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Ausgabe:

1990

Spalte:

467-469

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stenger, Hermann

Titel/Untertitel:

Verwirklichung des Lebens aus der Kraft des Glaubens 1990

Rezensent:

Haustein, Manfred

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Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 6

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Präsenz „mit anderen Mitteln" zu bewerkstelligen sucht, auf den Plan
rief. Nicht mehr die Kirche war hier im Mittelpunkt, sondern das
Christentum als geschichtlich-gesellschaftliche Größe. Die folgende
treffliche Beschreibung des Aufgabenspektrums von Praktischer
Theologie und Religionspädagogik, das für die Religionspädagogik in
der sozialkulturellcn Lcbenswelt des Christentums, für die Praktische
Theologie aber in der Kirche seinen Ort hat, ist ein Kabinettstück.
Den letzten Abschnitt widmet Gräb dem nach den vorausgehenden
Erörterungen schwierigen Problem der trotz allem notwendigen
Einheit der Praktischen Theologie unter Einschluß der Religionspädagogik
. Gräb sieht die Möglichkeit einer solchen Einheit der
Praktischen Theologie als Frage nach dem Zugang zur christlichen
Religion und der Religionspädagogik als elementare Dogmatik, als
Lehre in der Gesellschaft, in einer Einigung über den konstitutiven
Richtungssinn der von beiden Wissenschaften zu verantwortenden
Praxis, den der Autor in der Rcchtfertigungsleh.re sehen möchte. „Die
ihre Einheit am Leitfaden der Rechtfertigungsichre beschreibende
Praktische Theologie bindet diese Einheit jedenfalls an nichts anderes
als an den sich in der Vielfalt ihrer Praxisfelder konkretisierenden
Vollzug einer theologischen Urteilskraft, die sich in der Fähigkeit des
Unterscheidens von Gesetz und Evangelium zeigt". (73)

Christoph Bizer geht es in seinem Beitrag um eine Uberwindung
sowohl der kirchentümlichen Verengung praktisch-theologischer
Arbeit als auch der Fixiertheit der Religionspädagogik auf eine
wissenschaftliche Abständigkeit von der Kirche. Dabei helfe die
Erinnerung an katechetische Entw ürfe des 19. Jh. .

Aber da ist noch mehr zu linden im JRP: Erich Feijel problemati-
siert die katechetische Diskussion in der katholischen Welt, Eckart
Schwerin skizziert die „Zentralen Probleme der Katechetik in der
DDR", die er auch in einem Auseinanderklaffen zwischen Theorie
und Praxis begründet sieht, Klaus Gossmann beschreibt den Stand der
Evangelischen Gemeindepädagogik, die m. E. immer noch keinen Ort
in der Praktischen Theologie, aber auch nicht in der Religionspädagogik
gefunden hat. Der Religionsunterricht für Gehörlose und Schwerhörige
steht im Mittelpunkt eines Artikels von D. Gewalt, und Gloria
Durka fragt nach der Aufgabe religiöser Erziehung im Umfeld der
Problematik Frauen und Macht. Christof'Bäumler sichtet die neuere
Literatur zur Praxistheorie kirchlicher Jugendarbeit und setzt dabei
Akzente, und Dieter Baltzer steuert einen informativen Literaturbericht
zum Religionsunterricht in derGrundschule bei.

Vervollständigt wird das Angebot durch Berichte über eine Fachtagung
zum Problem der Glaubensentwicklung und des religiösen
Urteils aus der Feder von A'. /;'. Nipkow und F. Schweitzer, über zwei
empirische Untersuchungen zum Problem „Jugend aufdem Kirchentag
" von Inarid Lukatis, über eine empirische Untersuchung zum
Verhältnis von Familie und religiöser Sozialisation in den Niederlanden
von P. van der Ploeg und über das theologische Ausbildungsprogramm
des Ökumenischen Rates, das eine „Theologie von unten"
favorisiert von Sam Amirtham. Kritische Rezensionen gelten dem
„Grundriß der Praktischen Theologie" von D. Rössler aus einer Sicht,
die Beachtung heischt. Samuel Laeuchlis „Spiel von dem dunklen
Gott" und John M. Hulls "What prevents Christian adults from
Leaning?"

Wahrhaft ein gewaltiger Rundgang, der hierzu beschreiben war und
fürden den Herausgebern und den Autoren Dank gebührt.

Bern Klaus Wegenast

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Stenger. Hermann: Verwirklichung des Lebens aus der Kraft des
Glaubens. Pastoralpsychologische und spirituelle Texte. 2. Aufl.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1989. 209 S. 8". Pb. DM 24.80.

Das vorgelegte Buch, eine Aufsatzsammlung, erscheint in der
zweiten unveränderten Auflage mit einem neuen Titel. Die Erst-
auflage(1985) hieß: „Verwirklichung unter den Augen Gottes. Psyche
und Gnade". Dieser vom Verlag angeregte Wechsel erscheint günstig,
vom Inhalt her trefflicher.

Das entscheidende Wescnsmerkmal der zwanzig aufgenommenen
Aufsätze ist die beeindruckende Synthese von Humanwissenschaft
und existentieller Theologe, von psychologischer Einsicht und ungeschmälerter
, authentischer Spiritualität, eine Synthese, die zunehmend
gefordert wird und bislang so selten überzeugend erscheint.
Obwohl die Aufsätze in einem starken Maße durchdrungen sind von
Psychologie-Rückgriffen auf Freud und Jung, (mit letzterem setzt sich
Stenger im Eröffnungsaufsatz „Gloria in profundis Deo! Gott und das
Unbewußte-C. G. Jung und die Religion" speziell auseinander, aber
auch Erkenntnisse Gcbsattels, Rogers', Tauschs, Maslows, Eriksons.
Carusos, Brochers u. a. gehen in diese Synthese ein), bleibt das theologische
Proprium durchweg gewahrt. Die immer wieder anzutreffende
Behauptung und Unterstellung, daß pastoralpsychologische Kenntnisse
und Einsichten-der Autor verfügt über solche im hohen Maßc-
die Spiritualität schädigten, aushöhlten, wird eindrucksvoll widerlegt.
Eine Art Schlüsselbedeutung kommt dem Aufsatz „Religiöse Da-
scinserfahrung und offenbarungsgebundene Glaubenserfahrung - Zur
Unterscheidung des Christlichen" (S. 22-36) zu, weil Stcngcr an die
hier herausgearbeiteten Kriterien immer wieder anknüpft. Der Autor
unterscheidet „drei Möglichkeiten der Erfahrung", wobei er jede
bejaht und keine zurückweist oder verwirft: I. „Die psychologische
Selbsterfahrung", worin das eigene Selbst erfahren und „der Boden
bereitet" wird „für die religiöse und die gläubige Daseinscrlährung"
(S. 27). 2. „Die religiöse Daseinserfahrung", nicht an das Christliche
gebunden, wenn auch oft verschüttet bzw. unterentwickelt, ein generelles
humanes Phänomen, das Stenger hoch schätzt, reicht und rührt
es doch auf vielfältige Weise (Schöpfungserlebcn, zutiefst resonante
Gesprächsbegegnung, wesenhafter Eros usw.) an die „immanente
Transzendenz". 3. „Die offenbarungsgebundene Glaubenserfahrung
", womit es dem Autor um die „Unterscheidung des Christlichen
" (Guardini) geht, was jedoch weder zur „psychologischen
Selbsterfahrung" noch zur „religiösen Daseinscrlährung" einen
Gegensatz begründet. „Der Kern der Unterscheidung ist das Gebundensein
in die Offenbarung." (S. 31)

Es ist unmöglich, alle Aufsätze im einzelnen zu kommentieren. Der
Hinweis auf einige Titel möchte die Spannweite der Sammlung verdeutlichen
: „Gruppendynamik - ein Medium der Glaubenserfahrung
?" - „Slrukturanalytischc Deutung der Glaubensgcstalt" -
„Werdescheu und Werdewille. Wider die Angst vor der Selbstverwirklichung
" - „Begegnung ist Verkündigung. Zur Psychologie"
und Theologie der helfenden Beziehung" - „Glossen über Charismen.
Ein Plädoyer für unscheinbare Begabungen" - „Die Zeit heilt nicht
alle Wunden. Trauerarbeit und Ergebung" u. a. m.

Den einzelnen Aufsätzen eignet eine nicht geringe Unterschiedlichkeit
von der kreativen Forschungsstudie bis zur deskriptiven, eher
populärwissenschaftlichen Widergabe einer befestigten Forschungsposition
, die lediglich in den seclsorgerlichen Rahmen eingetragen
w ird, vom Beitrag auf der Höhe wissenschaftlicher Pastoraltheologic
bis zum qualifizierten „Erbauungsartikel". Mit dem Sammlungscharakter
zuvor an verschiedenem Ort zu verschiedener Zeit veröffentlichter
Beiträgen dürfte es zusammenhängen, daß sich einige
Vorzugszitate und Lieblingsgedanken, durchaus noch im Rahmen,
wiederholen, so etwa die Jung-Zitate „Was man nicht annimmt, kann
man nicht ändern" und „daß ich selber des Almosens meiner Güte
bedarf, daß ich mir selber der zu liebende Feind bin" u. a„ zu lesen in
dem eindrucksvollen, differenzierten Beitrag „Feindesliebe zu sich
selbst und zu anderen".

Die katholische Glaubensposition ist angenehm unaufdringlich
transparent, was den Vf. jedoch nicht hindert, sich im einzelnen auch
einmal unkonventionell, angreifbar zu positionieren, so wenn er in
dem soeben erwähnten Beitrag schreibt: „Ich sehe z. B. darin eine Art