Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1990

Spalte:

531-532

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Jens, Walter

Titel/Untertitel:

Dichtung und Religion 1990

Rezensent:

Siebert, Klaus

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

531

Theologische Literaturzeitung 1 15. Jahrgang 1990 Nr. 7

532

fatiuskirche. die nach ihrer barocken Wiederherstellung als Neue
Kirche bezeichnet wurde, heute Bachkirche genannt. - S. 8, Z. 11
muß es,,Kreuzchor" statt „Kruzianerchor" heißen.

Leipzig Hartmut Mai

Jens. Walter, u. Hans küng: Dichtung und Religion. Pascal, Gry-
phius. Lessing. Hölderlin. Novalis, Kierkegaard, Dostojewski,
Kafka. München-Zürich: Piper (Lizenzausgabc des Kindler Verlages
, München) 1988. 336 S. 8° = Serie Piper. 901. Kart.
DM 18,80.

Den „beständigen Zweideutigkeiten", die das Verhältnis zwischen
Literatur und Glauben seit Beginn der Neuzeit kennzeichnen, gehen
die beiden Gelehrten schon seit langem nach: Dem bemerkenswerten
Tübinger Symposion 1984 zu ..Theologie und Literatur" folgte die
Vorlesungsreihe, in der sich unter jeweils wechselnden Schwerpunkten
der Annäherung sowohl der Literaturwissenschaftler. Schriftsteller
und Rhetorikprofessor Walter Jens einerseits als auch der Theologe
Hans Küng andererseits mit einer der großen Gestalten europäischen
Geisteslebens in den letzten drei Jahrhunderten auseinandersetzten
. Daraus ging der 1985 bei Kindler (München) veröffentlichte
Band mit den 16 Essays hervor, deren Erscheinen als Taschenbuch
der Serie Piper nun eine weite Verbreitung zu wünschen ist.

Pascal und Kafka markieren die zeitlichen Eckpunkte jenes grandiosen
..Denk"- und Kunstraums, in welchem sich - wie es im Vorwort
heißt - „Aufweis der großen Linien und Bezeichnung signifikanter
Einzelheiten" einander ergänzen sollen: „Konstanten und Variationen
im großen Gespräch, das die Schriftsteller seit dem 17. Jahrhundert
über Möglichkeiten und Grenzen des Glaubens in aufgeklärter
Zeit führen" (S. 7). Dieser Diskurs ist voller Ambivalenz, „zwieträchtiger
Einheit, wechselseitiger Erhellung", und will in provokanter
, ja oft schockierender Weise einer dialektisch-spannungsvollen
Ein-Sicht, einer „überblicksartigen Landvermessung" (S. 7) dienlich
sein. Da die Autoren diese wechselseitigen Kenntnisse des historischen
Überblicks, der Dichter und der Dichtung, selbst auch vom
jeweils anderen Fachgebiet mit einzubringen vermögen, ist die Lektüre
außergewöhnlich reizvoll.

Natürlich interessiert sich Küng vornehmlich für den Paradigmenwechsel
der Theologie. Jens dagegen stärker für die Aufnahme der
unvergleichbaren Person und Botschaft des Jesus von Nazareth im
Werk der Schriftsteller, doch beider Bemühungen umkreisen diese
Themen exemplarisch und nicht nur im historisch-kulturellen Kontext
des literarischen (Euvres. sondern sie ziehen die Linien aus für
uns, in unsere Gegenwart - bis zu den Katastrophen von Auschwitz
und denen des Archipel Gulag.

Die essayistischen Doppelinterpretationcn sind zugleich Einführungen
in die vielfältigen Formen der literarischen Genres: Sie gelten
dem philosophisch-theologischen Essay in Blaise Pascals «Pensees»,
Novalis' „Die Christenheit oder Europa" und Sören Kierkegaards
„Einübung im Christentum"; der Lyrik des 17. Jahrhunderts im Werk
Andreas Gryphius und der des 18. mit den Hymnen Friedrich Hölderlins
; der Dramatik in Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise"
und dem modernen Roman des vergleichsweise kurzen Zeitabschnitts
nur eines halben Jahrhunderts von Fjodor Michailowitsch Dostojewskis
„Die Brüder Karamasow" (1880) bis zu Franz Kafkas „Das
Schloß" (1926). Ihr inhaltlicher Interprctationsbogen aber reicht von
der „Religion im Aufbruch der Moderne", wie Küng seine Pascal-
Interpretation überschreibt, bis zu deren „Zusammenbruch", die er
an Kafkas Roman glaubt festmachen zu können.

Verbindend aber über Formvariationen und kulturgeschichtlich
bedingte, gänzlich unterschiedliche Denkansätzc reicht hinaus das
allen Autoren gemeinsame, elementare Interesse an der Religion, und
das heißt anfangs wie selbstverständlich an christlicher. Aber schon
mit der Gestaltung der Geschichte des Juden Nathan muß auf das bis
heute Uneingelöste von Kirchen und Theologie verwiesen werden,
denn „solange eine sich modern gebende Theologie unkritisch mit

I

angeblich übervernünftigen christlichen .Mysterien' (katholisch) und
.Paradoxen' (protestantisch) arbeitet, die dem Jesus des Neuen Testaments
fremd sind: Solange haben diese Kirchen und Theologen Lessing
und die Aufklärung nicht hinter, sondern vorsieh!" (S. 100). Jens
und Küng sehen beide in Lessings Mühen eine Station auf dem weiten
Weg „zur Versöhnung der Religionen und der Emanzipation der Vernunft
" (S. 117). Er „hat Vorschläge gemacht" (ein Brecht-Satz), die
bis heute nicht angenommen, geschweige denn verwirklicht sind.
Jens: „Der Muselmann begnadigt den Christen, der Christ rettet die
Jüdin aus dem Feuer, der Jud nimmt, auf der höchsten Stufe der
Humanität, die Christin auf. deren Glaubensgenossen kurz, zuvor
seine Familie ausrotteten" (S. I 19).

Nicht von ungefähr schließt der Band mit der Analyse des Romanfragments
„Das Schloß" des Außenseiters Franz Kafka, des Juden
unter den Christen. Er vermochte mit einer Zeile aus dem Roman-
Nachlaß, also für die Dauer eines einzigen Satzes, „das Idealbild des
Kreuzes" zu zeigen: „Laßt den Menschen, wer immer er sei, nicht verkommen
" (S. 323). Quintessenz der Bemühungen von Jens und Küng
um „eine Literatur im Zeichen Jesu von Nazareth". an deren Ende
eine Charakteristik des Arztes Dr. Robert Klopstock von Franz Kafka
aus dem Jahre 1921 zitiert wird: „Seine Führer sind Jesus - und
Dostojewski"; Theologie und Literatur, so schließt Jens an, „unter
dem Aspekt einer concordia discors vereint, deren Weite und Polyva-
lenz zu verdeutlichen Ziel dieser acht Prosa-Entwürfe war" (ebd.).

Es sind herausfordernde Essays, also Versuche im Wortsinne,
zweier Autoren, die sich ihrer Sache durchaus „sicher" sind. Auch
wenn man ihnen auf dem einen oder anderen Analyse-Pfad zu folgen
nicht bereit ist. um „Harmonisierung" der verschiedenen Zugänge
sind sie nicht bemüht - sie ist dem Leser aufgegeben.

Nachbemerkung und ausgewählte Literaturhinweise danken für
gelehrten Beistand - sie sollten aber nicht dazu verleiten, den ungewöhnlichen
und höchst eigenständigen Zugang zu diesem Thema
zu unterschätzen - ein interdisziplinäres Beispiel von Rang.

Dresden Klaus Stieben

Systematische Theologie: Allgemeines

Gregson. Vernon [Ed.]: The Desires of the Human Heart. An Intro-
duetion to the Theology of Bernard Lonergan. New York-
Mahwah: Paulist 1988. XIV. 309 S. 8". Kart. $ 12.95.

Vorliegender Sammelband enthält 14 Aufsätze über die Theologie
von Bernard Lonergan. Der im deutschsprachigen Raum wenig
bekannte Jesuit (1904-1984) dozierte Theologie zuerst in seiner Heimat
Canada und dann an der Gregoriana Universität in Rom, bis er
1965 aus Gesundheitsgründen nach Toronto zurückkehrte. 1971-72
lehrte er an der Harvard University. Das "Lonergan Research Institute
" des Regis College von Toronto hat angefangen, die "Collected
Works of BL" bei der University of Toronto Press zu veröffentlichen.
Zwei Hauptwerke markierten die schriftstellerische Tätigkeit L.s:
1957 veröffentlichte er sein fundamentales Werk: "Insight. A Study of
Human Understanding"; 1972 "Mcthod in Theology". Das erste
Werk ist der Erhellung des menschlichen Subjektes gewidmet, insofern
es durch den Vollzug seiner Intcntionalität zur Erkenntnis der
Wirklichkeit und zum Guten gelangt. Das andere Werk stellt das
Resultat einer lebenslänglichen Reflexion über die im heutigen geistesgeschichtlichen
Kontext geeignete Methode der Theologie dar, für
die die vorhin genannte philosophische Abhandlung als Vorbereitung
galt. Als Resultat seiner Untersuchung des auf die Erfahrung angewiesenen
, intelligenten, rationalen und verantwortlichen Subjektes faß'
L. die Theologie auf als ein dynamisches Ganzes aus acht „funktionalen
Spezialisierungen", die ihre Einteilung, ihren Zusammenhang
und ihre Normen vom intcntionalen Bewußtsein erhalten.

Der Band setzt sich zum Ziel, in die Methode und Theoiogie L-*