Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1990

Spalte:

548-549

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Musik in der evangelisch-reformierten Kirche 1990

Rezensent:

Werthemann, Helene

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

547

Theologische Literaturzeitung 1 15. Jahrgang 1990 Nr. 7

548

für die Predigt als Impuls für das Heilsgeschehen in der Gemeinde"
(223). Nach einem Sabbathjahr bei Rolf Zerlaß in Würzburg hat er
seine Arbeit um Berichte über seine praktischen Erfahrungen erweitert
und legt sie nun der Öffentlichkeit vor.

Für protestantische Leser bleibt dieser jüngste ein erstaunlich
katholischer Beitrag zur Homiletik. Er beginnt und schließt mit dem
sakramentalen Predigtverstiindnis. das die „Dogmatische Konstitution
über die göttliche Offenbarung" des II. Vaticanums festgeschrieben
hat: „Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den
Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom
Tisch des Wortes wie des Leibes Christi ohne Unterlaß das Brot des
Lebens nimmt und den Gläubigen reicht" (Art. 21; 14, vgl. I68f). Die
Predigt, so Wallner, „schreibt die Geschichte Gottes mit den Menschen
weiter" (34) und setzt das Heilswerk Christi fort, denn in ihr
„geht die Menschwerdung Gottes weiter" - so noch der letzte Satz des
Buches (222).

Bei einer derart massiven fundamentaltheologischcn Grundlegung,
die sich in die ungebrochene Kontinuität der Heilsgeschichte als
Predigtgeschichte gestellt sieht, muß die Nähe zur Gegenwart heikel
bleiben. Der Vf. beginnt zwar mit drei synoptischen Vergleichen, aber
die sollen nur die allerersten Variationen des urchristlichen Keryg-
mas, nämlich den Bezug auf „die je eigenen Hörer in ihrer konkreten
geschichtlichen Situation", darstellen. „Die Schwerpunktsetzung mit
ihrer Zielaussage läßt auf diese Situation als .Sitz im Leben', als sozio-
kulturclles Umfeld und als Bewußtseins- und Erfahrungshorizont
schließen" (33).

Durch solche Analogien ermutigt (16), wendet sich der Autor heutigen
Interpretationsmodellen christlicher Verkündigung zu: das 2. Kapitel
betrachtet „Die Predigt im Licht lernpsychologischer Bedingungen
" (38ff). Die behavioristische (B. Skinner) und die kognitive Lern-
psychologie (W. Corell) werden nebeneinandergestellt, dazu kommt
u. a. L. Festingers „Theorie der kognitiven Dissonanz" - leider nur
anhand von Sekundärliteratur und ohne irgendein Beispiel, das die
Einsichten der Kommunikationspsychologie so eindrucksvoll
machen kann (56ff, I86f). Das ist der „Homiletischen Arbeitsgruppe"
der Münsteraner Franziskaner seit knapp zwanzig Jahren weitaus
lebendiger gelungen (Die Predigt als Lernprozeß, 1972; Kreativität
und Predigtarbeit, 1974; Positiv predigen. 1977; Die Predigt vom
menschenfreundlichen Gott. 1980).

Die heftige Kritik an lernpsychologischen Beiträgen zur Predigttheorie
ist dem Vf. anscheindend unbekannt. Zwar „hat das lernpsychologische
Schema der Predigt mitzubedenken. daß die Predigt im
liturgischen Kontext einer Gottesdienstfeier steht" (520- Aber die
schlichte Frage, ob Gottesdienst und Lernen etwas miteinander zu tun
haben, wird nicht gestellt. So bleiben auch die Schilderungen der „originalen
Begegnung" (nach H. Roth. 64ff) oder des „fruchtbaren
Moments" (nach F. Copei. 71 ff) theologisch nicht reflektierte und
praktisch nicht eingelöste Postulate.

Das gilt leider auch für das 3. Kapitel, „Die Predigt als Gottes Wort
in säkularisierter Welt". Für Protestanten mag es lehrreich sein, die
Intentionen Ernst Langes nun einmal anhand von Impulsen von
F. Kamphaus und J. B. Metz dargestellt zu sehen (7911). Aber damit
und mit dem Säkularismusproblem wird trotz vieler Beteuerungen
(80, 84. 88, 1 14) keineswegs Ernst gemacht. Statt dessen wird erstaunlicherweise
ein „religiöser Bcwußtseinswandel im Sog der esoterischen
Bewegungen" konstatiert (9211). mit dem verblüffenden Ergebnis
: „Es gibt nämlich .Antennen" für Gott und sein Wort, die der
Mensch gerade in säkularisierter Welt .auszieht' und die die Wellenlänge
der Grundintention des Wortes Gottes empfangen können" (96.
vgl. 99). Das religiöse Apriori. ungetrübt von allem Säkularismus, erneut
beansprucht: „Der Predigt muß nur gelingen, dieses Gute im
Menschen anzusprechen und zuzusagen; diese .Zusage' lockt das
Gute heraus und bringt es zum Handeln . . . Das Gute im Menschen
ist eine .Antenne' für Gottes Wort und möchte auf .Empfang' eingestellt
werden" (104f, vgl. 76).

Auf solch schlichte Voraussetzungen hin erscheint es nicht weiter

schwierig, „Die Predigt als Kommunikation der Gemeinde mit dem
Evangelium" (so das 4. Kapitel, 12311) zu verstehen und schließlich
über „Die praktische Predigtarbeit in und mit der Gemeinde" zu handeln
(sodasSehlußkapitel, 16711). Immerhin stellt hierein experimentierfreudiger
Gemeindepfarrer Beispiele der Beteiligung von Ge-
meindemitgliedern an der Predigt vor, so Protokolle von Predigtvorbesprechungen
mit Firmlingen (I 71 f und 20311) oder zwei Predigten
mit Kindern in Familiengottesdienslen (173 IT und 19911). Grundsätzlich
bleibt die Predigt jedoch Sache des Priesters, der mehrfach geforderte
Dialog eine Fiktion (vgl. jedoch 136). Zur Predigtarbeit wird dabei
manches Vernünftige oder auch nur Praktische gesagt (17811
und 22011).

Diese Arbeit zeigt, wie heute kein Beitrag zur Homiletik mehr um
die humanwissenschaftliehe Reflexion von Predigtpraxis herumkommt
. Titel wie Untertitel des Buches versprechen jedoch zu viel;
der Versuch eines Arbeitsbuches gelangt über redliche Absichten und
vielfache Appelle kaum hinaus.

Preetz Horst Albrecht

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Musik in der evangelisch-reformierten Kirche. Eine Standortbestimmung
. Hg. vom Institut für Kirchenmusik der evangclisch-refor-
mierten Landeskirche des Kantons Zürich in Zusammenarbeit mit
dem Schweizerischen Arbeitskreis für evangelische Kirchenmusik.
Zürich: Theologischer Verlag 1989. 136S. 8 Kart. sFr20.-.

Die cvangclisch-reformicrte Kirche, vor allem diejenige Zwing-
lischer Prägung, hat es schwer mit der Kirchenmusik. Zwar hat die
Musik in ihren Gottesdiensten einen festen Platz erhalten; was aber
die Funktion dieser Musik sei. ist nicht klar, und leider kann man sich
ja für ihre Begründung nicht auf Zwingli berufen. Nun hat Adoll
Brunner schon vor 25 Jahren dazu angeregt, Sinn und Zweck der
Kirchenmusik in der reformierten Kirche nach ihrem historischen,
theologischen, gesellschaftlichen und praktischen Wert zu untersuchen
. Theologische und musikalische Fachleute haben das im Aultrag
des Kirchenrats der Stadt Zürich jetzt gemacht. Entstanden ist dabei
eine Publikation mit dem Titel „Musik in der evangelisch-refor-
mierten Schweiz-eine Standortbestimmung".

Den Einstieg macht Alfred Ehrcnsperger mit einem geschichtlichen
Überblick über die Stellung Zwingiis und der nachreformatorischen
Zürcher Kirche zum Kirchengesang und zur Kirchenmusik. Unter
Berücksichtigung aller bisherigen Forschungen schildert Ehrensper-
ger die Zürcher Verhältnisse bis zur Einführung des Kirchengesangs
im Jahr 1598, wobei er besonders auch auf das Gottesdienstverständnis
Zwingiis eingeht. Abschließend stellt Ehrcnsperger fest: „Unsere Ausgangslage
im Hinblick auf das Feiern von Gottesdiensten stellt sich von
Grund auf so anders, daß wir heute alle Freiheit haben, das Verhältnis
des Kirchengesangs und der Musik neu und grundsätzlich zu überdenken
und aus solcher Besinnung praktische Schlüsse zu ziehen."

Im folgenden Beitrag von Ulrich Knellwolf über „Die Musik im
reformierten Gemeindegottesdienst" geht es um die theologische Klärung
der merkwürdigen Situation, daß die Musik im Gemeindegottesdienst
zwar keine in der Reformation selber gründende Tradition
hat. daß sie aber in ihm eine nicht mehr wegzudenkende Rolle spielt-
In subtilen Gedankengängen kommen hier theologische Fragen zur
Behandlung, wobei Knellwolf im Anschluß an das Priestcrtum aller
Gläubigen im Zusammenhang mit Gedanken von Thomas von Aquifl
zur wichtigen Formulierung kommt: „Priesterliches Tun besteht
darin, daß Welt ins Wort gefaßt wird und so zum Gleichnis Jesu Christi
wird." Mit diesem „Welt-ins-Wort-Fassen" kann Knellwolf dann sowohl
eine Theologie des reformierten Gemeindegottesdienstes skizzieren
alsauch die Funktion der Musik im Gottesdienst begründen.