bedeutung
für die Gegenwart auszusagen. In einer Zeit, in der menschlich-
autonomes Streben sich zunehmend seiner Grenzen bewußt wird und
Orientierungslosigkeit um sich greift, kann dieses Werk grundlgendc
Elemente für eine Neubesinnung bereitstellen, und es ist zu wünschen
, daß es viele aufnahmewilligc Leser finden wird, die in der Lage
sind, dem ethischen Anliegen des Neuen Testaments in Kirche und
Welt Gehör zu verschallen.

Göttingen Georg Strecker

Kirchengeschichte: Alte Kirche

Bodenmann, Reinhard: Naissanced'une Kxegcsc. Danieldansl'Eglise
ancienne des trois premiers siecles. Tübingen: Mohr 1986. XVIII.
442 S. gr.8" = Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese.
28. Lw. DM98,-.

Dieser frühen Auslegungsgeschichte des Danielbuches liegt eine
Straßburger These zugrunde.

Die erste Frage des Vf. gilt dem griechischen Text. Anhand detaillierter
Untersuchungen, die der allgemeinen Schwierigkeit Rechnung
tragen, Textformen nach kurzen Zitaten und Anspielungen zu bestimmen
, kommt der Vf. zu dem Ergebnis, daß nur selten der Daniel-Text
begegnet, der heute LXX genannt wird, häufig dagegen eine Mischung
von LXX und Theodotion, die nicht jeweils ad hoc hergestellt wird,
sondern eine feste Tradition zeigt, die der Vf. als Proto-Theodotion
bestimmt, die in gewissen Gegenden aber auch als LXX bezeichnet
wurde.

Die Fragestellungen zum Inhalt berücksichtigen die besondere Bedeutung
des Danielbuches für die Apokalyptik. Bis ins späte 2. Jh. ist
das Interesse an Daniel auf einige wenige Stellen beschränkt, vor allem
auf den kleinen Stein, der die Statue zerschlägt (Dan 2), und die Gottesvision
mit der Erscheinung des Menschensohnes (Dan 7,91.13). Im
ganzen bleibt die Exegese im Rahmen jüdischer apokalyptischer Tradition
. Die gelegentlichen Anspielungen und Bezugnahmen kulminieren
bei Justin, der im „Dialog mit Tryphon" anhand von Dan
2,34f.44f die Göttlichkeit Christi (des Messias) nachweist und Dan
7,9-28 aufdie zweite Parusie bezieht. Die jüdische wie die christliche
Literatur dieser Zeit ist nicht an einem weltgeschichtlichen Konzept,
sondern an dem, was sich aufdas Ende bezieht, interessiert.

Das ändert sich im späten 2./frühen 3. Jh. In dieser Zeit erweitert
sich die Exegese, wie an Irenäus, Klemens, Tertullian und Hippolyt
deutlich wird. Der Niedergang des Römischen Reiches ruft erneut ein
„eschatologisches Fieber" und Interesse am Weltende hervor. Hippolyt
widerspricht solcher Naherwartung, freilich ohne damit Schule zu
machen. Andrerseits macht sich ein Interesse an der Folge der Weltreiche
geltend, die in verschiedener Weise bei Daniel angedeutet ist: in
der vierfach zusammengesetzten Statue (Dan 2) und den vier Tieren
(Dan 7), die zumeist auf die Reiche der Babylonier, Perser, Griechen
und Römer gedeutet werden, wobei die zehn Hörner (Dan 7,7), die
Füße und die zehn Zehen (Dan 2,41). aber auch Widder und Ziegenbock
(Dan 8) einbezogen werden können. Auch der „eschatologischc
Feind" kommt in der Danielexegese (als kleines Horn des vierten
Tieres. Bock, letzter König etc.) zur Sprache und wird auf verschiedene
historische Persönlichkeiten gedeutet (bes. Antiochus IV. und
Vespasian). Das eschatologischc Reich artikuliert sich in den Vorstellungen
des kleinen Steines, jetzt auch aufdie /weile Parusie gedeutet,
des auf Jesus gedeuteten Menschensohnes und in den Verheißungen
von Dan 9,24. die jetzt auf Jesus bezogen werden, der das gesalbte
Allerheiligste ist. Schwierigkeiten ergibt dabei freilich die Deutung der
70 Wochen (Dan 9), die schon in der frühen Exegese schwankte. Jetzt
werden sie der Apokalyptik entnommen und heilsgeschichtlich, entweder
bis zu Vespasian oder mit der 70. Woche ins Eschaton reichend
, interpretiert. Dabei wirdauch die Deutung des Gesalbten von