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Ausgabe:

1990

Spalte:

527-529

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Lüpke, Johannes von

Titel/Untertitel:

Wege der Weisheit 1990

Rezensent:

Schultze, Harald

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 7

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geblich mitverantwortlich. In dieser Hinsicht fordert er Veränderungen
. Von der weltlichen Obrigkeit erwartet er die pflichtgemäße Ausrottung
der Ketzer.

Nach der großen Einschaltung wird der Antichrist-Teil schnell zu
Ende gebracht (187-189). Auch typographisch abgesetzt folgt der
Schlußteil des Buches, die Darstellung des Jüngsten Gerichts
(190-235). Er ist in engem Anschluß an die biblische und kirchliche
Tradition (z. B. Fünfzehn Zeichen, 12 Freuden der Erlösten und die
Qualen der Verdammten) gestaltet. Angehängt ist ein umfangreicher
Dank an Herzog Karl von Geldern und Jülich (235-239), den Förderer
des Werkes, dessen Wappen auch die Schlußseite (240)
schmückt.

Die vorwiegend philologisch akzentuierte Einleitung kann den
noch ausstehenden Kommentarband nicht ersetzen. Manche Bezüge,
einschließlich Zitatnachweise, müssen offenbleiben. Genauerer Aufschluß
ist wohl auch über die Partien zu erwarten, in denen der altkirchliche
Autor auf konkrete zeitgenössische Ereignisse anspielt. Das
betrifft insbesondere die Verhältnisse in Bremen, über die der Autor
Informationen besessen haben muß. So sicher, wie E. Schütz annimmt
(XXXIV Anm. 24), ist es nicht, daß sich die Invektiven gegen den
nicht mit Namen genannten Mönch und Prediger in Bremen auf
Heinrich von Zütphen allein beziehen. Es könnte auch der seit Mai
1524 in Bremen tätige Jakob Propst damit gemeint sein (vgl. 96,
121-123, 182). Weiterhin verdient festgehalten zu werden, daß unser
Anonymus, der sein Buch ,,myt godes hulpe vu ingeuinge des hilge
geestes" geschrieben haben will (4), zu dem Legendenkranz um
Luthers Geburt seinen Beitrag leistet. Von einem Geistlichen und ehemaligen
Mitschüler will er glaubhaft erfahren haben, Luther stamme
aus der illegitimen Verbindung einer Bademaid und einem Juden
(1240- Bereits in der Schule habe ihm der Rektor vorausgesagt, er
werde ,,de quadeste ketter Warden" (125). Die antijudaistisch akzentuierte
Legende von Luthers unehelicher Geburt und der Abstammung
von einer Bademagd ist 10 Jahre später durch Petrus Sylvins
durch die Variante einer illegitimen Verbindung mit dem Satan ersetzt
worden. Cochläus hat für die entsprechende Verbreitung dieser
Fassung gesorgt (vgl. O. Clemen: Kleine Schriften. Hg. von E. Koch.
Bd. 2. Leipzig 1983,2770-

Die Reformationshistoriker erhalten mit der vorliegenden Edition
einen Einblick in das noch ungenügend erschlossene Gebiet der
frühen antireformatorischen Polemik in den Niederlanden. Einer eindringenderen
Kenntnisnahme setzt die Sprachgestalt gegenwärtig
noch Grenzen. Ein baldiges Erscheinen des angekündigten zweiten
Teiles, der auch die normalisierte Textfassung enthalten soll, wäre
wünschenswert.

Berlin Siegfried Bräuer

Lüpke, Johannes von: Wege der Weisheit. Studien zu Lessings Theologiekritik
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1989. 261 S.
gr. 8' = Göttinger theologische Arbeiten, 41. Kart. DM 54,-.

Es ist kein Zufall, daß Lessings Theologiekritik seit mehr als 200
Jahren immer wieder Theologen und Philosophen zur Interpretation
herausgefordert hat. Es ist ebensowenig Zufall, daß diese Interpretationen
höchst unterschiedliche Akzente gesetzt, ja sich gegenseitig
wiederum heftig kritisiert haben. Seit Diltheys, Leisegangs und Thie-
lickes richtungweisenden Studien geht es immer wieder darum, ob
von einem Humanitätsethos, von einem im Grunde pantheistischen
Gottesverständnis oder einer christlichen Kern-Identität aus Lessings
Wegmarkierungen zu deuten sind. In neuerer Zeit sind andere, eher
antimetaphysische Entwürfe hinzugetreten. Theologische Lessingforscher
haben, unter Überprüfung seines apologetischen Interesses
(Pons), seines Vorsehungsglaubens (Schilson) oder des komplizierten
Schlüsselbegriffs der .inneren Wahrheit' (Gericke) Differenzierungen
eingebracht.

In dieses höchst lebendige Gespräch greift nun Johannes von Lüpke

mit seiner umfangreichen systematisch-theologischen Studie ein
(einer Tübinger Dissertation von 1985, die für den Druck überarbeitet
wurde). Unter dem programmatischen Titel „Wege zur Weisheit"
bemüht er sich um einen neuen, eigenständigen Zugang zu dem theologischen
Denken Lessings. Er geht entschlossen davon aus, Lessings
Werk als das zu nehmen, als was es sich selbst darstellt: als Theologiekritik
. Mit dieser Einordnung ist aber nicht der Verzicht auf theologisches
Denken eingeschlossen. Lüpke erkennt vielmehr, daß Lessings
Theologiekritik „die Freisetzung der Selbstkritik im Vollzug theologischen
Denkens" beabsichtige: „Sie intendiert die Einholung der
Theologie in den Raum religiös begründeter Weisheit, innerhalb dessen
sie den ihrer Sache entsprechenden Vernunftgebrauch nur gewinnen
kann." (11)

Religiös begründete Weisheit: dies ist die systematische Kategorie,
die Lüpke erlaubt, einerseits einen strengen, an der christlichen Offenbarung
gewonnenen Theologiebegriff aufzubrechen und andererseits
auf die Vielschichtigkeit des aufklärerischen VernunftbegritTs positiv
einzugehen. „Weisheit ist Kritik des theologischen Wissens, indem sie
den Geheimnischarakter des Gegenstandes der Theologie bewußt
werden läßt und indem sie die Kraft der menschlichen Vernunft in
unaufhebbarer Abhängigkeit vom alles durchdringenden und umgreifenden
göttlichen Logos weiß. Der Horizont, in den die endliche Vernunft
sich hineingestellt sieht, ist zugleich der Grund, der sie zur
Selbstkritik nötigt." (32) Mit dieser Kategorie der Weisheit wird ein
Ertrag alttestamentlicher Forschung in die Diskussion eingebracht,
der erlaubt, insbesondere den Erkenntnisweg wie auch die Bewährung
der Weisheitserkenntnis in der Praxis des Lebens einzubeziehen.

Dies eröffnet in der Tat neue Zugänge zu zentralen Texten im
Lebenswerk Lessings. Zunächst werden frühere Fragmente als Zeugnisse
des individual- und universalgeschichtlichen Zweifels (.Die Religion
'; ,Gedanken über die Herrnhuter') und der metaphysischen Vergewisserung
(.Christentum der Vernunft') interpretiert. Aus der Zeit
des Fragmentenstreites werden drei Schlüsseltexte untersucht (.Über
den Beweis des Geistes und der Kraft'; .Das Testament Johannis';
.Eine Parabel'). Den größten Umfang nehmen aber die drei Hauptschriften
aus den Jahren 1777-1780 ein: .Ernst und Falk', .Die Erziehung
des Menschengeschlechts' und .Nathan der Weise'. Sorgfältige
Analysen der Aussagestrukturen (Parabel, Dialog, Erzählung), des-,
Bezugshintergrundes und der philosophischen wie theologischen Inhalte
zeugen von intensiver Beschäftigung mit den Texten wie von
produktiver Auseinandersetzung mit der kaum noch überschaubaren
Sekundärliteratur.

Mit dem zentral theologisch verstandenen Begriff der Weisheit
gelingt es Lüpke, die Polarisierung des Wahrheitsverständnisses zu
überwinden: Weisheit ist mehr als das, was die Aufklärung als Vernunft
dachte - ist aber auch nicht einfach zu identifizieren mit der
Offenbarung im klassisch-theologischen Verständnis. Sie ist auf Gottes
Wirklichkeit bezogen und gerade so dem menschlichen Erkennen
zugänglich: „Menschliche Vernunft vollendet sich in dem Maße, in
dem sie sich im Bewußtsein eigenen Unvermögens der ,geheime(n)
Kraft' der göttlichen Gnade öffnet." (124) „Der Vernunft eignet insofern
eine Mittlerfunktion, als sie den Menschen in ein schöpfungsgemäßes
Verhältnis zu Gott setzt." (122) Wegen dieser wesentlichen
Identität der Weisheit mit Gott selbst ist es zugleich sachgemäß, daß
diese Weisheit Geheimnis ist. Der Mensch bedarf des eigenen, freien
Erkenntnisweges, um sich ihr zu nähern. Auf der Basis dieser Einsicht
wird zugleich Lessings .Theaterlogik', wie sie Goeze abschätzig
nannte, als sachgemäßer Zugang zur Weisheit verstehbar: Parabel und
Erzählung, Metapher und Dialog sind die Entsprechung zu dem
Geheimnischarakter der Wahrheit.

Diesem Verständnis der Weisheit ist die Praxis der guten Tat zugeordnet
. Die starke Betonung der Tugend der Nächstenliebe (.Das
Testament Johannis', .Nathan') kommt damit nicht mehr in den Verdacht
einer skeptischen Flucht aus der Unwegsamkeit rational-theologischen
Denkens. Auf der Basis einer tiefschürfenden Interpretation
sowohl der Rahmenhandlung wie der Ringparabel im Nathan gelang'