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Ausgabe:

1990

Spalte:

571-573

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Häring, Bernhard

Titel/Untertitel:

Meine Erfahrung mit der Kirche 1990

Rezensent:

Kirchner, Hubert

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Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 8

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über Freiheit und Dienst der Kirche sowie die Barmcr Theologische
Erklärung hinsichtlich ihres jeweiligen Eintlusscs bespricht. Zu
..Barmen" heißt es abschließend bei Forck:,,Vielleicht müssen noch
viele Gespräche über die grundsätzliche Bedeutung der 1. These geführt
werden. Aber als richtungsweisend ist das Glaubenszeugnis doch
schon erkannt" (158). Bei Heino Falcke (Theologie als fröhliche
Wissenschaft im Ende der Neuzeit) begegnet wieder der Begriff der
Partnerschaft:„Statt Gott ersetzen zu wollen, kann der Mensch Gott
entsprechen, indem er ihm als befreiter, mündiger Partner antwortet"
(165). Ein weiteres Thema betrifft die Religion; Falcke betont ihre
kritische Funktion. Den Abschluß des Bandes bildet ein Beitrag des
Barth-Biographen Busch (Gclebte theologische Existenz bei Karl
Barth). Nach Ausführungen zum Thema „Theologie und Biographie"
bringt Busch Auszüge aus seinem Tagebuch zwischen 1966 und 1968.
Vieles über den alternden Barth liest man mit innerer Bewegung,
manches nicht ohne Bedauern:.,Oh, wenn doch diese Deutschen endlich
einmal von ihrer Lutherhörigkeit loskämen! Dann wäre schon
viel gewonnen" (183). „Theologie als Christologie" - diese Tendenz
verbindet sicher fast alle Autoren dieses Bandes. Daher kommt es
wohl, daß dazu keine kritische Anfrage erkennbar wird.

Mehr Bewegung verspricht - jedenfalls vom Titel her-eine andere
Veröffentlichung, die in die vorliegende Rubrik gehört: ..Der gute
Widerspruch. Das unbegriffene Zeugnis von Karl
Barth'* (XIII). Im Vorwort erfährt man, daß es um mehr gehen soll
als um eine Barth-Interpretation :„Diesem Buch kommt es auf die einschneidende
Entdeckung des Widerspruchs zwischen dem biblisch bezeugten
Wort Gottes und seiner neuzeitlichen Aneignung in und
außerhalb der Kirche an" (7). Der katholische Autor Peter Eicher
überschreibt seinen Beitrag „Exodus. Zu Karl Barths letztem Wort".
Er entdeckt die kritische Solidarität, in der „Karl Barths Theologie
faktisch zur gegenwärtigen Theologie der Befreiung steht", sowie den
„guten Widerspruch zur bürgerlichen Fassung des biblischen Exodus
"; dabei begegnet ein Abschnitt:,.Der Mose des liberalen und
des sozialistischen Bürgertums" mit Bezug auf Freud. Thomas Mann
und Ernst Bloch. Da es nicht eben häufig vorkommt, daß in der Barth-
Literatur literarischen Beziehungen nachgegangen wird, sei am
Beispiel Th. Manns angedeutet, worum es hier geht. Mann wird als
Vertreter einer „humanistischen Exegese" bezeichnet und folgendermaßen
beurteilt: Das „biblische Vorverständnis wird in jedem

Fall . . . auf das Niveau der eigenen Vernunft gebracht, um der eigenen
Sache zu dienen" (49). Ähnlich streng heißt es zur Gottesfrage:..Der
biblisch fundamentale Gottesglaube ist längst zur Metapher für den
Glauben an die eigene Sache geworden" (50). Von daher kann Eicher
nur einen Gegensatz zwischen solchem Humanismus und der Theologie
Barths konstatieren. Freud und Bloch ergeht es erwartungsgemäß
nicht besser. In den abschließenden Überlegungen („Der verheißungsvolle
Widerspruch") rückt der Vf. Barth noch einmal in die Nähe der
Theologie der Befreiung, indem er u. a. für beide den gemeinsamen
Grundsatz herausstellt:..In einer unterdrückten Welt muß sich die
Evangelisierung grundsätzlich mit dem Götzendienst und nicht mit
dem Atheismus auseinandersetzen" (P. Richard).

Der zweite (evangelische) Beitrag von Michael Wein rieh hat zwar
das Thema „Die religiöse Verlegenheit der Kirche. Religion und
christliches Leben als Problem der Dogmatik bei Karl Barth", aber
Gemeinsamkeiten mit den Ausführungen von Eicher sind nicht zu
übersehen. So lesen wir zum Atheismusproblem bei Wcinrich (unter
Berufung auf Karl Barth), daß „die Christen den Atheisten näher
[stehen] als den Frommen, die sich an ihre Religion klammern" (160).
Der Vf. will aber sein eigentliches Thema auf dem Hintergrund der
gegenüber Barth veränderten „Kontextualität" behandeln: Seit Anfang
der 70er Jahre hat „eine breitflächige Rehabilitierung der Religion
stattgefunden . . . Die Zeit der radikalen Religionskritik ist endgültig
und allseitig vorbei" (82). Man ist nun gespannt, wie auf diesem
Hintergrund Barths Religionsauffassung neu zur Sprache gebracht
werden soll. Einerseits hat man den Eindruck, daß manche Überspitzungen
zurückgenommen werden sollen, wenn es z. B. heißt: Es
bleibt zu beachten, „daß Barth sich nicht in einen prinzipiellen
Gegensatz zur Neuzeit gestellt hat, ebensowenig, wie er mit seiner
Religionskritik eine generelle Annullierung der Religion für Theologie
und Kirche intendiert hat" (1 10). Auch zur Anthropologie findet
sich entsprechendes: Barth „rechnet mit einer ontologischen Offenheit
des Menschen für Gott, die eben auch der Religion noch vorausläuft
" (149). Andererseits bleibt es bei dem Vorwurf, die Religionen
domestizieren Gott (ein Willkürakt), „sie behaupten Gott zu besitzen"
(150) oder allgemeiner:,.Die Religion ist und bleibt eine Angelegenheit
des Menschen" (146). Es ist deutlich, daß bei solcher Grundeinstellung
ein Dialog mit anderen Religionen sinnlos wird. Ob das in der (iegetl-
wart „ein guter Widerspruch" ist, wird man abwarten müssen.

Allgemeines, Festschriften

Häring, Bernhard: Meine K.rfahrung mit der Kirche. Einleitung und
Fragen von G. Licheri. Übers, u. Fassung d. dt. Ausgabe von
B. Häring. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1989. 237 S. 8". geb.
DM 28,-.

Ein ganz persönliches Buch! In einem Begleitschreiben des Verlages
wird es als „Dokumentation der Erfahrungen", als „Lebenszeugnis"
des Autors vorgestellt, als „eine offene Darlegung dessen, was er aus
nächster Nähe und für seine eigene Person erlebt hat." Bernhard
Häring, Moraltheologe von internationalem Rang, mehrere Jahrzehnte
Professor in Rom, bildet gleichsam mit seiner Person ein Paradigma
für das gespannte Verhältnis, ja, den Konflikt zwischen Lehramt
und Theologie und speziell Moraltheologie in der römischkatholischen
Kirche. In Form eines Gespräches mit einem Freund.
Gianni Licheri. schildert er zunächst seinen Werdegang, seine Erfahrungen
im Krieg" und in der Nachkriegszeit, seinen gar nicht so
geraden Weg in die wissenschaftliche Theologie, worin die Moral-
tiieologie die „allerletzte Wahl" für ihn war.

Schon sein erstes großes Werk, „Das (leset/ Christi" (1954), geschrieben
bereits mit Romerfahrungen und entschlossen, „gegen
lebensfremden Legalismus zu kämpfen, treuer aus der Heiligen Schrift
zu schöpfen und mich den Problemen der Menschen meiner Zeit zu

stellen" (45), beschäftigte das Heilige Offizium, doch konnten keine
Häresien festgestellt werden. Die päpstliche Enzyklika „Humani
gencris" (1953). gerichtet eigentlich gegen die Nouvelle Theologie in
Frankreich, enthielt aber auch schon Passagen, die durchaus ihn
meinen konnten. Bis dann das Konzil eine „gelöste Atmosphäre'"
schuf und die „Gnade des Zweifelnkönnens" siegte. Als eine entscheidende
Phase der Arbeit des Konzils, an der H. als Mitglied einer
Unterkommission der Vorbereitungskommission teilhatte, schildert
er das Ringen um die Erklärung über die Religionsfreiheit, wo die
disparaten Anschauungen der Konzilsväter besonders hart aufeinander
prallten und sich auch danach noch weiter gegenüberstehen. H.
resümiert: „Wer Jahrzehnte lang berufsmäßig und fast ausschließlich
Kontrolleur der Rechtgläubigkeit von Mitchristen ist und sich dabei
vor keiner irdischen Instanz zu verantworten hat sowie sich der (fnade
des Zweifels auch auf dem Gebiet der nicht geoffenbarten Wahrheiten
verschließt, wird nie Zugang zu diesem wichtigen Dokument des
/weiten Vatikanischen Konzils linden." (72)

Hohes Interesse kann das Kapitel 6 „Zur Krise um .Humanae
vitae'" (84-104) beanspruchen. H. gehörte der Kommission an. die
Papst Paul VI. 1963 zur Beratung über Emplängniskontrolle und Bevölkerungsprobleme
berufen hatte, und sah sich dann mit der großen
Mehrheit dieser Kommission von der späteren Enzyklika (1968)
ebenso überrascht wie die Mehrheit der Katholiken überhaupt.

Schwerpunkt des Buches ist aber das siebente Kapitel „Lehrprozess