Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1990

Spalte:

308-309

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kinnamon, Michael

Titel/Untertitel:

Truth and community 1990

Rezensent:

Krüger, Hanfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

307

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 4

308

Die Arbeit ist aus zwei großen Teilen aufgebaut. Nach einer Einleitung
(S. 12-24) stellt der erste, schon vom Umfang her gewichtigere
Teil „Newmans Beschreibung des Glaubens als Lernprozeß" dar
(S. 25-154). Der zweite Teil will Newmans Auffassungen dann „im
Kontext gegenwärtiger religionspädagogischcr Theorieansätze und
Praxismodelle" betrachten (S. 155-255). - Der Vf. geht aus von der-
richtigen - Beobachtung, daß die Frage, „wie religiöses Lehren und
Lernen" möglich und was darunter zu verstehen sei, „nicht hinreichend
geklärt" ist. Angesichts des aktuellen Problems der „Weitergabe
des Glaubens" werde sie aber immer dringlicher. Dabei weiß sich
Kult all jenen Religionspädagogen verbunden, die eine Antwort mit
Hilfe humanwissenschaftlicher Theorien versucht haben. Er selbst
aber traut den Humanwissenschaften hier nur eine begrenzte Bedeutung
zu. Er will stärker vom „Inhalt" des religiösen Lernens her
denken. Eine Lerntheorie des Glaubens könne nicht einfach aus Psychologie
oder Pädagogik übernommen werden. Auszugehen sei vielmehr
von der bereits erfolgten „Realisierung des Glaubens", um
daran abzulesen, wie ein Mensch durch Lernen dazu gelangen konnte.
Die Lerntheorie müsse „auf ihren eigenen Bereich schauen und klären
, wo dort Lernprozesse stattfinden". Sie sei daher angewiesen auf
eine „Phänomenologie des Glaubens".

Von hier aus wird die Aufgabe des ersten Teils unmittelbar einsichtig
: Newmans „Beschreibung des Glaubens" soll im Sinne der geforderten
Phänomenologie erschlossen werden als Ausgangspunkt einer
Lerntheorie des Glaubens. In dieser Absicht wird zunächst der historische
Hintergrund von Newmans Theologie beschrieben. In knapper,
aber sehr einleuchtender Form werden Rationalismus und Skeptizismus
sowie die in apologetischer Auseinandersetzung mit diesen
entstandene Liberale Theologie im England der ersten Hälfte des
19. Jh. vorgestellt. Hatte der theologische Liberalismus sich auf den
Rationalismus eingelassen und eine „Beweis-Theologie" angestrebt,
so ging Newman, wie Kuld beschreibt, an eben dieser Stelle neue
Wege - mit einer biographiebezogenen und persönlichen Theologie;
mit der Betonung der Imagination, „des bildhaften Erfassens und der
bildhaften Vermittlung"; der Rechtfertigung eines Wahrscheinlichkeitsdenkens
, das Gewißheit in persönlichen Erfahrungen statt
in formallogischen Beweisen sucht; schließlich mit der Hervorhebung
von Wille und Gewissen in ihrer Bedeutung für religiöse Erkenntnis.
Auf diese Weise sei es Newman gelungen, die rationalistische Verengung
zu überwinden und eine dem Glauben angemessene Art der
Gewißheit zu bestimmen.

Kuld faßt seine Interpretation in vier Punkten zusammen: Erstens
ist demnach Glauben tatsächlich mit Lernen verbunden; zweitens
findet „Glaubenlcrnen ... in einem Umfeld divergierender Plausibili-
täten statt", so daß es auf „Gegenplausibilität" ankommt; drittens ist
„Glaubenlernen" ein wirklichkeitshaltiger und lebenspraktischer
Prozeß, der sich - viertens - wesentlich auf das Gewissen bezieht.

Der zweite Hauptteil fragt dann nach Konsequenzen für heutige
Theorie und Praxis. Dabei leuchtet ein, daß in einem ersten Kapitel
das Gespräch mit gegenwärtigen Theorien besonders der Glaubensentwicklung
gesucht wird. In der Durchführung gerät dieses Kapitel
allerdings zum Teil zu einer Abwehr humanwissenschaftlicher Erkenntnisse
, wobei mit nicht immer überzeugenden Belegen und
empirisch gesehen vorschneller Kritik gearbeitet wird. So wird zwar
zu Recht auf die Grenzen verschiedener psychologischer Theorien
hingewiesen, wird jedoch der mögliche Gewinn innerhalb dieser
Grenzen nicht mehr deutlich erkannt. Selbst direkte Parallelen beispielsweise
zwischen Newmans Verständnis religiöser Gewißheit und
J. Fowlers Suche nach einer „Logik der Überzeugung" - bleiben dem
Leser vorenthalten. Aus dem Ansatz bei Newman heraus leuchtet es
ein, wenn Kuld vor allem denjenigen Theorien Sympathie entgegenbringt
, die - wie etwa B. Grom - bei den Emotionen ansetzen. Jedoch
besteht die Gefahr eines schlechten Zirkels: Neuere Theorien werden
nicht zum Partner im Gespräch, sondern werden vor den Stuhl
Newmans zitiert. Die kritische Befragung von Newmans Auffassungen
kommt dann leicht zu kurz.

Das letzte Kapitel stellt praktische Folgerungen im engeren Sinne
dar. Drei Möglichkeiten werden vorgestclit: Lernen von Vorbildern.
Einübung in „glaubensbiographische Artikulation", Lernen mit
Symbolen. Dabei werden in überzeugender Weise, jeweils in Aufnahme
gegenwärtiger (religions)pädagogischer Ansätze und im Rückgriff
auf eigene Erfahrungen, heutige Möglichkeiten religionspädagogischer
Arbeit im Anschluß an Newman aufgezeigt.

Kuld ist ohne Zweifel der Nachweis gelungen, daß Newmans Theologie
wichtige Ansätze für eine Lerntheorie des Glaubens enthält, daß
diese Ansätze nicht überholt sind und daß sie in der Praxis aufgenom-
menwerden können. Insofern ist das Buch von großer innerer
Geschlossenheit und vermag weiterführende Impulse zu geben.
Dennoch müssen wir zurückfragen - nicht um Kulds wertvolle Vorschläge
zurückzuweisen, wohl aber um sie zu ergänzen um Hinsichten
, die sonst allzu sehr am Rande bleiben: Ist eine Lcrntheorie des
Glaubens, in der dreifachen Entfaltung von Vorbildlcrnen, glaubensbiographischer
Artikulation und Symboldidaktik, den heutigen Herausforderungen
gewachsen? Geht sie nicht vorbei an einer Aufgabe,
an deren Bearbeitung Newman - nach Kulds eigener Darstellung - in
zentraler Weise gelegen war: der Auseinandersetzung mit dem in der
modernen Gesellschaft vorherrschenden Musler der Rationalität,
dem man schwerlich durch den Sprung in eine „Gegenplausibilität"
entkommen könnte oder sollte? Meines Erachtens wären die kognitiven
Theorien der religiösen Entwicklung gerade hier erneut zu befragen
, nämlich auf ihren Beitrag zur Erkenntnis von Möglichkeiten,
wie sich Glaube und Rcligior angesichts modern-säkularer Rationalitätsansprüche
entwickeln können. An dieser Stelle macht sich eine
Schwäche von Kulds rein systematischem Vorgehen bemerkbar: Die
geschichtlichen Zusammenhänge, die uns mit dem 19. Jh. verbinden,
kommen nicht in den Blick. Aber Newmans Phänomenologie antwortet
auf Fragen, die sich so erst seit der Aufklärung stellen. Newmans
Antworten können wir sinnvoll auf uns nur beziehen, wenn wir auch
den Zusammenhang der Moderne thematisieren, der uns mit ihm verbindet
.

Schließlich noch eine Frage, die nicht nur Newman und seinen
Interpreten Kuld, sondern gleichermaßen die psychologischen Theorien
der religiösen Entwicklung betrifft. Ist „Glaubenlernen" wirklich
nur ein individueller Prozeß? Müßte eine Lerntheorie des Glaubens
nicht viel stärker betonen, daß Glaube und Gemeinschaft zusammengehören
- theologisch als Glaube und Gemeinde, sozialpsychologisch
als Überzeugung und soziale Zugehörigkeit? Daß die soziale Dimension
bei Kuld so wenig zur Sprache kommt, mag Zufall sein. Vielleicht
steht sein Ansatz beim 19. Jh. aber auch insofern unter den
Voraussetzungen der Moderne, als vor allem vom Glauben des einzelnen
gehandelt wird und nicht gleichermaßen von dem der Kirche oder
in einer Gesellschaft.

Tübingen Friedrich Schweitzer

Ökumenik: Allgemeines

Kinnamon. Michael: Truth and Community. Diversity and its Limits
in the Ecumenical Movement. Grand Rapids: Eerdmans; Genf:
WCC 1988. X, I 18 S. 8 Kart. sFr 13.50.

In der vorliegenden Schrift entwirft der amerikanische Theologe
Michael Kinnamon, Mitglied der Christian Church (Disciples of
Christ), ein knapp gefaßtes Bild der heutigen ökumenischen Bewegung
, ihrer Motive. Chancen und Probleme. Ausgangspunkt ist für
ihn laut Vorwort die Feststellung, daß zu den Wesenselcmenten der
ökumenischen Bewegung eine notwendige Spannung zwischen Wahrheit
und Mannigfaltigkeit, zwischen Einheit und Verschiedenheit
gehört, deren vertretbare Grenzen festzulegen sich als die Zentralfrage
der ökumenischen Bewegung darstelle (vgl. 12-18). Darüber sei eine
unglückliche Spaltung der ökumenischen Tagesordnung zwischen der
Suche nach Einheit und den sozialpolitischen Zielsetzungen entstan-