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Ausgabe:

1990

Spalte:

556-557

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Freund, Annegret

Titel/Untertitel:

Gewissensverständnis in der evangelischen Dogmatik und Ethik im 20. Jahrhundert 1990

Rezensent:

Freund, Annegret

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555

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 7

556

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

Dabney, D. Lyle: Die Kenosis des Geistes. Kontinuität zwischen
Schöpfung und Erlösung im Werk des Heiligen Geistes. Diss.
Tübingen 1989.251 S. (Text und Anmerkungen) und 56 S. (Literaturverzeichnis
).

Wie bezieht sich das Wirken Gottes in der Erlösung und sein
Wirken in der Schöpfung aufeinander? Das ist die Frage, mit der sich
diese Dissertation befaßt. Soll man diese zwei Werke Gottes so begreifen
, daß sie einfach nebeneinander stehen, und zwar als zwei aufeinanderfolgende
Ereignisse, von denen das zweite das erste voraussetzt,
aber in keinem tieferen Sinn angeht? Oder soll man sie sich eher ganz
anders vorstellen? Vielleicht als schlichtes Kontinuum. in dem Gottes
erstes Werk der Schöpfung von sich aus zum zweiten Werk der
Erlösung führt? Oder aber soll man sie lieber als Gegensätze verstehen
, indem die Schöpfung die Not darstellt, von der Gott das
Geschöpf durch ein zweites Werk erlösen muß? Letztendlich kann
keine dieser Möglichkeiten die christliche Theologie befriedigen.
Aber wenn sich das Wirken Gottes in der Schöpfung weder als beziehungslos
noch als identisch noch als gegensätzlich zu seinem Wirken
in der Erlösung aufTassen läßt, dann muß die Theologie Rechenschaft
darüber ablegen, wie dieses Verhältnis zu denken ist. Die These dieser
Dissertation ist, daß eine alle Diskontinuitäten umfassende Kontinuität
zwischen dem Wirken des dreieinigen Gottes in der Schöpfung
und in der Erlösung besteht, die durch die ,.Kenosis des Geistes"
bewirkt wird. Ihr Gedankengang entfaltet sich in drei Stufen, die ihren
drei Hauptteilen entsprechen.

Der erste Hauptteil führt in die Fragestellung ein, lokalisiert sie im
Horizont der heutigen Pneumatologie und schildert die Hauptiinie
ihrer Diskussion im 20. Jh.: nämlich die Auseinandersetzung Karl
Barths mit der idealistischen Theologie des 19. Jh. Im Lauf dieses
Streites verneinte Barth zunächst jede Kontinuität zwischen dem
ersten und dem zweiten Werk Gottes; später aber trat eine gewisse
Wandlung ein, als er auf Christus, also die „Menschlichkeit Gottes",
hinwies als den Ort, wo Gott und Mensch. Schöpfung und Erlösung
zusammenkommen. Dieser Satz bildet den Ausgangspunkt für den
Gedankengang dieser Dissertation. Die Frage nach der Beziehung
bzw. der Kontinuität zwischen Schöpfung und Erlösung ist eben die
zwischen Tod und Auferstehung Jesu Christi. Indem der Geist Gottes
Kontinuität in seinem Leben bewirkt, bringt er Kontinuität in den
Werken, ja, sogar im Leben Gottes hervor.

Der zweite Hauptteil geht dem Wirken des Geistes Gottes in Tod
und Auferstehung Jesu Christi nach und entwickelt dabei die Metapher
der „Kenosis" des Geistes. Er setzt mit einer Untersuchung der
Theologie Jürgen Moltmanns ein, die versucht, das Kreuz Christi als
ein trinitarisches Gottesgeschehen wahrzunehmen, in dem Gott sich
selbst entäußert und erniedrigt. Dennoch wird gezeigt, daß dieser
Versuch fehlschlägt, indem der Geist, anders als Vater und Sohn,
nicht von der Hingabe und dem Leiden des Kreuzes her, sondern
allein von der Auferstehung und Erhöhung Jesu Christi her bestimmt
wird. Das Kreuz Christi stellt daher dieser Auffassung nach keine
„Kenosis Gottes" dar, sondern nur eine „Kenosis des Vaters und des
Sohnes". Aber nach dem neutestamentlichen Zeugnis ist es anders,
denn darin wird einerseits erzählt, daß der Vater den Sohn bzw. der
Sohn sich selbst kraft des Geistes dem Tode am Kreuz hingibt, und
andererseits, daß der tote Sohn kraft des Geistes auferweckt und zur
Rechten des Vaters erhöht wird. Der Geist Gottes ist also der Geist des
Kreuzes, der Geist der Hingabe und Auferstehung Jesu Christi; derjenige
also, der selbst im Moment der Verlassenheit Jesu Christi am
Kreuz die Anwesenheit Gottes beim Sohn in der Abwesenheit des
Vaters darstellt. Seine Kenosis liegt darin, daß er sich in das Leben
und den Tod des Sohnes entäußert und damit das Leiden des Sohnes
miterleidet.

Der dritte und letzte Hauptteil der Dissertation untersucht die
Kenosis des Geistes in Tod und Auferstehung Christi in Hinsicht auf
die vorliegende Frage. Beim Kreuz Christi hängen die Fragen nach der
Kontinuität im Leben des Sohnes, im Leben des dreieinigen Gottes
und im Leben der Welt zusammen. Wie der Geist Gottes kraft seiner
Kenosis die Kontinuität des Lebens durch die Diskontinuität des Sterbens
in der Geschichte des Sohnes bewirkt, so bringt er die Kontinuität
des Lebens durch die Diskontinuität des „Todes Gottes"
hervor. Durch die Auferstehung des Sohnes kraft des Geistes wird der
trinitarische Gott selbst rekonstituiert und sein Leben bereichert bzw.
verwandelt, indem die ganze Schöpfung samt allen Söhnen und
Töchtern Gottes in der göttlichen Gemeinschaft aufgenommen wird.
Der Kontinuität in der Geschichte Christi entspricht daher die Kontinuität
im Leben Gottes und die Kontinuität im Leben der Welt. Das
Wirken Gottes in der Schöpfung ist also weder als beziehungslos noch
als identisch noch als gegensätzlich zu seinem Wirken in der Erlösung
zu verstehen. Das göttliche Werk der Erlösung ist stattdessen eine
Verwandlung im Geist Gottes, also eine neue Schöpfung aus dem
Alten heraus.

Freund, Annegret: Gewissensverständnis in der evangelischen Dog-
matik und Ethik im 20. Jh. Diss. Jena 1988. 177 S.

Was hat evang. Dogmatik und Ethik beizutragen zum Verständnis
des vielbeschworenen, jedoch überaus strittigen Gewisscnsphäno-
mens? Die Arbeit geht dieser Frage nach, indem sie im ersten Haupt'
teil (6-56) zunächst das Gewissensverständnis einzelner Theologen
untersucht und aufreiht. Behandelt werden Pannenberg, Althaus.
Brunncr. Bonhoeffer, Ebeling, Tillich, Barth und RendtorfT; andere
Autoren sind darüber hinaus gelegentlich einbezogen. Das Interesse
geht dahin, die z. T. sehr unterschiedlichen Aussagen nicht nur
darzustellen, sondern auch mindestens skizzenhaft in den jeweiligen
autorspezifischen Kontext theol. Denkens einzurücken. Im zweiten
Hauptteil (57-115) dienen die von W. Jocst in der Lutherinterprcta-
tion bereits einmal verwendeten Aspekte der Exzentrizität, der
Responsibilität und der Eschatologi'zität als Raster und Kotnbina-
tionsmerkmale, um in einem konzeptionell weit größeren Feld die das
Gewissen betreffenden Probleme zu sondieren, Fragen herauszuarbeiten
, zu ordnen, zu diskutieren und die verschiedenen Ansätze ins
Gespräch miteinander zu bringen.

Aufgrund der starken Wirkung, die M. Luthers Auffassung in
Sachen des Gewissens bis in die Gegenwart hinein zeitigt, erwies es
sich als sinnvoll, wenn nicht Luther selbst, so doch zum wenigsten das
Bild seiner Anschauungen im Spiegel der Forschung des 20. Jh. nachzuzeichnen
, das besonders in der ersten Hälfte des Jh. hart umkämpft
wurde (K. Holl: Luthers Religion ist „Gewissensreligion im ausgeprägtesten
Sinne des Wortes" - wie die Arbeit zu zeigen sucht, nich1
einfach eine idealistische Fehlinterpretation Luthers!). Zugleich
ergeben sich von daher bestimmte Problemstellungen und Schwerpunktsetzungen
, die in der Studie immer wieder eine Rolle spielen-
Der dieserart gewählte Einsatzpunkt öffnet den Blick dafür, daß theol-
Rede vom Gewissen im Kern interessiert ist an ihm als einer Kategorie
der Gottesbeziehung. Es ist erschrockenes oder getröstetes Gewissen
unter Gesetz und Evangelium - die Arbeit bezeichnet diese
eschatologisch qualifizierten Formen als „Böses" und „Gutes Gewissen
" im Unterschied zu einem lediglich aufeinzelne, konkrete Norrn-
verletzungcn reagierenden Gewissen. Ein nicht in die Dynamik des
Betroffen Werdens durch Gott hineingerissenes Gewissen erstarrt unter
dem Druck ethischer Aporien zu einem (in der Arbeit sog.) „Moral1"
stischen Gewissen", das zwar durchaus zwischen „gut" ufö
„schlecht" pendelt, aber bei weitem nicht die Schwere des radikalen
Böseseins kundgibt.

Im Rahmen der angezeigten Konzentration - Gewissen nicht so
sehr in der Umwelt -, sondern vielmehr in der Gottesbeziehung '
lassen sich allerdings deutliche Betonungsunterschiede zwischen