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Ausgabe:

1990

Spalte:

291-293

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Taborda, Francisco

Titel/Untertitel:

Sakramente: Praxis und Fest 1990

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1 15. Jahrgang 1990 Nr. 4

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noch niemand widerlegt hat, vollkommen. Statt dessen unterstellt er
mir Absurditäten, auf die zu antworten sich nicht lohnt, und wirft mir
Bagatellen vor, wobei er die sonst so sehr von ihm beschworene Toleranz
leider völlig vermissen läßt (besonders 372ff). Ich hatte in diesem
Zusammenhang die Hypothese geäußert, der Autor des Kerns von De
tr. Imp. sei der Genfer Bürger und Calvingegner Jacques Gruet (hingerichtet
1547) gewesen, ein radikaler Humanist, der in Verbindung
zu Etienne Dolet und wahrscheinlich auch zu Francois Rabelais
stand. Ich habe diese These durchaus nicht als erster vertreten. Calvin
hat Gruet nicht, wie N. fälschlich schreibt (370), für einen „Melancholiker
" gehalten, der nicht ernst zu nehmen sei - sondern das
Gegenteil ist richtig: Gruet hat den Genfer Reformator einen gefährlichen
„Melancholiker" genannt, dessen Herrschaft unterbunden
werfen müsse, damit Genf nicht in einer Empörung einmal Tausende
von Bürgern verlöre! Offenbar war Calvin für Gruet der eigentliche
Verführer und Betrüger, dessen „reformandi potestas" (c. 23) er
leidenschaftlich bestritt. N.s Behauptung, die er von Mauthner entlehnt
hat, stimmt nicht, „daß von den theologischen Gedanken der
Reformationszeit sich nicht eine Spur in dem Traktat vorfindet"
(386); vielmehr wird beharrlich Calvins Prädestinationsichre bekämpft
(c. 8-11), und in der Trinitätslchrc, die nach N. der Verfasser
„nur vom Hören-Sagen zu kennen scheint" (384), ist der Einfluß
Scrvetscher Gedanken spürbar (in der Auffassung des Geistes als
unpersönlicher Lebenshauch, c. 3).

Ernsthaft zu beanstanden ist, daß N. den von G. Bartsch 1960
gedruckten Text des Betrügerbuches mit der Überschrift „De Tribus
Impostoribus Anno MDIIC" auf J. J. Müller (1688) zurückführt (162
u. ö.), nachdem bereits J. Presser 1926 schlüssig nachgewiesen hat,
daß dieser Text, der übrigens den schlechtesten Wortlaut des Betrügerbuches
bietet, aber von N. fortgesetzt zitiert wird, erst 1753 von
dem Wiener Buchhändler Paul Straube auf den Markt gebracht
worden ist. Wie N. zu der Annahme kommt, daß J. J. Müller den
Traktat nach dem Geburtsjahr seines Großvaters Johann Müller
(1598) datiert habe, ist mir unerklärlich. (162 u. ö.).

N. vermutet (38), daß Lessing mit der Ringparabel eine „Antwort"
auf das Buch von den drei Betrügern gegeben habe, was schließlich für
ihn zur Gewißheit wird (329). Damit überbewertet er die Bedeutung,
die der Traktat für Lessing gehabt hat.

„Toleranz" ist für N. eine Antwort auf die Betrugshypothese („Die
Antwort auf den Betrug ist die Toleranz", 74). Religionsbetrug kann
aber viel eher zur Skepsis und zum Unglauben führen!

„Toleranz" ist für N. inhaltliche Toleranz, nämlich die Herausbildung
einer natürlichen Religion, die „so allgemein formuliert (ist),
daß es unter den Anhängern dieses Glaubens keine Religionsstreitigkeiten
mehr geben kann" (Sperrung von N.), also Herausbildung
eines reinen Deismus. Dies ist zwar die Auffassung eines Marquis
d'Argens (74), dürfte aber keineswegs diejenige von Lessing in seiner
Ringparabel sein.

N.s Buch enthält manche interessante Beobachtungen und liefert
vor allem ausgedehnte Litcraturhinwcisc; seine Gesamtkonzeption,
kann jedoch nicht als zutreffend bezeichnet werden.*

Berlin Wolfgang Genicke

* Vgl. zu dem Vorstehenden vor allem mein Buch: ..Das Buch De Tribus
Impostoribus". Quellen. N.K.2.. Berlin 1982.

Systematische Theologie: Allgemeines

Taborda, Francisco: Sakramente: Praxis und l est. Aus dem Portug.
von H. Goldstein. Düsseldorf: Patmos 1988. 182 S. 8" = Bibliothek
der Befreiung: Die Kirche, Sakrament der Befreiung. Kart.
DM 39,80.

Die Einzelbände der „Bibliothek Theologie der Befreiung" stehen
jeweils für sich. Gleichzeitig wollen sie repräsentative Meinungen
wiedergeben. Das Sammelwerk will alle Loci der Theologie unter den
Gesichtspunkten „Option für die Armen" und „Befreiung" behandeln
. Taborda ist voraussichtlich nur mit dem Band über die Sakramente
vertreten. Das Thema hat er über Jahre erforscht, diskutiert
und in der Lehrtätigkeit dem kritischen Nachdenken anderer Partner
ausgesetzt. Ob die Erfahrung der Praxis in den Basisgemeinden unmittelbar
mitgeschrieben hat, erfährt man nicht. Die Reflexion dessen,
was dort geschieht, war auf jeden Fall maßgeblich beteiligt. Das Buch
ist also die Sakramenten-Lehre der Theologie der Befreiung.

Die theologischen Wurzeln sind in den 60er Jahren gelegt worden.
Das Volk Gottes im Exodus macht Station. Hier wird es für neue
Wirksamkeit in der Weitergabe des Befreiungsevangeliums ertüchtigt,
weil es die Chance bekommt, die erhoffte und geglaubte Zukunft vorwegnehmend
zu erleben. Was seinerzeit so ausgesagt worden ist, wird
von Taborda in die Traditionen katholischer Fundamentaltheologie
eingelügt.

Wie Wirklichkeit und Bewußtsein, Praxis und Theorie zusammengehören
und einander bedingen, so ist die „historische Praxis ,im
Herrn'", die heutige Gestalt christlichen Glaubens in Lateinamerika,
mit den Sakramenten verknüpft. Das zu erläutern und zu entfalten
bedient sich Vf. der Kategorie des Festes. Die Anknüpfung an Harvey
Cox' „Fest der Narren" ist deutlich. In der ausführlichen, weitestgehend
anthropologischen Untersuchung des Festes (Teil 2) geht Vf.
vor allem der Bedeutung seiner Grundclemcnte nach: Dem als wertvoll
erachteten Faktum, dem bezeichnenden Ausdruck - hiereine gut
lesbare übersichtliche Lehre vom Symbol - und der solidarischen
Gemeinschaft. Nicht nur, daß diese ein Fest erst zum Fest machen.
Vor allem ihre Zusammengehörigkeit muß unterstrichen werden.

Nach zwei Dritteln des Buches sind die Kategorien Praxis und Fest
soweit klar, daß sich Vf. einer theologischen Lehre von den Sakramenten
zuwenden kann. Die Grundclemcnte des Festes sind auch
Grundelemente von Sakramenten. Auch katholische Lehrtraditionen
lassen sich von hier aus erschließen. Der Nachweis dafür gelingt Vf.
mitunter nur in etwas komplizierten Gedankengängen. Solidarische
Gemeinschaft ist Grund und Ziel des Festes. Die Kirche ist „Wurzelsakrament
" und Resultat sakramentalen Handelns zugleich.

Bedeutsam scheint mir die Beobachtung, daß. so weit ich sehen
kann, nicht ein einziges Mal Sakramente direkt als Fest bezeichnet
werden, immer wieder freilich mit einer Feier gleichgesetzt werden.
Von der Kategorie „Fest" her wird der Begriff Sakranient erschlossen.
Warum kann dann aber ein Sakrament nicht auch ein Fest genannt
werden? Die Antwort muß sich der Leser selbst suchen. Vielleicht gibt
es eine in der Übersetzung begründete. Ich bin des Portugiesischen
nicht mächtig. Taborda hat sein Buch in dieser Sprache geschrieben.
Möglicherweise ist der Unterschied zwischen Fest und Feier eben
etwas Typisches in der deutschen Sprache. Die Frage, was Vf. nun
also meint, ist damit freilich noch nicht beantwortet. Fest ist - so wird
man wohl sagen können - ein ausgesparter Bereich. Feier ist ein Geschehen
. Um letzteres geht es dem Vf. Er will die Feier der Praxis „im
Herrn" beschreiben. Die durch das Handeln Gottes bestimmte
Dimension wird mittels der drei oben genannten Elemente des Feierns
in der Praxis manifest. Der in der Tradition durch die Kirche herausgebildete
und jeweils neu gestaltete Ritus oder das ebenso entstandene
Symbol geben dies zu erkennen. Fest wäre - denke ich - mehr. Es wäre
das vorweggeschchende. gegenwärtige Reich Gottes, die Praxis beendend
, aufnehmend und neu moti ierend. Es wäre sicher vermessen,
von den Sakramenten zu behaupten, sie machten das „Nochnicht"
/um „Schon". Aber sind sie nicht die Stationen, wo die Aktion der
Menschen schweigt, um Gottes Handeln und seinem Zuspruch Platz
zu machen'.' Sakramente als Feier zu definieren, eröffnet - wie Vf.
mehrfach mit Recht feststellt - auch neue Gesprächsmöglichkeiten
zwischen den Kirchen. Aber sind nicht die „protestantischen" Anfragen
wegen des eschatologischen Vorbehalts doch auch an den
Sakramcntsbegriff der Theologie der Befreiung zu stellen?