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Ausgabe:

1990

Spalte:

364-366

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Børtnes, Jostein

Titel/Untertitel:

Visions of glory 1990

Rezensent:

Onasch, Konrad

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363

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 5

364

Von einem Überangebot an didaktisch autbereiteten Lehrbüchern
zur Theologie- und Kirchengeschichte kann keine Rede sein. Neue
Angebote auf diesem Felde können vermutlich angesichts der fach-
wissensehaftlichen Literaturflut mit einer gewissen Anziehungskraft
rechnen.

Vorangestellt ist dem „Arbeitsbuch" eine Einleitung in das Anliegen
des Gesamtwerkes. Als Adressaten werden Pfarrer. Bibel-
schülcr und Religionslehrer genannt, denen „eine Hilfestellung"
gegeben werden soll, „über beinahe zwei Jahrtausende christlicher
Literaturgeschichte einen ersten Überblick und verschiedene tiefere
Einblicke zu gewinnen" (9). Das soll durch die didaktisch-methodische
Autbereitung „von theologischen Werken, die zu Recht der

Weltliteratur zugerechnet werden".....auf memorierstützende

Weise" (durch Schautafeln, Tabellen. Zusammenfassungen, einleitende
Fragestellungen u. ä.) geschehen (9). Ziel ist. zum Studium der
Quellen selbst, von denen jeweils charakteristische Auszüge abgedruckt
werden, anzuleiten. Unübersehbar ist bei diesem Ansatz eine
gewisse begriffliche Unscharfe oder Sorglosigkeit, die auch im Verlauf
der Darstellung immer wieder zu beobachten ist (z. B. 20: Müntzer
unter den Spiritualisten und die Humanisten unter den nebenrefor-
matorischen Strömungen). „Quellenkunde" ist nach allgemeinem
Verständnis eine Disziplin der historischen Hilfswissenschaften.
Schnabel versteht aber darunter schlicht eine didaktisch-methodische
Autbereitung reformatorischer Quellenschriften, ohne sich über diese
ungewöhnliche Begriffsausweitung Rechenschaft zu geben. Dasselbe
gilt für den BegrilT „Literaturgeschichte" und „Weltliteratur", die
Schnabel offensichtlich problemlos für die Theologiegeschichte okkupiert
.

Der Anlage des Arbeitsbuches entsprechend ist dem Quellenteil
eine Einführung in „das Zeitalter der Reformation" vorgeschaltet
(11-21), untergliedert in A. Ausführungen zur epochengeschichtlichen
Dimension, B. eine Karte zur geographischen Dimension und
C. eine ausführliche tabellarische Auflistung zur chronologischen
Dimension. Im einzelnen sind Formulierungen nicht selten korrekturbedürftig
, z. B. bei der Festlegung der Hauptwerke Luthers (12)
oder bei der Behauptung „1521 Einführung der Reformation im Kurfürstentum
Sachsen durch Luther" (19). Der Brüsseler Märtyrer hieß
van Eschen, nicht Esch (ebd.).

Von Luthers Schriften werden erschlossen bzw. dokumentiert: die
drei großen Reformationsschriften von 1520, die Obrigkcitsschrift
von 1523, „De servo arbitrio" und die Schmalkaldischen Artikel. Mit
Ausnahme der letzteren liegen alle in der auf neuer wissenschaftlicher
Grundlage edierten Studienausgabe vor, die leider unter den Angaben
zu den Werkausgaben fehlt. Melanchthon ist mit den „loci commu-
nes" und der „Confcssio Augustana" vertreten, Zwingli mit den
„Schlußreden" und dem „Commentarius de vera et falsa religione"
und Calvin mit der „Institutio". Den Abschluß bilden das Tridenti-
num, der Heidelberger Catechismus des Ursinus und die „Formula
Concordiae" von Jakob Andreae. Auf Angabe von Sekundärliteratur
wurde vollständig verzichtet.

Eine erneute Durchsicht im einzelnen würde sich lohnen. So ist
z. B. nicht einsichtig, was der stichwortartige Hinweis auf Luthers
„strenges Elternhaus" unter den biographischen Hinweisen zu suchen
hat. Auf diese Weise wird einer traditionellen Lutherlegende zum
weiteren Überleben verholten (22). Der Titel von Mclanchthons
Schrift über die 12 Artikel ist weder korrekt in moderner, noch in originaler
Orthographie wiedergegeben (60: vgl. auch Campeggio statt
Campegio). Verbesserungswürdigsind auch manche Formulierungen,
z. B. „innere Einsichten" (23) und die unübersetzt übernommene
„Unachtsamkeit des geistlichen Standes" (24; d. i. Treulosigkeit, Abtrünnigkeit
). Das Verständnis von Loci kann kaum so uninterpretiert
vorausgesetzt werden, wie es Schnabel annimmt (vgl. 12,60 u. ö.). Register
der Bibelstellen, Personen und Begriffe schließen das willkommene
Arbeitsbuch ab.

Berlin . Siegfried Brauer

Christliche Kunst und Literatur

Bortncs. Jostein: Visions of Glory. Studics in Early Russian Hagio-
graphy. English Translation .1. Bortncs and P. L. Nielsen, Oslo:
Solum: New Jersey: Humanities Int. 1988. 303 S„ 15 Abb. auf 8
Taf. 8° = Slavica Norvegica. V.

Ziel und Motivation dieser Arbeit werden S. 9 lapidar so beschrieben
: "This book is about hagiographical patterns and their transfor-
mations". "Introduction" (S. 11-47) beschäftigt sich zunächst mit
den "Hagiographical genres in early Russian literaturc" (S. 1 1-15),
um in "Meansand ends in the study of early Russian Lives of Saints"
(S. 16-26) eine konzentrierte und kritische Übersicht der hagio-
graphischen Sekundärliteratur vom "seminal work" Kljucevskijs von
1871 bis in die unmittelbare Gegenwart zu geben. Ausgehend vom
Übergang der Topos-Lehre von den "expressional constants" in der
altrussischen Hagiographie (Tschizewskij) in eine „Stilistik" derselben
, kommt B. auf die unterschiedlichen Auffassungen von hagio-
graphischem Stil (Adrianova-Pcretc; Jagoditsch; V. S. Trubetzkoy;
Likhacev) und der Beziehung zwischen Vitentcxt und der Hciligen-
ikone zu sprechen. Nachdem Alpatov und Brunov Anfang des Jahrhunderts
vergleichbare ästhetische Werte feststellten, haben Jagoditsch
und Likhacev zwar "immediate impressions of texts and
picturcs" herausgearbeitet, dabei aber "are both Contents to interpret
the emotional meaningofthe style on the basisof their own emotional
responses to the texts" (S. 21). Demgegenüber habe K. Onasch auf der
Basis der "Byzantinc Urbild-Abbild-Aesthetik" die Möglichkeit eröffnet
, daß "Comparisons between hagiographical texts and icons
require that image and word express a meaning that remains constant
when translated from one medium to anolhcr, a problem wc shall
revert to at length in the discussions of the Lives of Saint Theodosius
and Saint Stephen" (ebd.). Die Ablösung der bisherigen Wertung als
lediglich "extrinsic factors" eines Vitentextes (mit der Gefahr emotiver
Interpretation seitens des Interpreten) durch eine der "intrinsic
factors" ist das Verdienst I. P. Ercmins. indem erden Text zu analysieren
lehrte als "a System of literary Conventions that permit of a
'constant transformation of reality' on the model of a given set ol
ideals" (S. 22). Zwar ist dieses -iso betont B. - "the general basis for
the hagiographical studics in the present work"(S. 23). Sie bedarf aber
noch einer Ergänzung, insofern es sich bei einem Vitentcxt. um m'1
Wolfgang Kayser zu sprechen, um ein „sprachliches Kunstwerk
handelt. Das aber führt uns "to Roman Jakobson's definition of the
poetic funetion of languagc" (S. 23). Indem B. die linguistische Theorie
Jakobsons von der bipolaren Struktur der Sprache ("selcction
und "combination") mit der informationellen von«,.sekundären
modellierenden Systemen" (d. h. nichtverbaler Formen der Realität)
verbindet, ist es möglich, bisher von der hagiographischen Forschung
negativ beurteilte, weil heterogene und redundante Elemente eines
Vitentextes "into a System of connotalions" (S. 25) zu bringen. Denn
gerade diese Elemente - bisher stets "a slumbling block" - sind
"conditioned by the genre and its a characteristic feature of the form ol
verbal art which cannot be removed without destroying the distinetive
character of the vita. It become therefore a main task for hagiographical
rescarch to study the interplay between the autor's own narrative
and his borrowings from other texts, between narration and Quotation
" (ebd.). Die außerordentliche gedankliche Konzentration dieser
theoretischen Überlegungen kennzeichnet auch ihre Entfaltung in den
folgenden Kapiteln. "Early Christian hagiography and Literary
History" (S. 26-47) läßt zunächst die Speziallitcratur (Delehaye.
Weingarten, Usencr, Vcrtel. Holl, Peter Brown u. a.) Revue passieren,
um sich mit ihr kritisch auseinanderzusetzen. Aus der Fülle von interessanten
und fruchtbaren Einsichten sollen hier erwähnt werden: o1"-'
Übernahme von "conventional patterns" der vorchristlichen Literatur
und Kunst nach dem Doppelprinzip von "selcction" und "combination
" durch die christliche Hagiographie und Bildkunst (S. 29); d|C