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Ausgabe:

1990

Spalte:

540-541

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Josef

Titel/Untertitel:

Offenbarung 1990

Rezensent:

Petzoldt, Matthias

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 7

540

räum schon mitbringt und somit der Beliebigkeit der Wahrnehmung
entzogen ist" (S. 111).

An der tiefenpsychologischen Hermeneutik wird kritisiert, daß sie
das immer schon im Menschen Gegebene nur bewußtmachen will.
Aber das Wesen von Mythos und Religion besteht nicht darin, Sprache
der Seele zu sein (S. 133). In ihnen begegnet nicht die eigene,
tiefenpsychologisch aufzuhellende Wirklichkeit, sondern eine fremde.
Die tiefenpsychologische Hermeneutik indes bestreitet der religiösen
Überlieferung, „daß sie allererst Wahrnehmung von Wirklichkeit
begründet und damit in Wirklichkeit stellt, was eben eine Hermeneutik
implizieren würde, welche die Überlieferung in die Phänomene
hinein abbildet, statt sie in diesen aufzusuchen und an diesen zu verifizieren
" (S. 137).

Drewermanns Konzept wird als Ausdruck der Krise religiöser
Überlieferung gesehen, weil es vor deren Ursachen kapituliert. Sein
Konzept beugt sich nämlich dem Diktat, daß die Wahrheit der Religion
sich nur in der Korrespondenz mit der vorfindlichen Wirklichkeit
(der äußeren oder inneren) zeigen dürfe.

Der letzte Beitrag des Buches, „Kausalität, Kontingenzerfahrung
und christlicher Glaube", geht der Frage nach, wie der Gedanke des
freien Handelns Gottes mit dem des kausalen Zusammenhangs alles
Geschehens zusammengedacht werden könne. Die Antwort: wir
haben es mit zwei verschiedenen Zugängen zu einem und demselben
Phänomen zu tun. Für diese unterschiedlichen Zugänge stehen die
Begriffe Ereignis und Handlung bzw. Kausalität und Intentionalität.
Sie haben ihren Platz in unterschiedlichen Dialog-(Frage-Antwort-)
Situationen und zeigen unterschiedliche Weisen der Wahrnehmung.
Vom Handeln Gottes kann angesichts der kausalen Erklärung der
Welt nur sinnvoll in jener Dialogkonstellation geredet werden, die
sich auf die Intentionalität der Dinge und des Geschehens richtet. Die
Pfeilspitze der Erörterungen zielt auf das Problem der Kontingenzbewältigung
durch den Menschen. Die Frage „Warum? Warum ich?"
ist, recht verstanden, nur im intentionalen Dialog sinnvoll gestellt.
Und die Antwort darauf müßte das Ereignis, das diese Frage auslöst,
als intentionale Handlung verständlich machen (S. 190). Die Glaubenserkenntnis
läßt, indem sie den Fragenden in Gottes Wirklichkeitsraum
stellt, das, was in der Konstellation des kausalen Dialogs als
kausal bedingt oder als Zufall erscheint, als Handeln Gottes verstehen
.

Aber nicht Antworten auf Kontingenzerfahrungen sind heute die
vornehmliche Aufgabe von Theologie und Kirche, sondern das Offenhalten
des Beziehungsraumes, „in welchem Kontingenzerfahrungen
erst adressierbar sind und die Suche nach Antworten produktiv werden
kann" (S. 192). Der Gefahr der Kontingenzverarbeitung durch
theoretische Entwirklichung ist ebenso entgegenzutreten wie der in
der kirchlichen Tradition oft praktizierten Kontingenzverarbeitung
durch religiöse Entwirklichung. Letztere geschieht, wenn durch ein
objektivierendes Reden von geschehener Erlösung dem Leiden des
Menschen hier und heute keine wirkliche Realität mehr zuzukommen
scheint. Das läßt nach der rechten Orientierung in den Kontingenzerfahrungen
fragen. Der Christ findet diese im Kreuz Christi. Alles
hängt indes daran, daß die Erkenntnis des Kreuzes eine praktische ist.
Und das heißt, daß der Glaubende sich im Gekreuzigten als Sünder
erkennt, „der unter Gottes zurechtbringendem und in die Umkehr
führendem Gericht steht; und der doch in diesem Gericht nicht an
sich selbst verzweifeln muß, weil von ihm doch auch schon gilt, daß er
in der Lebenshingabe Jesu ein für allemal der Sünde gestorben und in
die Gottesgemeinschaft aufgenommen ist" (S. 199).

Das Buch stellt einen substantiellen Beitrag in der Diskussion um
eine erkenntnistheoretische Grundlegung von Theologie und Glauben
dar. Es geht in ihm um die Ausformulierung der hermeneutischen
Position, daß das Wort Gottes neue Wirklichkeit ansagt und der
Glaube allein diese Wirklichkeit erkennt. Abgewehrt werden soll
jeder Versuch, Gottes Wirklichkeit in einem allgemein vorausgesetzten
Verstehenshorizont einsichtig zu machen. Gleichwohl wird auf
der erkenntnistheoretischen Metaebene Ort und Weise des Glaubens

im Unterschied zu anderer Erkenntnis reflektiert. Der Unterschied zu
anderen Bemühungen um Bewährung des Glaubens in der Wirklichkeit
erscheint damit dem Rez. relativiert. Denn offensichtlich bedarf
auch die These vom selbständigen Erkenntnischarakter des Glaubens
einer Ontologie und entläßt, wie das Buch zeigt, die Theologie nicht
aus der Aufgabe, den christlichen Glauben in der einen Wirklichkeit
zu verantworten. Der Vf. gibt erhellende Antwort auf viele Fragen an
eine theologische Konzeption, die ohne solche Klärung vielleicht vorschnell
in die Ecke einer nur positionellen Theologie gedrängt
würde.

Greifswald Bernd Hildebrandt

Schmitz, Josef: Offenbarung. Düsseldorf: Patmos 1988. 225 S. 8° =
Leitfaden Theologie, 19. Kart. DM 24,80.

Es geht zu Lasten des Rez., daß dieses Buch erst so spät angezeigt
wird. Dabei hätte es eine freundlichere Beachtung verdient. Es ist ganz
dem Neuansatz des II. Vaticanums im Offenbarungsverständnis verpflichtet
. So widersetzt sich der Autor der neuscholastischen Abgrenzung
von Offenbarung gegen die Dimension der Erfahrung. Vf. sieht
darin eine unglückliche, die Kommunikation hemmende Reaktion
auf die neuzeitliche Reduktion des Erfahrungsbegriffs „auf das
Wiederholbare und Kontrollierbare" (17). Um die Theologie aus dieser
Selbstisolation herauszuholen, sucht das 1. Kap. die christl. Offenbarung
mit menschlicher Erfahrung wieder zu vermitteln. Die biblischen
Offenbarungserfahrungen finden hierbei als „radikale Erschließungserfahrungen
" ihre anthropologische Einordnung wie spezifisch
theologische Deutung.'

Auch das 2. Kap., welches den geschichtlichen Wandel im Offenbarungsverständnis
darstellt, läuft auf eine kritische Auseinandersetzung
mit der „Engführung des instruktionstheoretischen Offenbarungsbegriffs
" hinaus (80). Wurde dort Offenbarung ihrem „Vorgang
nach . . . gedacht als Belehrung durch den göttlichen Lehrer, ihrem
Inhalt nach als eine die Erkenntniskraft der menschlichen Vernunft
übersteigende Wahrheit" (79), liegt in der gegenwärtigen Neubesinnung
das Gewicht daraufdaß Offenbarung „umfassend das geschichtliche
Heilshandeln Gottes bezeichnet und als Selbstmitteilung Gottes
begriffen wird, weil Gott nicht nur ihr Urheber, sondern auch ihr
Inhalt ist und den Menschen nicht nur Anteil an seinem Wissen, sondern
vor allem an seiner Lebensfülle gibt" (80).

Dieses „kommunikationstheoretisch-partizipative" Offenbarungsverständnis
(Seckler) bietet die Grundlage für die im 3. Kap.»entwickelte
kirchliche Offenbarungslehre. Hier kommt das Offenbarungsgeschehen
in Schöpfung und Geschichte zur Sprache, in Wort und
Tat, als objektiv äußeres Ereignis und als subjektiv inneres G'naden-
wirken, in den verschiedenen Phasen der Offenbarungsgeschichte bis
zu ihrem Höhepunkt in der Christusoffenbarung sowie in ihrer Inter-
dependenz von Offenbarung und Kirche.

Erst das abschließende 4. Kap. bietet eine Apologetik des christl-
Offenbarungsverständnisses. Zum einen erklärt es die tragische Entfremdung
zwischen Vernunft und Offenbarung im Kontext der
geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, zum anderen
sucht es den Offenbarungsglauben als einen vor der Vernunft verantworteten
Lebensentwurf verständlich zu machen.

Einer maßgeblichen Tendenz nachkonziliarer Fundamentaltheologie
folgend, entfaltet Vf. den Offenbarungstraktat streng in der Korrespondenz
von Offenbarung und Glaube. „Die Wahrheit der christlichen
Offenbarung steht auf der Glaubensebene, nicht auf der Wissensebene
." (133) Das schließt für ihn nicht aus, anthropologische
Argumente aufzuführen, die davon überzeugen sollen, daß dieser
Glaubensinhalt nicht der menschlichen Vernunft widerspricht. In diesem
Sinn hat die traditionsreiche Frage nach „Glaubwürdigkeit" der
Offenbarung noch ihren Sinn. Von den Glaubwürdigkeitsbeweisen
der traditionellen Apologetik aber hat sich Vf. verabschiedet.

Die Vorzüge des Buches schätzt man vor allem, wenn man es als