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Ausgabe:

1990

Spalte:

420-422

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Joyce, Paul M.

Titel/Untertitel:

Divine initiative and human response in Ezekiel 1990

Rezensent:

Reventlow, Henning

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 6

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sion dieses Problems in Kommentaren, Monographien und Aufsätzen
an der Zeit. Daß sich J. in seiner Lunder Dissertation dieser Aufgabe
zugewandt hat, kommt insofern nicht überraschend, als der Betreuer
dieser Arbeit, T. N. D. Mettinger, selbst schon zum Problem Stellung
genommen hat (vgl. S. 151 ff). J. geht in seinen „Prolegomena"
(S. 1-14) zu Recht davon aus, daß hinsichtlich des Stellenwertes und
der Bedeutung der Imago-Dei-Lehre bisher kein Konsens gefunden
wurde, sondern daß vielmehr eine grundlegende Spannung zwischen
den Aussagen über die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und über
seine allgemeine Sündhaftigkeit zu verzeichnen ist, die die Theologie
insgesamt bewegt.

In seiner Untersuchung beschränkt er sich zunächst auf das Gebiet
der atl. Forschung, und er greift nur an den Stellen die Aussagen der
ntl. und systematischen Theologen auf, wo diese einen nachweislichen
Einfluß auf die Auslegung von Gen 1,26 ff gewonnen haben.

In chronologischer Reihenfolge analysiert J. die Arbeiten zur
Gottesebenbildlichkeit des Menschen in dem Zeitraum von 1882 bis
1982. Ein konkretes Datum für den Einsatz seiner Untersuchung findet
er in dem Brief Wellhausens vom 5. 4. 1882 an den Preussischen
Kultusminister, in dem Wellhausen um die Entlassung aus der Theologischen
Fakultät bittet. Dieser Schritt wird von J. mit der Überschrift
kommentiert: "The Freeing of OT Research from the
Influence of the Church" (S. 16). Das Datum selbst stellt allerdings
nur einen Fixpunkt innerhalb der Entwicklung dar, die um das Jahr
1882 notwendig zu einer neuen Sicht des Imago-Dei-Problems führen
mußte. J. spricht von einem „Paradigmenwechscl" (paradigm shift),
der sowohl durch die grundlegend veränderte Bewertung der literarischen
Quellen des AT als auch durch die Entdeckung des babylonischen
Schöpfungsepos Enuma elisch und anderem rcligions-
gcschichtlichen Vergleichsmaterial und nicht zuletzt durch Darwins
Evolutionstheorie vorprogrammiert war (S. 6f, 150-

Aus dieser Einsicht resultieren auch die vier Fragen, die J. innerhalb
des chronologischen Aufrisses seiner Untersuchung zugrundelegt. Es
sind dies die Fragen nach (1.) dem Einfluß einer Neubewertung der
Priesterschrift, nach (2.) den unterschiedlichen Voraussetzungen (biographischer
und theologischer Hintergrund, Vorverständnis,
"favouritc motifs" etc.) der einzelnen Forscher und nach (3.) der
Bedeutung des religionsgeschichtlichen Vcrgleichsmaterials und der
Traditionsgeschichte für die Auslegung der Imago-Dei-Tcxte, die (4.)
in der Frage gipfeln: "Can OT research, after a hundred years of
scientific exegetical treatment of the problcm, present some consensus
for Dogmatics and NT research?" (S. 9).

Die 100 Jahre werden in der Untersuchung in drei Perioden untergliedert
. Der Zeitraum von 1882 bis 1918 steht unter der Überschrift:
"A Dominance of thS Wellhausia'n School" (S. 15-60). Neben Wellhausen
werden u. a. die Arbeiten von F. Delitzsch, A. Dillmann, S. R.
Driver, H. Gunkel, Th. Nöldeke und J. Hehn behandelt.

Die zweite Periode, "Under the Influence of the Dialectical
Theology" (S. 61-131) beginnt mit einer Darstellung der Positionen
K. Barths und E. Brunners zur Imago-Dci-Problcmatik, und J. geht
dann auf die Arbeiten von O. Procksch, W. Eichrodt, H. H. Rowley,
G. von Rad, P. Humbert, L. Köhler, F. Horst. T. C. Vriezen,
I. Engnell und die „Skandinavische Schule" ein.

Die dritte Periode von 1961 bis 1982 wird gekennzeichnet als "A
Time of Methodological Reappraisal" (S. 132-191). In diesen Zeitraum
gehören die Arbeiten von W. H. Schmidt, H. Wildberger,
J. Barr, T. N. D. Mettinger, H. Groß und C. Westermann. Am Beispiel
M. Wcinfelds wird die jüdische Interpretation der Gottesebenbildlichkeit
in die Untersuchung mit einbezogen (S. 169-177). und
der Abschnitt schließt mit einem Exkurs über: "Imago Dci and
Ecology, Feminist Theology and Liberation Theology" (S. 178-191).
Am Ende der 100 Jahre Forschungsgeschichte steht wieder ein konkretes
Datum. 1982 wurde die Inschrift einer Statue, die 1979 bei
Ausgrabungen in Teil Fckheriyeh (Syrien) gefunden wurde, publiziert
. In ihrer assyrisch-aramäischen Inschrift (datiert ins
9. Jh. v. Chr.) finden sich zum ersten Mal die beiden Begriffe saclacm

und d''im~i! im Zusammenhang eines außerbiblischen Textes. Diesem
Ereignis ist es u. a. zuzuschreiben, daß das Interesse an dem religionsgeschichtlichen
Hintergrund der Gottesebcnbildlichkcitsvorstellung
und an erneuten Begriffsuntersuchungen nicht erloschen ist. wie es
zeitweise durch den Einfluß der „Dialektischen Theologie" der Fall
war(S. 2060- Dies ist schon eine der Einsichten, die .1. im Schlußteil
seiner Untersuchung ("Summary and Conclusions", S. 192-225) vermittelt
, indem er die vier eingangs gestellten Fragen wiederaufnimmt.
So verweist er u. a. darauf, daß sich "after Auschwitz" eine neue
Bewertung der nachexilischen Zeit und damit auch der priesterschriftlichen
Theologie, die die Gottesebenbildlichkeit proklamiert, eingestellt
hat (S. 192 ff).

Abschließend stellt J. die Frage nach einem möglichen Konsens:
"Toward a Consenus in Old Testament Imago Dci Studies?"
(S. 219-225). Dabei gelangt er zu der im Blick auf andere atl. Themen
überraschenden Feststellung: "therc is prcscntly relatively broad
agreement among OT exegetes about the mcaning of the coneept of
image ofGod in man". Der Konsens besteht mit wenigen Ausnahmen
(Barr, Westermann) in der funktionalen Interpretation der Gottesebenbildlichkeit
als "man's sharing in the dominion of God"
(S. 219Q. Diese seit 1960 vorherrschende Interpretation hat ihren
Hintergrund einerseits in dem wachsenden Einfluß der ökologischen
Diskussionen auf die Theologie, was zugleich die Frage nach "the
importance of hidden preunderstanding and favouritc motifs" stellt
(vgl. S. 210-218), und sie fußt andererseits in:
"(1) An emphasison the holistic view of man.

(2) An emphasis on the contcxtual principle.

(3) Word studies had fallen out of favour" (S. 222).

Die einzige Alternative zur funktionalen Interpretation stellt "the
relational or Barthian interpretation" dar (S. 223), die zuletzt von
Westermann und O. Loretz vertreten wurde. Auch gegen die von den
Semantikern (Barr, Sawycr) vertretene Auffassung, daß die Gottesebenbildlichkeit
des Menschen im AT gar nicht explizit durch die
Texte definiert wird, gelangt J. zu dem gegenwärtigen Schluß: "there
is no doubt that the functional interpretation has acquired a greatef
support than ever betöre in the history of the imago Dci coneept"
(S. 224).

Sicher kann und will eine forschungsgeschichtliche Arbeit das
lmago-Dci-Problem nicht endgültig lösen. Was J. allerdings mit seiner
Untersuchung gelungen ist, ist dies, daß er neben dem Aufweis einer
chronologischen Entwicklung in ihren einzelnen Auslegungsphascn
die Hintergründe und theologiegeschichtlichen Beziehungen transparent
macht, die die Auslegung und Interpretation jeweils beeinflußt
haben. So sei die Arbeit jedem Theologen empfohlen, der sich mit
dieser Problematik befaßt.

Grcifswald Ernst-Joachim Waschkc

Joyce. Paul: Divine Initiative and Human Response in Ezekiel-

Sheffield: JSOT 1989. 186 S. 8' = Journal for the Study of the Old
Testament, Suppl. Series 51. Lw. £ 25.-.

Die Faszination der Prophctic Ezechiels ist ungebrochen. Dafür
zeugt das Erscheinen immer neuer Arbeiten über dieses Prophetenbuch
. Der vorliegende Band hat seinen Schwerpunkt in der Beschäftigung
mit der Theologie Ezechiels. Dem Eingeweihten wird nicht verborgen
bleiben, daß dabei die zentralen Akzente ähnlich gesetzt
werden, wie es schon der Altmeister der Ezechielforschung W. Zim-
merli in seinen verschiedenen Arbeiten zu Ezechiel, vor allem in
seinem umfangreichen Kommentar' getan hatte. Diese Übereinstimmung
(in der Grundaullässung. nicht in allen Aspekten!) ist sicher
nicht zufällig, sondern hängt damit zusammen, daß Ezechiel eine
charakteristische, von streng geformten theologischen Leitlinien
bestimmte Botschaft zu verkünden hat.

Nach Joyce ist dies die Botschaft des Propheten selbst. Ergeht prin-