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Ausgabe:

1990

Spalte:

356-358

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Erasmus von Rotterdam 1990

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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355

Theologische Literaturzeitung 1 15. Jahrgang 1990 Nr. 5

356

2 Vgl. S. 233 Skopec, S. 241 Trubicyn. Hier russische Titel in Translitera- Das Buch von Trunz verdient großen Dank. Es kann der Beachtung
tion, die sonst möglichst in Originalschrift gegeben sind. Fehlerquelle sind wie durch die kirchengeschichtliche Forschung nur dringend empfohlen
oft die Sonderzeichen. So ist S. 206 bei dem polnischen Ortsnamen Wloctawek werden
aus dem et ein d geworden, eine .lectio facilior'.

Leipzig Ernst Koch

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Trunz, Erich: Johann Matthäus Meyfart. Theologe und Schriftsteller
in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. München: Beck 1987.
461 S., 33 Abb. aut'Taf. gr. 8°. Lw. DM 98,-.

Einer der großen Altmeister der Goetheforschung hat dieses Buch
über den gelehrten thüringischen Theologen Johann Matthäus Mey-
farth (1590-1642) (M.) geschrieben. Angaben im Nachwort (S. 441)
teilen mit, daß der Vf. sich schon vor Jahrzehnten mit M. beschäftigt
hat. So ist eine Untersuchung entstanden, in deren Mittelpunkt der
Schriftsteller M. und die Analyse seines literarischen Werkes stehen.
Die Biographie dieses bedeutenden Theologen und Literaten wird in
drei Kapiteln nachgezeichnet (Jugend- und Studienjahre, Coburg, Erfurt
). Weitere Kapitel behandeln die lateinischen Schriften der Coburger
Zeit, die Coburger deutschen Predigten, die ,,eschatologische Tri-
logie" („Das himmlische Jerusalem", „Das höllische Sodoma", „Das
jüngste Gericht"), die rhetorischen Schriften, die Schrift gegen die
Hexenprozesse, die Schrift gegen die Verwilderung der Universitäten,
die Schriften der Erfurter Zeit, lateinische und deutsche Gedichte.
Zwei weitere Kapitel untersuchen M.s Kunstprosa und seine Bedeutung
bei den deutschen Schriftstellern des 17. Jh. Am Schluß der Darstellung
steht ein Rückblick. Ein umfangreicher Anmerkungsapparat
bietet ergänzende Informationen. Dem Band sind 30 Abbildungen mit
Erläuterungen beigegeben. Register erschließen das Werk.

Schwerpunkte der Betrachtung M.s und seines literarischen Werkes
sind Untersuchungen zu Sprache, Tradition, Form und Stilistik, aber
auch zur Wirkungsgeschichte dieses Theologen. Die Tatsache, daß
diese Gesichtspunkte im Rahmen geistes-, theologie- und gesell-
schaftsgcschichtlicher Zusammenhänge erörtert werden, macht das
• Buch zu einem wichtigen Werk auch für die Kirchen- und Theologiegeschichte
- noch immer gehen gerade von der literaturgeschichtlichen
Forschung erhebliche Anstöße für die Erforschung des 17. Jh.
aus, die von der wissenschaftlichen Theologie nur ungenügend rezipiert
werden. Für eine dringend wünschenswerte neue Konzeption
einer Beschreibung dessen, was für das 17. Jh. Theologie und Vermittlung
von Theologie war, wären beispielsweise die Ausführungen des
vorliegenden Buches über M.s Eschatologie ein Beitrag, der neue
Aspekte zu erschließen vermag. Daß M. fast wegen Majestätsbcleidi-
gung angeklagt worden wäre (S. 49, vgl. S. 54, 69 u. ö.), zeigt ihn in
einer Tradition, deren Rekonstruktion nach und nach Gestalt gewinnt
(vgl. die Untersuchungen von Ernst Sommer), paßt ahernach wie vor
nur schlecht in das herkömmliche Bild von einem Theologen des
17. Jh., für dessen Differenzierung und Modifikation diese Untersuchung
über M. ein guter Beitrag werden könnte. Aber auch die Ausführungen
von Trunz über M.s Kritik an der Hexenverfolgung zeigen,
daß M. mit seiner Stellung keineswegs in seiner Zeit ein Außenseiter
war. Von allgemeiner Bedeutung könnte die Unterscheidung dessen,
was Trunz „architektonische Prosa" und „rhythmische Prosa" nennt
(S. 302), und die Analogie von Predigtaufbau und jnusikalischer Form
sein, die M. aufgezeigt hat (S. 317).

Hervorzuheben ist ferner der Gewinn der Untersuchungen von
Trunz für die territorialgeschichtliche Erforschung des thüringischen
Raumes. Freilich haben sich in einigen Partien des Buches geographische
Unscharfen und Fehler eingeschlichen (so S. II, 19, 20). Auch
einige Angaben und Urteile über einzelne Persone sind unzutreffend
bzw. werden sich kaum halten lassen (Hoe von Hoenegg war alles
andere als ein Calvinist. S. 53, Johann Gerhard hat ein umfangreiches
erbauungsliterarisches Werk hinterlassen, gegen S. 313, 330 und 397
Anm. 38, vgl. S. 269). Gegen S. 382 Anm. 3 steht MGG 4.668.

Weiland, Jan Sperna, Blockmans, Wim, u. Willem Frijhoff (Hg.]:
Erasmus von Rotterdam. Die Aktualität seines Denkens. Ins
Deutsche übertr. von A. Hübner. Hamburg: Wittig 1988. 183 S. m.
zahlr. Abb. u. Taf. z. T. färb. 4°.

Als Bildmonographie will J. S. Weiland das vorliegende Werk,
dessen niederländische Ausgabe 1986 zum Erasmus-Gedenken erschien
, verstanden wissen. Dieser Anspruch ist gerechtfertigt, denn in
mehr als 150 Abbildungen (davon 33 ganzseitig und großenteils farbig
) wird Wirken und Umwelt des Humanistenfürsten eindrucksvoll
dokumentiert. 24 Erasmusabb. und zwei mit der Wiedergabe seiner
Handschrift (8 und 38, ohne Angaben über den Inhalt) sind darunter,
verteilt auf das ganze Buch. Titelblätter und Abb. von Zeitgenossen
sind meist und durchaus sinnvoll raumsparend auf dem breit gehaltenen
Innenrand platziert. Nur zum geringen Teil finden sich unter
den Abb. solche, denen man stets in einschlägigen Werken über das
16. Jh. begegnet. Dem Bildteil kommt durchaus eigenes Gewicht in
dieser Publikation zu. Das fehlende Bildverzeichnis, aber auch der
Mangel an genaueren Angaben zur Uberlieferungsgeschichte (z. B.
Besitzvermerke) der abgebildeten Dokumente und Drucke deutet jedoch
daraufhin, daß es immer noch Schwierigkeiten bereitet, das Bild
als gleichgewichtige Quelle und nicht nur als Illustrationsmittel zu
verstehen.

Die sechs Textbeiträge gliedern sich in die Bandbreite des heutigen
Forschungstrends ein, Erasmus als den an der Kirche orientierten, eigenständigen
Denker einer als existentiell zu verstehenden philoso-
phia Christi zu interpretieren. G. Jensmas weitgespannter Beitrag, der
die Publikation eröffnet (9-56: Erasmus von Rotterdam 1469-1536).
sieht des Erasmus ambivalente Persönlichkeit nicht im Psychologischen
(Huinzinga), sondern im Charakter der Zeit und in der Funktion
seiner humanistischen Schriftstellerei begründet. Mit dem
Variantenreichtum der Worte wollte Erasmus zu neuen Einsichten
anregen und überzeugen. In dem Zitat „Beständig sein heißt nicht
immer dasselbe sagen, sondern immer am gleichen Ziel festhalten"
sieht Jensma das schriftstellerische Credo des Erasmus (1 1). Nach
einem ausführlichen Überblick überdie Entwicklung des literarischen
Gesamtwerkes des Humanistenfürsten - im Mittelpunkt stehen besonders
sein „Enchiridion" und sein „Lob der Torheit" - werden vor
allem seine politischen Vorstellungen und seine tragische Stellung in
der Reformation dargestellt. In anderer Weise als Luther hatte auch
Erasmus ein enges Verhältnis zum gesprochen Wort. In Anlehnung an
antike Vorbilder und mit den Mittel der Ironie suchte er letztlich der
einfachen Wahrheit Christi im Menschenherzen zum Durchbruch zu
verhelfen. Das von Jensma bereits angeschlagene Thema der Politik
bei Erasmus wird von Wim Blockmans noch einmal gesondert aufgenommen
: „Die politische Theorie des Erasmus und die Praxis seiner
Zeit" (57-72). Herausgearbeitet wird, daß für Erasmus das Ideal der
res publica christiana stets als Monarchie gedacht ist. Weisheit und
Tugend sind unerläßliche Eigenschaften des christlichen Fürsten.
Sind diese Eigenschaften bei der Nachfolgefrage nicht durch Erbfolge
gegeben, kennt Erasmus durchaus auch die Möglichkeit, die Neubesetzung
durch die „populi suffragiis". Aktiven Widerstand erkennt
Erasmus nicht als Möglichkeit an. Im Zentrum seiner außenpolitischen
Vorstellungen steht die Wahrung des Friedens. Innenpolitisch
richtet sich sein Denken auf einen gewissen sozialen Ausgleich
bzw. gegen Einseitigkeiten, beispielsweise ökonomische Konzentration
. Kurzschlüssige Modernisierungen gestatten vorausweisende Gedanken
bei Erasmus nicht. Angesichts der „ungeheuren Erweiterung
des Phänomens .Staat'" zur Zeit des Erasmus (67) war seine politische
Philosophie (70: „die Übertragung einer individuellen Ethik auf die