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Ausgabe:

1990

Spalte:

31-33

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rebell, Walter

Titel/Untertitel:

Alles ist möglich dem, der glaubt 1990

Rezensent:

Kleinknecht, Karl Theodor

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 1

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mann), sondern er treibt Theologie als die Konsequenz einer eindeutigen
Glaubenserfahrung. Das überkommene Bekenntnis ist nur ein
Teil der Sache, daneben steht die Gewißheit der neuen Wirklichkeit,
die trägt, und mit ihr verbindet sich das Erlebnis einer rettenden Kraft,
die sich durchsetzt" (S. 228).

Anhangsweise wird die paulinische Mission in und um Korinth
skizziert; dies erfolgt einmal unter Annahme der literarischen Einheitlichkeit
von 1 und 2Kor, sodann „bei Anerkennung eines gewissen
Rechtes der Teilungshypothesen (anders die vorliegende Auslegung
!)" (S. 277). Ein ausgewähltes, relativ umfangreiches Literaturverzeichnis
bildet den Abschluß.

Die Kommentierung enthält neben einer Fülle von Sachinformationen
bedeutsame theologische Überlegungen, etwa zur Kindertaufe,
zur paulinischen Kreuzestheologie, zur Weisheit in der biblischen
Tradition, zur paulinischen Ethik, zur Präsenz Christi beim Abendmahl
, zur Liebe im Neuen Testament, zur Bedeutung der Auferstehung
Jesu im paulinischen Denken. Übereinstimmungen mit der Darstellung
der Ereignisse in der Apg werden ebenso betont wie
Entsprechungen paulinischer Aussagen mit der urchristlichen Jesustradition
. Mit alledem bewährt sich dieser Kommentar als zuverlässige
und hilfreiche Anleitung zum Verstehen des 1 Kor.

Den 1 Kor von einem bevorstehenden Osterfest her zu interpretieren
ist freilich kaum gerechtfertigt. Am ehesten lassen 5.7f einen Festbezug
erkennen; aber auch hier ist nicht die kalendarische Osterfeier1
von Interesse, sondern die neue Existenz des Christen, die ständiger
Verwirklichung bedarf. In 10,1 fT; 11,17-34; 12,1-14,40; 15; 16.1
wird das Osterfest nicht erwähnt. Vor allem für die Ausführungen von
I Kor 15 hätte jedoch eine Bezugnahme auf Ostern sehr nahegelegen;
wenn Christus in 15,20 als aparche bezeichnet ist, so wird damit nicht
auf die Darbietung der Erstlingsgabe am 16. Nisan (dem Auferstehungstag
nach johanneischer und - wie Vf. meint - auch paulinischer
Passionschronologie) angespielt, aus V. 23 wird vielmehr der rein
zeitliche Akzent deutlich (vgl. auch 16,15!). 11,20f zeigen schließlich,
daß 11,17-34 nicht die österliche, sondern prinzipiell jede korinthische
Abendmahlsfeier ansprechen.

Insgesamt stellt die Auslegung des 1 Kor einen niveauvollen Band in
der Reihe der Zürcher Bibelkommcntare dar.

Berlin Christian Wölfl'

' Vgl. A. Strobel, Ursprung und Geschichte des frühchristlichen Osterkalcn-
ders (TU 121) Berlin 1977; siehe dazu die Rezension von G. Schille in
ThLZ 106.1981,102-104.

Rebell. Walter: Alles ist möglich dem, der glaubt. Glaubensvollmacht
im frühen Christentum. München: Kaiser 1989. 167 S. 8*. Kart.
DM 29,80.

Die Studie des Siegener Neutestamentiers (und Dipl.-Psychologen)
ist veranlaßt durch die widersprüchliche Einschätzung von Glaubensvollmacht
in der gegenwärtigen kirchlichen Situation. Während sich
die neuzeitliche Christenheit weitgehend abgewöhnt hat. ..kontrafaktisch
zu glauben, d. h. den Glauben als Machtfaktor anzusetzen gegen
Fakten der Welt, die verhängnisvoll und lebenszerstörend sind" (8).
und sich im Gebet von vornherein darauf beschränkt, nur um „Hilfe
zum Ertragen", nicht aber um ein ,.Eingriffen Gottes in die konkrete
Lebenswirklichkeit" zu bitten, gewinnt innerhalb und außerhalb der
großen Kirchen die charismatische Bewegung zunehmend an Boden,
die „augenblicklich in besonderer Weise auf .Zeichen und Wunder'
und auf einen triumphalistischen Entwurf von Christsein" setzt, der
„mit einer Veränderung der paulinischen Kreuzestheologie" cinher-
geht (80.

Das Buch möchte auch für diejenigen lesbar sein, „die zu wissenschaftlichen
Bibclstudien sonst keinen Zugang finden". Entsprechend
ist es übersichtlich gegliedert, läßt sich auch auf elementare Fragen
ein und stellt die einschlägigen neutestamentlichen Überlieferungen

und Positionen erfreulich klar dar, meist im Rückgriff auf neuere
Spezialliteratur, bisweilen auch in selbständiger, vom Leser mitvoll-
ziehbarer Textanalyse und Argumentation.

Ausgangspunkt ist die Vollmacht des historischen Jesus (11-20),
deren wichtigstes Strukturmoment das „Identisch-Sein Jesu mit dem
Willen Gottes" (12), aus dem Jesu Souveränität gegenüber der Tora
ebenso erwächst wie seine Wundermacht. Die Machttaten bringen das
Reich Gottes punktuell und zeichenhaft zur Geltung und machen
deutlich, „daß dort, wo Gottes Kraft auf den Plan tritt, weltimmanente
Kausalität nicht das letzte Wort hat" (14).

Die (vorösterliche) Sendung und Bevollmächtigung der Jesusjünger
(21-33), wie es aus Mk und Q zu rekonstruieren ist, umfaßt auch die
Vollmacht über Dämonen und zu Krankenheilungen. Sie setzt einen
besonderen Akt der Bevollmächtigung durch Jesus voraus: Er gab
„seinen Jüngern durch performatives Zusprechen an seiner charismatischen
Vollmacht Anteil" (29). Diesen Akt der „Geistübertragung"
unterstützt Jesus durch die Belehrung über die Kraft des Glaubens
(vgl. Mk 11,220, schärft den Jüngern aber auch ein, daß sie mit ihren
Machttaten „das Werk Jesu (. ..) betreiben, nicht ihr eigenes" (33),
und warnt sie davor, den Stellenwert des vollmächtigen Handelns zu
hoch zu veranschlagen (Lk 10,17-22).

Glaubensvollmacht und Machtwirken der ersten Christen nach
Ostern knüpfen an die vorösterlichen Erfahrungen vollbrachter
Machttaten an, bekommen aber durch die Geistausgießung zu Pfingsten
eine neue Basis.

Die Auswertung der synoptischen Evangelien (34-66) erbringt zunächst
Auskünfte über das Selbstverständnis und die Praxis der aller-
frühesten christlichen Charismatiker. R. übernimmt dabei die formgeschichtliche
Annahme einer paradigmatischen Funktion der
jesuanischen Wundergeschichten, wonach die urchristlichen Wundertäter
sie als Anleitung lür ihr eigenes Wuntertun benutzten, und
konkretisiert sie: „Dadurch, daß man die Wunder Jesu immer wieder
erzählte und sich an ihnen inspirierte, baute man in einer für uns nicht
mehr nachvollziehbaren Weise ein bestimmtes semantisches Universum
auf, das einen faktischen Nachvollzug der Machttaten Jesu überhaupt
erst möglich machte" (38) - ein Vorgang, für den R. auch in
heutigen charismatischen Kreisen Analogien kennt. Auf der Ebene
der Eangeienredaktion wird dieses elementare Verständnis von
Glaubensvollmacht zwar nicht getilgt, jedoch durch reflektiertcre
Aussagen ergänzt und verändert. Mißerfolgserfahrungen werden verarbeitet
- R. arbeitet dies exemplarisch in einer interessanten Analyse
von Mk 11.12-25 heraus-, die Wundergeschichten paränetisiert und
spiritualisiert und - wie auch Jesu Logien zum Thema - in den jeweiligen
theologischen Gesamtentwurf eingebunden.

Das Johannesevangelium (67-84) spricht das Thema nur wenige
Male (in Joh 14-16) an. bietet aber gleichwohl eine „höchst eigenständige
Vollmachtstheologie" (67). Kennzeichnend sind die christo-
logische Ausrichtung und Begründung des Vertrauensglaubens sowie
das Gegenüber und Ineinander von Vollmacht und Ohnmacht im
johanneischen Entwurf christlicher Existenz.

Während die Apostelgeschicluc. der I. Johannes-, der Jakohus- und
der Hehräerbrie/'{85-&) das zuvor gewonnene Bild eher punktuell
ergänzen, findet R. bei Paulus (109-139) das ganzheitlichste und
theologisch am stärksten reflektierte Verständnis von Glaubcnsvoll-
macht im Neuen Testament. Betont stellt er das positive Verhältnis
des Paulus zum vollmächtigen und Wunder wirkenden Vertrauensglauben
an den Anfang: Er ist selbst als Wundertäter aufgetreten und
begriff dies als konstitutiven Aspekt seines Apostolats, auch wenn die
Machttaten bei ihm nicht im Mittelpunkt stehen. Erst auf diesem
positiven Hintergrund sind die gegenläufigen Aussagen richtig einzuschätzen
, in denen er die Machttaten dem Kritierium des Gcmeinde-
aufbaus unterwirft und einem triumphalistischen Enthusiamus gegenüber
die „Dialektik von Vollmachtsbewußtscin und Leidensbercit-
schaft" (137) geltend macht, die dem Kreuz Christi einzig entspricht
und für die Paulus selbst mit seiner Biographie das beste Paradigma
ist.