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Ausgabe:

1990

Spalte:

272-273

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wright, Nicholas T.

Titel/Untertitel:

The Epistles of Paul to the Colossians and to Philemon 1990

Rezensent:

Pokorný, Petr

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 4

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der Seele. Ausgenommen ist fast nur Irenaus (228 ff, 251), der die noch
zu wenig bedachte These vertrat, das Heil sei die Wiederaufrichtung
des Schöpferwerkes Gottes.

Diese Entwicklung ist schon in ntl. Zeit angelegt (Kap. III). Bei
Johannes wird „auf die konkrete, körperliche Heilung an sich kein
besonders großer Wert gelegt" (165). Die „Taten" haben hier in erster
Linie die Funktion des Zeugnisses. Schon bei Lukas (anders kämen
Matthäus: 134, und Markus: 123f, dem Verständnis Jesu nahe) geht
mit dem Schwund der cschatol. Perspektive eine Steigerung des
Wunderaspektes einher (153). In dieser Hinsicht entsprechen sich
Evang. und Apg. N. meint, dies hinge mit einer Nutzung der Wunder
für die missionarische Verkündigung zusammen. Er nennt die Heilungen
etwas unglücklich „Missionsaktiva". Hier würde ich ein erstes
Fragezeichen setzen. Hat Jesus seine Jünger ausgesandt und zur Heilung
aktiviert (75ff), kann die missionarische Funktion kein grundlegend
neues Moment der Heilungsgeschichten sein. Die Paulusbricfe
hat N. fast an den Schluß des Kapitels gestellt. Mit Jesus verbinde den
Apostel, daß er die Taten als essentiellen Teil des Dienstes „neben
und eng verbunden mit dem Wort" vorstellt „als verschiedene Manifestationen
derselben zugrunde liegenden Wirklichkeit" (210). Darf
man allerdings der positiven Erwähnung von Aposteltaten entnehmen
, er habe „Heilungen durchgeführt" (209)? Immerhin ist er „nicht
sonderlich daran interessiert, ihren Charakter als Wunder zu betonen
". Doch haben bei Paulus, merke ich an, die Taten eben als
„Taten der Apostel" missionarisches Gewicht!

Kap.-II „Jesu Verständnis der Heilung" (8-107) befragt die einschlägigen
Stellen (besonders Spruchgut) jeweils auf deren Authentizität
, ehe das Ergebnis erhoben wird: Jesus hat „einen engen Zusammenhang
zwischen seinen Dämonenaustreibungen und dem Kommen
des Reiches Gottes gesehen" (45. zu Mt 12,28 par.). Grundsätzliche
Voraussetzung dafür ist die cschatol. Niederlage des Satans (51,
zu Lk 10,18). Die Heilungen sind „in einem engen Zusammenhang
mit der erwarteten Heilszeit gesehen" (57, zu den Seligpreisungen).
Die Heilszeit war mit Jesus im Begriff, Wirklichkeit zu werden (74, zu
„dein Glaube rettete dich"). Jesus sandte die Jünger aus (85) und sah
„keine andere Grenze für die Gültigkeitsdauer der Aussendung . . .als
das endgültige Anbrechen des Gottesreiches" (90). ,,In Jesus sind die
Kräfte des Reiches zur Befreiung der Menschen wirksam" (90). -
Aber: Können wir heute noch in der hier geübten Weise das Authentische
an Jesus bestimmen? Können wir über Q Genaueres sagen (66:
dessen Rekonstruktion sei möglich)? Wortwahl, -Stellung, Sinn,
eigentlich alles, was wir vor uns haben, ist doch bestenfalls ein Zeugnis
über, nicht von Jesus! N. gibt das zu, indem er (63) von einer doppelten
Authentizität zu reden empfiehlt. Doch wenn er die Aussendungstradition
für vorösterlich hält (86), weil sie (an Ostererzählungen
erhobene) österliche Kennzeichen nicht enthalte, sind alle linguistischen
Einsichten der letzten Jahrzehnte überspielt. Hier zeigt
sich, wie weit wir noch von sicheren Aussagen über Jesus entfernt
sind!

Dem korrespondiert die Unsicherheit der Terminologie. Was
bedeutet „eschatologische Perspektive"? Was ist mit dem kommenden
Gottesreich gemeint? Wie ist das Wort „Prolepse" exegetisch
begründet? Hat Jesus apokalyptisch eine neue Welt erwartet? Sah er
Gott mit seinem Handeln kommen? Welche Rolle spielten die Ausgesandten
? Wie ist die Mission der Kirche einzuordnen? Hier hätte man
gern mehr gehört.

In einem Schlußabschnitt (Kap. V. 253-267; es folgen Verzeichnisse
und 288-292 ein Dansk resumc) kommt N. auf die Frage der
Relevanz seines Ergebnisses. Unser gegenwärtiges Hcilungsversländ-
nis ist altkirchlich (259)! Wir haben es weithin aufgegeben, körperliches
Heil zu vollziehen (265), es sei denn in der eigentlichen
Diakonie der Kirche (266). Dabei sieht N. keinen Grund, zwischen
der Medizin und dem kirchlichen Anliegen, körperliches Heil anzustreben
, zu differenzieren, so als ob Kirche „unbedingt Heilungswunder
vollziehen" müsse (266, Sperrung vom Autor). Doch sollte
unsere Verkündigung die falsche Trennung aufgeben, leibliches Wohl

als die geringere Gabe vom entscheidenden geistlichen Wort abzuheben
. „Der heilende Dienst (kann) nicht von den anderen Diensten, die
mit zum Auftrag der Kirche gehören, isoliert werden" (267).

Borsdorf Gottfried Schille

Hoppe, Rudolf: Epheserbrief, Kolosserbrief. Stuttgart: Kath. ßibcl-

werk 1987. 168 S. 8° = Stuttgarter Kleiner Kommentar, Neues

Testament, 10. Kart. DM 19,80.
VVrigth, N.T.: The Epistles of Paul to the Colossians and to Philemon.

An Introduction and Commentary. Lcicestcr: Inter-Varsity Press;

Grand Rapids: Eerdmans 1986. 192 S. 8" = The Tyndale New

Testament Commentaries. Kart. £ 3.50.

Zwei neue Zuwächse in den bekannten allgemeinverständlichen
Kommentarreihen sind dem Umfang und der Anlage nach vergleichbar
. Gemeinsam ist ihnen auch das sympathische Bemühen der
Autoren, bei aller Kürzung des exegetischen Apparats das theologische
Anliegen der Texte so genau wie möglich darzustellen, so daß
die vorliegenden Kommentare den entsprechenden großen Kommentarwerken
in theologischer Hinsicht ebenbürtig sind. Und doch
unterscheiden sie sich voneinander erheblich.

Hoppe hält sowohl den Kolosserbrief als auch den Epheserbrief, der
von ihm abhängig ist, für Werke der Paulusschüler, die in den siebziger
und neunziger Jahren in Kleinasien entstanden sind und die die
paulinische Lehre schöpferisch entfaltet und für eine neue Zeitperiode
und neue Verhältnisse appliziert haben.

Die Situation im Kolosserbrief war gekennzeichnet durch eine
gnostisch eingestellte Häresie, die dem schicksalhaften Druck durch
Flucht in die himmlische Welt entweichen wollte, im Epheserbrief
dagegen (einem Schreiben, das unbeachtet der textkritischen Probleme
in der Adresse sowieso für die Christen im Bereich von Ephesus
bestimmt war), durch die Verengung des Evangeliums, die den
ökumenischen Auftrag der Kirche in'den Hintergrund gedrängt hat.
Im ersten Fall (Kol) wird betont, daß Gott in dieser Welt wirksam ist
und daß man einer solchen von Gott umgewandelten Welt nicht zu
entfliehen braucht (S. 161), im zweiten Fall (Eph), daß die Kirche, in
der die ehemaligen Heiden eine schon unproblematische Stellung eingenommen
haben , ein ökumenischer Organismus, der im breitesten
Sinne des Wortes „ökumenisch" ist. In der Verbindung der ehemaligen
Heiden und ehemaliger Juden repräsentiert sie die Menschheit
und in ihrer Verbindung mit dem auferstandenen Christus (von dem
sie völlig abhängig ist - S. 55) verbindet sie die Existenz der Menschen
mit dem himmlischen Bereich. Wo die Kirche wirklich lebt, dort wird
schon in dieser Welt der Druck der übermenschlichen Mächte, die in
der „Luft" sind (s. die Tabelle zum Welt- und Kirchenbild des Eph -
S. 25) überwunden. Die Kirche soll jedoch durch Mission und durch
ständig neue Erkenntnis und Zueignung des Geheimnisses der Gnade
Gottes das werden, was sie nach dem vorzeitlichen Gotteswillen schon
ist.

Im Ansatz sind die theologischen Themen des Eph schon im Kol
enthalten und beide Briefe bemühen sich mit Erfolg, das Anliegen der
paulinischen Theologie (die Gnade Gottes und die Schlüsselstellung
des gekreuzigten und auferstandenen Christus) als lebendiges Erbe in
einer geänderten Lage zu applizieren.

Die übersichtlichen, von der sukzessiven Auslegung deutlich abgehobenen
Exkurse betreffen das Weltbild des Epheserbriefes, sein
Kirchenbild, die „Haustafeln", die Sklaverei in der Antike, den
Christushymnus in Kol 1,15-20 (zwei Strophen, Zwischenstück +
Zusätze des Verfassers von Kol) und die Häresie in Kolossä. Sic ermöglichen
auch den Laien, die die vorausgesetzten Leser dieser
Kommentare sind, eine gute Übersicht über die wichtigsten Einlei-
tungs- und Auslegungsproblcmc.

Die Auslegung wird nicht von einer Übersetzung begleitet, oft wird
jedoch auf die Einheitsüberset/ung verwiesen. - Ollen hat H. die Frage
des historischen Hintergrundes der Aussagen über das Verhältnis der
Heiden- und Judenchristen im Eph gelassen.