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Ausgabe:

1990

Spalte:

304-305

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Winter, Friedrich

Titel/Untertitel:

...daß Jesus Christus allein unser Heil ist 1990

Rezensent:

R. M.

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Theologisehe Litcralurzeitung 11 5. Jahrgang 1990 Nr. 4

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angefeuert durch die Schlagzeilen der Zeitung, Sonntag für Sonntag
aus dem Sumpf der Un Wirklichkeit ziehen zu müssen" (12).

Die Absicht des Buches liegt in der pastoralen Vergewisserung als
Ruf zur theologischen Existenz aller, die zu predigen haben; eine
Absicht, die gefördert werden soll durch den mündlichen Sprachstil
mit seinen vielen rhetorischen Fragen. Konjunktiven und Parenthesen
, die aber behindert wird durch eine überwiegend behauptende,
nur selten argumentierende Redeweise, die - nicht zuletzt durch
Polemik und Ironie - polarisierend wirkt. Eine inhaltlich hier kaum
wiederzugebende Fülle ausgeführter oder nur angedeuteter Gedanken
, Erfahrungen und Einzelbeobachtungen, die in der Regel nicht
miteinander verknüpft werden, gehört zur pastoral-theologischen
Gattung und zeichnet sie gegenüber wissenschaftlichen Abhandlungen
aus.

Eine gewisse Systematik erzielt Adloff jedoch dadurch, daß er sich
Für seine Konzeption an den sieben Sendschreiben der Offenbarung
orientiert, ihnen jeweils ein homiletisches Leitwort heuristisch zuordnet
, sie mit den sieben Wochentagen synchronisiert und schließlich
alles in der Weg-Metapher miteinander verbindet. ,,So gebe ich in
diesem Buch Rechenschaft über homiletische Erfahrungen, die ich
mit den sieben Sendschreiben der Apokalypse, im immer neuen Abschreiten
des Weges von Ephesus nach Laodizea, gemacht habe" (12).
,.Ja. der Weg von Ephesus nach Laodizea will im Geist des Herrn
wiederholt werden von der Kirche aller Zeiten, solange noch Zeit ist -
und es lag für einen homiletischen Versuch nahe, die sieben Tage der
Woche, die der Prediger mit seiner Gemeinde durchkämpft, durchsteht
, durchschläft und durchwacht. Für das Exerzitium solcher
Wiederholung zu nutzen" (13f). Dieses ..Naheliegende" genügt Adloff
als Begründung für sein Vorgehen. Hatte er 1971 in seiner Dissertation
(..Die Predigt als Plädoyer") am 2. Korintherbrief den „Versuch
einer homiletischen Ortsbestimmung" erarbeitet, so gibt er hier
anhand der sieben Sendschreiben der Apokalypse eine homiletische
Wegbeschreibung. Im folgenden nenne ich die einzelnen Stationen
auf dem wöchentlich ..im gemessenen, dann und wann verhaltenden
Schritt des Fußgängers" (7) zu wiederholenden „Weg der Predigt" und
füge in subjektiver Auswahl einige markante „Wegzeichen" bei:

Sonntag: ..Ephesus oder: Das Wesen der Predigt" (Apk 2.1-7). „Der Sonntag
ist derjenige Tag, der mit der Predigt als der /eilansage vom unaufhaltsam sich
nahenden Tag des Herrn, vom die Werke Ciottes krönenden Sabbat der
Schöpfung, steht und fällt" (28).

Vonlag: „Smvrna oder: Die Notwendigkeit der Predigt" (Apk 2.8-11). „Der
Komparativ .notwendiger' (nach Phil 1.24; Th.). die spezifisch evangelische
.Notwendigkeit' der Predigt also, meint darum nicht ein gefräßiges .Immer
mehr", sondern ein hilfreiches. Weniger'. Es ist für mich ein Kriterium für die
Qualität einer Predigtlehre, ob sie diesen Komparativ einhält" (49). ..Es ist
schon eine merkwürdige Tatsache, daß dem christlichen Prediger Israel auf
nahezu jeder Seite der Bibel begegnen kann, ohne daß ihn das in seinem Christentum
irremacht: im Gegenteil! Die verheerenden Folgen des kirchlichen
Anspruchs, mehr als Israel zu sein - das wahre Israel, die wahren Juden, die wir
doch nie und nimmer sind - liegen heute aul'dcr Hand" (ebd.. zu Apk 2.9!).

Dienstag: ..Pergamon oder: Die Situation der Predigt" (Apk 2,12-17). „Wer
vermeintlich unpolitisch meint predigen zu können, der hat die Herrschah
Gottes schon preisgegeben an die Götzen der Macht, die unser alltägliches und
eben auch - wie anders'.' - unser kirchliches Leben bestimmen" (81). „Der politische
Widerstand gegen Hiller ist durch seine Erfolglosigkeit so wenig
desavouiert wie der weltweite Kampf um Gerechtigkeit und Menschenwürde,
in den die Kirche unausweichlich mit hineingezogen ist. davon abhängt, welche
Fortschritte dabei erzielt werden. Nicht Taktiken und Strategien zählen, sondern
einzig geistliche und politische Wachheit ist gefordert-für die Situation, in
der Gottes Ehre und unsere Freude miteinander auf dem Spiel stehen" (81 !j.

Mittwoch: „Thyatira oder: Das Medium (der) Predigt" (Apk 2.18-23). Was
Adloffhier seine Vorgehensweise erklärend sagt, das gilt mehr oder weniger für
den konnotativen Gebrauch der homiletischen Leitwortc in allen Kapiteln:
„Dem Leser kann nicht entgehen, daß der Gebrauch des Wortes Medium in
diesem Kapitel .irrlichterf und nichts ausläßt, was sprachlieh auf dem Wege
liegt" (92).

Donnerstag: „Sardcs oder: Die Folgen der Predigt" (Apk 3,1-6). „Die Entlastung
von vermeintlich untragbaren theologischen Ansprüchen, die von
Längt und anderen für die von ihnen inaugurierte I lomilelik verheißen wurde.

führt zu einem beständigen Leistungswettbewerb, bei dem das Gewissen des
Predigers auf der Strecke bleiben muß. ... Der .steile' dogmatische Anspruch,
von dem man den Prediger entlasten wollte, war er am Ende der Spruch der
Cinade. der die Gewissen tröstet und so gewissenhaft-verantwortliche menschliche
Arbeit überhaupt erst möglich macht?" (132). Wird hier nicht aber die
Predigt mit ihrer Theorie gleichgesetzt?

Freitag: „Philadelphia oder: Der (Auf-)Bau der Predigt" (Apk 3,7-13).
„Nicht um ein Können geht es da also zuerst und zuletzt, um Kenntnisse und
Fähigkeiten, die einer hat. sondern um ein Sein, einen Stand vor Gott, um die
gebotene und dem Prediger zugemutete Kraft und Stärke zum Unerhörten"
(146). „Gott will sich an uns und allen seinen Werken unbedingt freuen, und wir
können diese Freude, indem wir sie teilen, vermehren: Das ist der vom Prediger
oft verzweifelt gesuchte Schlüssel zum Text und zur Welt in einem" (163).

Sonnabend: „Laodizea oder: Das Ziel der Predigt" (Apk 3.14-22). „Nicht ist
nämlich der Weg Mittel, um das Ziel zu erreichen, sondern als der Weg des
Herrn die überwältigende Offenbarung des Ziels!" (174).

Abschließend und zugleich von neuem den Weg weisend schreibt
Adloff: „Nachdem wir den Weg der Predigt von Ephesus nach Laodizea
im Rhythmus der Siebentagewoche durchwandert haben, kommt
also aufs neue die Predigt des Sonntags in den Blick - nicht als eine
drückende Last, sondern als eine Verheißung" (190).

Die Wegstrecken am Sonntag, Mittwoch („Höhepunkt") und Freitag
hat Adloff jeweils um eine von ihm früher gehaltene Predigt
(„unerläßliche Begleiter auf dem Weg", 7) verlängert, oder besser: um
einen Rastplatz erweitert: „Das Lob der Gemeinde und die erste
Liebe. Predigt mit Apk 2,1-7" (Epiphanias 1983). „Die Augen und
die Füße des Herrn. Predigt mit Apk 2,18-29" (1982), „Der große
Gott und die kleine Kraft. Predigt mit Apk 3,7-13" (Trinitatis
1982).

Den Text der Sendschreiben bietet AdlolTin eigener Übersetzung,
bei der es ihm darum ging, „die Sprödigkeit des Textes gelegentlich bis
an die Grenzen des muttersprachlich Erträglichen und darüber hinaus
zu wahren" (7). in den drei Predigten hat er davon allerdings keinen
Gebrauch gemacht - nicht zu ihrem Nachteil!

Jedes der sieben Kapitel wird mit zehn Thesen zusammengefaßt,
die den zurückgelegten Weg rekapitulieren helfen. Ein Literaturverzeichnis
(Jean Paul, der S. 105f zitiert wird, fehlt!) und ein
„Schlagwortregister" schließen das Buch. Leider fehlt ein Verzeichnis
der zahlreich angeführten Bibelstellen (die relativ meisten Stellen sind
den paulinischen Schriften entnommen!). (S. 151.4. Zeile von unten:
lies „Schuld" statt „Schule"!)

Wenn man dieses „homiletische Exerzitium" nicht schon bald beiseite
gelegt hat wegen seiner (mitunter maßlosen) Polemik und seiner
nicht genügend begründeten Inanspruchnahme der Sendschreiben Tür
homiletische Grundfragen, dann kann man ihm bleibende Impulse
Für die homiletische Arbeit heute entnehmen. Neben der Hauplinten-
tion pastoraler Vergewisserung und der Entlastung von falschem Leistungsdruck
zähle ich dazu die von Adloff durchgehend ernst genommene
Bedeutung Israels Für die Homiletik („Israel ist und bleibt dabei
der ebenso biblische wie aktuelle Prüfstein Für die Predigt", 50) und
das Gewicht des Politischen für die Predigt (,.. . . ist vornehme Zurückhaltung
in politischen Dingen auf der Kanzel erst recht nicht angebracht
, weil ja - wie in Pergamon - eine alles übertönende politische
Predigt immer schon ergeht, die religiös-ideologisch übertünchte
Froh- und Drohbotschaft der Macht", 80). Eine offene Frage bleibt
auch nach wiederholter Lektüre die Stellung der Predigt im Gottes-
dienst („In der Predigt geht es um die Situation des Gottesdienstes^,
68). Liturgische Aspekte werden an verschiedenen Stellen (besonders
71 IT, I88IT) leider nur kurz und auch da nicht ohne Polemik
angesprochen.

Haan I lenniog Theurich

W inter. Friedrich [Hg.]: .. . daß Jesus Christus allein unser Heil ist.

Brandenburgischc Predigten aus drei Jahrhunderten. Berlin: Evang.
Verlagsanstalt 1989. 208 S. 8 Lw. DDR M 12.-: Ausland DM
18.-.