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Ausgabe:

1990

Spalte:

351-353

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Thümmel, Hans Georg

Titel/Untertitel:

Die Kirche des Ostens im 3. und 4. Jahrhundert 1990

Rezensent:

Brennecke, Hanns Christof

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Theolegische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 5

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Durchschnittanschauung als (vermeintlich) legitimes Erbe des Tübingers
preisgibt (was Vf. hätte herausarbeiten können). Insgesamt ergibt
sich für Vf. - der Problemerfassung in der Forschungsgeschichte zur
Thematik angemessen -, daß von der Aufklärungsepoche an bis zum
Aufkommen der .Religionsgeschichtlichen Schule' die spezifische
Fragestellung .Paulus - Jesus' vernachlässigt wurde. Vielleicht darf
man noch verschärfen: Sie wurde gesehen und doch in ihrer Bedeutung
verharmlost, weil die Geschichte des Urchristentums - abgesehen
von Baurs (Re-)Konstruktion - zu sehr genetisch eingeschätzt
wurde und unter diesem Blickwinkel die eigentlichen Probleme
ungelöst blieben.

Im weitaus umfangreicheren Abschnitt „B. Das Thema .Paulus
und Jesus' in der Zeit größerer Beachtung (Von Lagardes Antipauli-
nismus zur Religionsgeschichtlichen Schule)" gibt Vf. zunächst einen
gedrängten Abriß des Antipaulinismus von Reimarus bis Lagarde, um
denn zu zeigen, wie antipaulinische Strömungen in Geistesgeschichte
und Theologie den Hintergrund für einen geschärfteren Blick für die
anstehende Thematik abgeben (S. 103-133). Die themaweisende
Bedeutung Lagardes für die Vertreter der .Religionsgeschichtlichen
Schule' und die Bearbeitung der Fragestellung in diesem Kreis aber
treffen zusammen mit der Herausarbeitung des „paulinischen Hellenismus
" (O. Pfleiderer) und den .jesuanische(n) Tendenzen, die in
Ritschis Schule laut wurden" (S. 133; vgl. S. I24ff, 128ff, 1470).
Diese differenzierte Einschätzung kommt der Darstellung der Entwürfe
aus der .Religionsgeschichtlichen Schule' ebenso zugute wie der
klar betonte Sachverhalt, daß in den verschiedenen Konzeptionen in
Anfrage und Kritik die Verhältnisbestimmung (und Trennung) von
„Religion und Theologie" zum geheimen Gradmesser wurde (S. 162,
1920- Zutreffend wird W. Wredes „Paulus" (1904) als Höhe-, aber
auch Endpunkt der .Paulus und Jesus'-Debatte in der .Religionsgeschichtlichen
Schule' charakterisiert (S. 174ff). Die „sachlichen
Möglichkeiten zur Lösung des Problems ... waren ausgeschöpft. Der
Bruch mit Paulus war die äußerste Möglichkeit gewesen. Sie fand
keine neue mehr" (S. 188). Die dennoch vorliegenden liberalen und
konservativen Versuche werden sachlich erfaßt (S. 188fT). A. Jülichers
Schrift „Paulus und Jesus" (1907) wird „als der klarste Entwurf
nach dem Muster der Trennung von Religion und Theologie" bezeichnet
(S. 191), aber seine Kritik an Wredes „Paulus" wird doch
unterschätzt. Auch W. Heitmüllers programmatische Sicht, daß zwischen
Jesus und Paulus sowohl die Urgemeinde als auch die hellenistische
Gemeinde liege, wird zu gering gewertet (S. 196). - Sehr
knappe Schlußbemerkungen lenken zum Ausgang der Überlegungen
zurück, fassen aber nicht die Fülle des Behandelten und die Quintessenz
des Vf., daß in der anstehenden Fragestellung unabweislich das
methodische Recht der Rückfrage nach dem (historischen) Jesus und
nach dem Kerygma als der Verkündigung von Jesus Christus gestellt
ist (S. 203-205).

Die informativen geistes- und theologiegeschichtlichen Erörterungen
des Vf. zum Thema ,Paulus und Jesus' im 19. Jahrhundert sind
auch unter diesem Gesichtspunkt ein beachtenswerter Beitrag zur
„Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" wie der „Paulusforschung"
(S. 205).

Erlangen Otto Merk

Kirchengeschichte: Alte Kirche

Thümmel. Hans Georg: Die Kirche des Ostens im 3. und 4. Jahrhundert
. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1988. 135 S. gr. 8° = Kirchengeschichte
in Einzeldarstellungen, 1,4. Pp. DDR M 9,-; Ausland
DM 12,-.

In der von Gert Haendler. Kurt Meier und Joachim Rogge in der
Evangelischen Verlagsanstalt in Berlin herausgegebenen und erfreulich
schnell voranschreitenden „Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen
" (Alte Kirche und Mittelalter sind inzwischen fast vollständig

erschienen) hat H. G. Thümmel die Behandlung des Ostens im 3. und
4. Jh. parallel zu Haendlers Darstellung der abendländischen Kirche
(I 3.5,) dieser Epoche übernommen.

Die getrennte Behandlung von Orient und Okzident - dem Autor
vorgegeben - erscheint für diese Zeit als äußerst problematisch, wie
immer wieder deutlich wird, und ist nur aus pragmatischen Gründen
einsehbar. Sinnvoll erscheint eine derartig getrennte Darstellung
eigentlich erst für die nachtheodosianische Zeit (vgl. I 5f derselben
Reihe). In seiner Darstellung dieser für die Kirchengeschichtc grundlegenden
zwei Jahrhunderte mußte Thümmel sich im Rahmen des
vorgegebenen Programms um äußerste Knappheit bemühen, die
manchmal nur noch Andeutungen zuließ. Dies um so mehr, als - ein
eigentlich zu begrüßendes Vorgehen - besonders chrakteristische
Texte in (m. E. durchweg gelungenen) deutschen Übersetzungen geboten
werden. Bei dem knappen zur Verfügung stehenden Raum
mußte dies zu bedenklichen Verkürzungen führen. Es fehlte jede Auseinandersetzung
mit der Forschung, wo doch gerade für diesen Zeitraum
vieles in der Forschung umstritten und unklar ist. Der Fachmann
erkennt die Entscheidungen des Autors - dieses Buch aber soll
für Studenten sein!

Dasam Anfang gegebene Literaturverzeichnis, dessen Kriterien für
die Aufnahme von Titeln, sei es bei den Quellen, sei es bei der modernen
Forschung, ich zu entschlüsseln mich nicht in der Lage sehe,
scheint bei aller zu respektierenden Notwendigkeit der Auswahl doch
etwas zufällig zusammengestellt. Z. B. sind die grundlegenden Untersuchungen
zur Kirchengeschichte des 4. Jh. von E. Schwanz nicht
aufgeführt, auf denen aber Thümmel (wie wir alle) ganz eindeutig
fußt.

Das Buch ist in zehn z. T. sehr kurze Kapitel gegliedert, in denen es
Thümmel im ganzen gelungen ist, Kirchen- und Dogmengeschichte
miteinander zu verzahnen.

Das erste Kapitel „Gesellschaft und Kirche im 3. Jahrhundert"
stellt die Kirche in den politischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhang
der Zeit, wobei eine Trennung in Ost und West hier natürlich
nicht möglich ist. Neben den von außen wirkenden Faktoren
(Neuplatonismus, Manichäismus und der heidnischen Polemik eines
Kelsos, der aber noch ins 2. Jh. gehört) stellt Thümmel die wichtigsten
theologischen Themen des 3. Jh. vor, wobei er die theologische Entwicklung
sehr stark als Vorspiel zum Arianischen Streit sieht, z. B.
den sogenannten „Streit der Dionyser" und die Auseinandersetzungen
um Paul von Samosata, was zumindest hinsichtlich des trinitatischen
Gebrauches des „Homoousios" im Zusammenhang dieser beiden
Fälle umstritten ist.

Das zweite Kapitel ist ganz Konstantin gewidmet, wo man besonders
in der Beurteilung von Konstantins Christentum und überhaupt
des gesamten Komplexes der Konstantinischen Wende dem Vf. in
allem nur zustimmen kann. Aber etwas mehr von den heftigen Kontroversen
um dieses Thema hätte anklingen dürfen. In aller Kürze,
aber prägnant wird Konstantins vornehmlich an der Einheit der Kirche
orientierte Kirchenpolitik aus seinem Selbstverständnis und Er-
wählungsbewußtsein erklärt. Thümmel zeigt überzeugend, wie Verstaatlichung
der Kirche und Verchristlichung des Staates einander
entsprechen und bedingen. Die Hälfte des Kapitels ist dem Arianischen
Streit während der Herrschaft Konstantins gewidmet. Das theologische
Anliegen sowohl des Arius als auch seiner Gegner wird deutlich
, ebenso, daß beide eigentlich aus demselben Traditionszusammenhang
kommen. Nikaia und vor allem die Vorsynode von Antiochien
werden leider fast nur gestreift. Wenn Thümmel das Homoousios
als einen von der Gemeindefrömmigkeit benutzten Begriff
ansieht, so erscheint das problematisch, besonders, da auch da die
angeblichen Belege aus der 2. Hälfte des3. Jh. fragwürdig sind.

Die Geschichte des Trinitarischen Streites von Nikai'a bis zum
Tode Konstantins sieht Thümmel zutreffend als Versuch des Kaisers,
von seiner Einheitsvorstellung her Arius und seine Anhänger wieder
in die Kirche zu integrieren, dem sich besonders Athanasius widersetzt.

Das dritte Kapitel, „Die Herrschaft der Söhne Konstantins", ist

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