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Ausgabe:

1990

Spalte:

280-281

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lienhard, Marc

Titel/Untertitel:

L' Évangile et l'Église chez Luther 1990

Rezensent:

Greiner, Albert

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 4

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den Schmuck des Altars verbergen sollten? OfTenbar nicht nur, denn
schon im Mittelalter wurde ihre Aufgabe darin gesehen, während der
Leidenszeit die göttliche Natur Christi zu verbergen und die menschliche
mit den Bildern des Leidens auf der Leinwand vor Augen zu führen
. Das wäre dann ein wichtiger Hinweis darauf, wie im Mittelalter
Theologie in die Frömmigkeit eingehen konnte. Das gleiche gilt für
die Bildabfolge von AT und NT, wobei sorgfältig zwischen heilsgeschichtlichen
und typologischen Zyklen unterschieden wird. Mit
beiden Programmen gelang es der Kirche des Mittelalters, die Kontinuität
von AT und NT zu verarbeiten und zu bewahren. Im Ergebnis
seiner Untersuchungen räumt S. mit einigen Klischees auf. Die
Fastentücher belegen für die mittelalterliche Zeit eine volkstümliche
Bibelfrömmigkeit. Ihre Theologie ist keineswegs weit von protestantischen
Bildprogrammen entfernt und bedeutet für die Kirchengeschichte
: Im Mittelalter waren den einfachen Gläubigen die Bibel
und ihre Themen durchaus nicht unbekannt. Heiligen- und Reliquienkult
herrschten nicht ausschließlich. Das heilsgeschichtliche
Anliegen der Theologie wurde biblisch entfaltet. Natürlich sind die
Fastentücher auch Ausdruck der Passionsfrömmigkeit, die S. vielleicht
nicht ausreichend gewichtet. Zuweilen schießt S. zudem etwas
über das Ziel hinaus. So setzt sich auch in der ev. Kirchengeschichtsschreibung
die Erkenntnis zunehmend durch, die vorreformatorische
Zeit nicht nur als theojogische Verfallsepoche anzusehen (gegen
S. 325), auch wenn die Ausstellung „Kunst der Reformationszeit"
1983 in Berlin die Zeit um 1500 noch mit „Heiligenkult und Bilder-
glaubc" klassifiziert (S.- Kritik daran S. 326 ist durchaus berechtigt).
Die Arbeiten zum Lutherjahr, auch die Ergebnisse des Lutherkongresses
1983 in Erfurt haben wesentlich differenziertere Erkenntnisse
gebracht. Haeblers Thesen sind überholt. Daß es aber keinen Unterschied
zwischen mittelalterlichem Bibelverständnis und lutherisch-
protestantischem gibt, ist zu pauschal. Mittelalterliche Frömmigkeit
lebt entschieden von Andacht und Liturgie, protestantische von der
Predigt. Das prägt auch die Bildprogramme aus, etwa in der Auswahl
der Themen. Insgesamt ist aber diese groß angelegte und sorgfältige
Untersuchung über die alpenländischen Fastentücher nicht nur sehr
gelungen, sondern für die Kirchengcschichtsarbeit ein wichtiger Beitrag
. Dafür gebührt dem Vf. Dank.

Berlin Gcrlinde Wiedcranders

Bethge. Eberhard: In Zitz gab es keine Juden. Erinnerungen aus meinen
ersten vierzig Jahren. München: Kaiser 1989. 255 S. 8'. Lw.
DM 36,-.

E. Bethge, Editor Bonhoeffers und sein Biograph, vermittelt mit dieser
biographischen Skizze sein eigenes Lebensbild bis in die unmittelbare
Nachkriegszeit. Verschiedenen Ursprungs, zwischen 1944 und
1989 entstanden, ergeben die in lockerer Form zusammengefügten
Teile dieser Memoiren ein auch atmosphärisch eindrückliches Iii kl
von Kindheit und Jugend, von Studenten- und Vikarszeit, wobei die
durch Verwandtschaft vertiefte Freundschaft mit Bonhoeffer prägende
Bedeutung gewinnt. Frau Bethge geb. Schleicher ist Nichte
D. Bonhoeffers. 1937-1940 war Bethge als Studieninspektor in Bonhoeffers
Sammelvikariat (Groß-Schlönwitz. nachdem Zingst 1937
und Sigurdshof März 1940 aufgelöst war). Die Kriegsjahre über zunächst
für die Goßner-Mission uk-gcstellt, dann bei der Wehrmacht
(geheimer Briefwechsel mit Bonhoeffer während dessen Gefängniszeit
), wurde Bethge schließlich Oktober 1944 an der Italicnfront verhaftet
und in das Gestapogefängnis Berlin, Lehrler Straße 3, verbracht
. Am 25. April 1945 befreit (sein Volksgerichtstermin war erst
für Mitte Mai 1945 angesetzt), wurde er persönlicher Referent bei
Otto Dibelius und war zugleich Studentenpfarrer in Berlin bis 1953,
ehe er ein Auslandspfarramt bis 1961 in London übernahm. Danach
war er bis zum Ruhestand 1976 Leiter des Rheinischen Pastoralkollegs
in Rengsdorf. Diese Spätzeit ist indes nicht mit berücksichtigt.
Während er Dibelius nach Treysa und Stuttgart begleitete, widmete er

sich vorrangig Recherchen über Bonhoeffers damals noch nicht voll
bekanntes Schicksal. Manches zeitgeschichtlich Bedeutsame sei ihm
dadurch entgangen.

Die aus kleinen Erzähleinheiten zusammengefügte Publikation
erhält ihren Titel von der Schilderung der Kindheitsjahre in Zitz, südlich
von Brandenburg, wo der Vater Pfarrer war. Die Konfrontalion
mit der Judenfrage im Kirchenkampf des Dritten Reiches erfolgte also
lebensgeschichtlich später. Insofern hat der Titel der Memoiren mehr
symbolische Bedeutung: Er darf wohl auch im Blick auf den 80. Geburtstag
des Autors am 28. August 1989 darauf hinweisen, daß für
Bethge das Ereignis des Holocaust im Zweiten Weltkrieg schon seit
langem zur existentiellen Anfechtung und zum kulpatorisch besetzten
Impuls für eine historiographisch-theologischc Aufarbeitung der der
Theologie damit gestellten Probleme geworden ist.

Leipzig Kurt Meier

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Lienhard. Marc: L'Evangile et l'Eglise che/. Luther. Paris: Ccrf 1989.
287 S. 8' = Cogitatio Fidei. Kart, ffr 145.-.

Der weit über die Grenzen seiner Heimal bekannte Strassbourger
Kirchenhistoriker Marc Lienhard hat die seltene Gabe, strengste wissenschaftliche
Genauigkeit mit allgemeinverständlicher klarer Darlegung
zu vereinen, und diese Eigenschaft u. a. sollte den Erfolg seines
jüngst in der Reihe Cogitatio fidei des Pariser katholischen Verlagshauses
LeCer/erschienenen Buches verbürgen.

Schon der Titel „Evangelium mui Kirche bei Luther" zeigt, daß es
sich hier nicht um eine Biographie handelt. Diese Biographie hat
M. L. schon im Lutherjahr unter dem Titel: «Martin Luther. Un
temps, une vie, un message» veröffentlicht, und sie fand eine so gute
Aufnahme, daß der Verleger noch im selben Jahre eine 2. Auflage herausgeben
mußte. Im vorliegenden Werk nimmt der Vf. einige Fragen
auf, die damals seiner Ansicht nach etwas zu kurz kamen und die auf
Grund der neuesten Untersuchungen heute in einem neuen Licht
erscheinen. Zu diesem Zwecke stellt er den Text von 11 Studien, Artikeln
und Vorträgen zusammen, die bis auf eine Ausnahme zwischen
1983 und 1988 entstanden sind und deren größter Teil bereits in verschiedenen
Veröffentlichungen erschienen ist. Der Vorteil, oft schwer
zugängliche Abhandlungen in einem einzigen Band zu linden, wiegt
den Nachteil einiger Wiederholungen vollständig auf.

Lienhard gibt seinem Buch die Gestalt eines Triptychons, dessen
erster Flügel (zu welchem auch das bezeichnenderweise „Ein Zeuge
des Evangeliums" betitelte „Vorspiel" gehört - S. 15-35) der Spitt"
tuaHtäl gewidmet ist (S. 37-104), in welcher er das Herzstück des
Lebens und Wirkens Luthers erblickt. Der Vf. handelt also hier vom
Glauben und vom Leben des Christen in der Sicht des Wittenberger
Reformators. Ausgehend vom zentralen Thema der Freiheit, führt er
uns über eine kurze Beschreibung dieser Spiritualität hin zur Frage der
Menschenrechte und zeigt so, wie der Glaube in die tätige Sorge um
den Nächsten einmündet.

Beim 2. Flügel des Triptychons geht es um das oft vernachlässigte
Thema Kirche (S. 105-193). In diesem mit besonderer Akribie gestalteten
Teil seines Buches entfaltet Lienhard nicht nur seine ausgezeichnete
Kenntnis von Luthers Ekklesiologie gegenüber dem von römischer
Seite oft erhobenen Vorwurf des Subjektivismus und des Individualismus
, wie gegenüber dem protestantischen Mißverständnis, als
hätte der Reformator nur eine „unsichtbare" Kirche gekannt. Gemäß
einem seiner Hauptanliegen gibt er uns auch einen tiefen Einblick in
die Umwelt Luthers und führt uns so in vier Kapiteln von den ekklc-
siologischen Problemen des ausgehenden Mittelalters über das jahrelang
durchgehaltene Anliegen Luthers, die Kontinuität der Kirche zu
bewahren, bis hin zu der Kirchenspaltung des 16. Jh.