Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1990

Spalte:

523-525

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Witte, Karl Heinz

Titel/Untertitel:

Der Meister des Lehrgesprächs und sein "In-principio-Dialog" 1990

Rezensent:

Hoffmann, Fritz

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

523

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 7

524

len die ökumenischen Leiter ebenfalls eine Selbstreinigung untragbarer
Persönlichkeiten in Deutschland sowie eine Erklärung, die „in
geeigneter Weise die Schuld des deutschen Volkes und auch die
Schuld der Kirche zur Sprache" bringen würde.

Die Darstellung in diesem ersten Band wird mit Bischof Wurms
Vorbereitungen im Juni im Blick auf eine gesamtevangelische
Neuordnung abgeschlossen. Zu Recht wird dabei die Wandlung in
Wurms Ansicht hervorgehoben. Seine Reden unmittelbar nach
Kriegsende waren vor allem auf tröstende Zusage für die geplagte
Bevölkerung angelegt, allerdings mit „einer guten Prise Patriotismus"
verbunden, der Jedes Eingeständnis einer Schuld der Kirche vermissen
ließ". Im Laufe des Sommers betonte Wurm aber immer starker
die Unmöglichkeit einer bloßen Restauration der Kirchenverfassung
von 1933 und plädierte statt dessen für eine „Regeneration". Mit
Wurms Reise durch Deutschland mit Bethel als wichtigster Station
wurde die Basis für die Kirchenkonferenzen von Frankfurt und Treysa
geschaffen, und damit schließt die Einleitung.

Bei aller Objektivität der Sicht wird die Beschreibung indes nie verwischend
. Stellenweise ist die Charakterisierung sogar augenfällig
scharf, z. B. in bezug auf H. Brunotte, dessen Rückgriff auf die DEK-
Verfassung von 1933 in ein negatives Licht rückt, welches um so
greller wirkt, wenn er als ein „wendiger Kirchenbeamter" (S. 28)
bezeichnet wird.

Die Dokumente vermitteln in der Tat einen Einblick erster Hand in
die historische Lage. Manche Einzelheiten treten hier neu an den Tag,
und die Denkweise der wichtigsten Personen und Gruppierungen
rücken manchmal in ein differenzierteres Licht. Vorwiegend werden
bisher unveröffentlichte Dokumente abgedruckt. Es nimmt kein
wunder, daß die wichtigsten Fundorte die landeskirchlichen Archive
in der Bundesrepublik, das Archiv des Weltkirchenrates, sowie die
Archive der westlichen Besatzungsmächte sind. Bei der Fülle des
edierten Materials wäre es unangemessen, wollte man sich in der jetzigen
Lage noch mehr wünschen. Als Gedankenexperiment könnte
man sich aber vorstellen, daß - mit der Fortsetzung der Veränderungen
in Mittel- und Osteuropa - künftige Fortschritte in der Erforschung
der kirchlichen Zeitgeschichte sich dann ergeben werden,
wenn kirchliche und staatliche Archivbestände in diesen Ländern
leichter zugänglich werden.

Die hier edierten Quellen erstrecken sich von einer ausführlichen
Denkschrift vom Dez. 1943 über die Lage der evangelischen Kirche in
Deutschland, verfaßt von W. A. Visser't Hooft, einem ebenfalls in
Genf verfaßten Memorandum über Bischof Wurm, bis zu Wurms
Brief vom 28. Juni 1945 (in Bethel geschrieben) an die landeskirchlichen
Leitungen, in welchem sein Anspruch deutlich wird, als Leiter
der gesamten evangelischen Kirche in Deutschland aufzutreten.

Bei allem Lobenswerten an dem Band erscheint es doch als wenig
sachgemäß für den Gebrauch als Arbeitsbuch, daß gegen Ende der
Einführung auf Dokumente verwiesen wird, die erst in dem folgenden
Band abgedruckt werden sollen.

Aarhus Jens Holger Schjorring

Dogmen- und Theologiegeschichte

Witte, Karl Heinz: Der Meister des Lehrgesprächs und sein ,In-
principio-Dialog'. Ein deutschsprachiger Theologe der Augustinerschule
des 14. Jahrhunderts aus dem Kreise deutscher Mystik und
Scholastik. Untersuchung und Edition. München-Zürich: Artemis
1989. IX,250 S. gr. 8° = Münchener Texte und Untersuchungen zur
deutschen Literatur des Mittelalters, 95. Lw. DM 58,-.

Dieses Werk ist ein unentbehrlicher, mit größter Zuverlässigkeit
erarbeiteter Beitrag zur Erforschung der deutschsprachigen Scholastik
und Mystik des Mittelalters. Die Arbeit des Vf. bewegt sich in mehreren
Richtungen.

Zuerst wird das Werk und sein Autor vorgestellt und analysiert.

Dazu gehören nicht nur das handschriftliche Kolorit (S. 9-13), sondern
auch die formalen und inhaltlichen Verbindungslinien zu zwei
weiteren Werken desselben Autors (S. 4f; 147-184). Grundlage dafür
ist natürlich die Edition des Textes (S. 14-60), die mit größter Sorgfalt
erstellt wurde.

Eine zweite Aufgabe sah Witte in der Darstellung der „theologischen
und philosophischen Position des ,ln-principio-Dialogs" Ihr
ist der zweite Teil (S. 63-143) gewidmet. Er enthält drei Kapitel:
Seinslehre und allgemeine Gotteslehre (S. 63-110), Trinitätslehre (S.
111-128), Ideenlehre (S. 129-143). Die aus der dogmatischen Systematik
geläufigen nüchternen Uberschriften verraten nichts von der
spirituellen Motivation, die den Meister-Schüler-Dialog mit faszinierender
Lebendigkeit eines tiefen Glaubens erfüllt. Die theologische
Erkenntnis wird begleitet und sublimiert von einer religiösen Erfahrung
, die bis zur mystischen Gottinnigkeit führen kann. Folgerichtig
ergeben sich dabei Gemeinsamkeiten mit Bonaventura, Einflüsse von
Meister Eckhard und Richard von St. Viktor, Perspektiven zu Nikolaus
Cusanus, um nur einige Namen zu nennen. Mit Sachkenntnis
und großer Sorgfalt werden die theologischen und philosophischen
Verbindungslinien zu den Autoritäten der Scholastik gezogen, wobei
sehr genau zwischen Abhängigkeiten und Analogien unterschieden
wird. Diese Rückbindung an die Magister der Scholastik, die Vf. sowohl
in der Textedition wie im systematischen Teil durchführt, ist für
uns mindestens von dreifacher Bedeutung: Sie zeigt die feste Verankerung
dieser deutschsprachigen Theologie in der scholastischen Lchr-
tradition (über Petrus Lombardus bis zu den Vätern hin). Sie ist ein
Lehrbeispiel für die mögliche Synthese von (abstrakter) theologischer
Systematik und Glaubenserfahrung. Sie erweist die Möglichkeit, die
im lateinischen Sprachidiom ausformulierten Theologumina korrekt
in die deutsche Sprache zu vermitteln. Zu beachten ist, daß ein
solcher Erweis mit dem ,In-principio-Dialog' bereits im 14. Jh. vorgelegt
wurde. Gewiß kennen wir noch andere Zeugnisse deutschsprachiger
theologischer Literatur des Mittelalters wie etwa die deutschen
Predigten Meister Eckharts. die moselfränkische Vaterunsererklärung
des Nikolaus von Kues, die .Theologia deutsch'; doch mit Ausnahme
vielleicht des letzten ist kaum ein Traktat mit solch systematisch
durchformulierter Zielstrebigkeit erstellt worden wie der hier edierte
Dialog.

Der dritte Teil: Konturen des unbekannten Autors, bringt Vergleiche
mit zwei weiteren Traktaten des anonymen Autors: Dem
,Gratia-Dei-Traktat' und der umfangreichen Schrift: .Des menschen
adel, val und erlösung' (1. Kapitel, S. 147-161). Konsequenterweise
erfordert dies ein Vorgehen auf formaler und inhaltlicher Ebene: Im
Kap. 2: Die Dialogform (S. 162-177), steht .der Meister-Jüngling-
Dialog als Methode der Untersuchung' (S. 170ff) im Mittelpunkt. Im
Kapitel 3 (S. 178-184) geht Vf. den inhaltlichen Übereinstimmungen
nach. Mit diesen drei Kapiteln ist die Vorarbeit geleistet, um die theologische
Position des Autors zu orten und eine These über den Verfasser
zu wagen (Kap. 4-6, S. 185-208). Witte zeigt, daß unser Dialog
von typisch augustinischem Lehrgut getragen ist. Was darunter zu
verstehen ist, wird exakt und zusammengefaßt dargestellt (S-
198-200). Für die Verfasserschaft stellt Witte eine These auf: Thomas
von Straßburg. Er begründet sie mit Daten aus dem Leben und
Wirken dieses Magisters. Aber er geht dabei mit aller Vorsicht zu
Werke und behält die Entscheidung der weiteren Forschung vor
(S. 201-208).

Edition und Textanalyse, wie sie hier von Witte vorgelegt werden,
bilden die solide Grundlage für weitergehende Forschung. Dazu
dürfte auch eine Thematik gehören, die dem wechselseitigen Einfluß
von Sprachidiom und philosophisch-theologischer Theorie nachgeht-
Längst hat es sich gezeigt, daß hebräische Texte nicht ohne Bedeutungswandel
in das Griechische oder Lateinische übertragbar sind.
Dies gilt für jeden Überschritt von einem Sprachidiom ins andere,
besonders wenn zwischen ihnen eine hermeneutische Schwelle liegt-
d. h. wenn die Sprache als Wortwerdung einer unterschiedlichen Erfahrung
von Religion, Gemeinschaft, Person, Lebenssinn u. dg'-