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Ausgabe:

1990

Spalte:

260-261

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kartveit, Magnar

Titel/Untertitel:

Motive und Schichten der Landtheologie in I Chronik 1 - 9 1990

Rezensent:

Gunneweg, Antonius H. J.

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Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 4

260

essiert. Diese sei „zwar aus den Worten des Propheten, aber doch
wohl erst durch ihre literarischen Bearbeitungen entstanden" (69).
Jeder ihrer Verfasser habe dabei unter dem Druck der Probleme seiner
Zeit in der Kontinuität mit dem Überlieferten „neue Texte geschaffen
" (70).

Der Jeremia-Kommentar von McKanc(ICC 1986), der die Genese
von Jer 1-25 als „langandauerndc Selbstvermehrung" schriftlicher
Überlieferung beschreibt, wird angesichts dieser bemerkenswerten
These besonders gewürdigt und besprochen.

Die Vfn. vermutet nun (1.2. Fragestellung. S. 80-89), daß zwischen
den „großangelegten Schichten" (80) des Jeremiabuches (Prophetensprüche
, Fremdberichte, dtr Texte) weitere kleinere Quellenschichten
innerhalb der Spruchsammlungen aufzufinden wären. Ausgehend
von Böhmers Studien zur Differenzierung jer., nach-jer. und dtr Abschnitte
in Jer 30f (Heimkehr und neuer Bund, GTA 5, 1976), meint
sie. die (bei Böhmer nach-jer.) Einheiten 30,5-7.10-11.1/5-17.18-21;
31,7-9.10-14.21-22 einem (besser als vor-dtr zu bezeichnenden)
Verfasser zuschreiben zu müssen, der wohl auch in anderen Teilen des
Buches Textpassagen gestaltet habe.

Nach kurzen methodischen Vorbemerkungen (I.3., S. 90-97) wendet
sich die Vfn. im folgenden ersten Hauptteil (II., S. 98-138) zunächst
Bezugnahmen von Kap. 30f auf andere Teile des Jeremiabuches
zu, wobei besonders Jer 10,17-25* und 6,22-26 Beachtung
finden. Der Autor von 30,5-31,22 habe dabei seine Schrift unter der
Voraussetzung komponiert, daß die Leser diese „im Hinblick auf
6,22-26 wie auch als Entfaltung von 6,22-26 verstehen sollten"
(121).

Anschließend werden in einem 2. Hauptteil (III., S. 139-287) die
vor-dtr Heilsworte 2,2ay-4; 3,12a/f-13ba; 3,21-25; 6.16a + 17a und
10.19-20(24-25?) subtilen exegetischen Betrachtungen unterzogen
.

Die Vfn. folgert daraus (vgl. auch IV. Schlußteil, S. 288-313), daß
sich die ebengenannten vor-dtr Worte eng an die von Böhmer herausgestellten
„nach-jer." Passagen in Jer 30f(s. o.) anschließen, so daß sie
alle ein und demselben Verfasser zuzuschreiben seien.

Dieser von der Vfn. als vor-dtr Autor bezeichnete Bearbeiter
gestaltete seine Texte, die als literarische Schicht beschrieben werden
müßten, so, daß er sie in der Regel in der ersten Hälfte der Abschnitte
an die gegebenen Sprüche Jeremias angleiche, im übrigen aber drei
formulierte. Er verfolge dabei das Ziel, „sein eigenes Zukunftsbild"
(295) für das gesamte Israel (s. „Jakob"; S. 299) durch die echten
Sprüche Jeremias zu begründen (31.2-6.15-1 7.18-20). Diese drei
Abschnitte der jeremianischen Heilssprüche bildeten daher den
Grund und zugleich den Höhepunkt der literarischen Bearbeitung des
vor-dtr Verfassers (295).

Dieser Autor habe mit großer Wahrscheinlichkeit den Zusammenbruch
des Staates Juda miterlebt (3,24-25). Seine literarische Tätigkeit
repräsentiere daher eine ziemlich frühe Phase der exilischen Zeit
im Lande Juda. Dennoch sei nicht der Prophet selbst oder dessen unmittelbare
Umgebung für das Entstehen der Texte verantwortlich.
Diese Folgerung erscheint problematisch, zumal keine stichhaltigen
Charakteristika zur Unterscheidung dieses literarischen Schaffens von
der Bolschaft des Propheten nach der Katastrophe von 587 bzw. von
dessen prophetischem Umkreis angeboten werden.

Die Vfn. meint, daß „der vor-dtr Verfasser" mit seiner „eschatolo-
gischen" Hcilshoffnung „in seinem .Trostbüchlein' eine Zukunft der
von Jahwes Heilstatcn umgewandelten Ordnung bereits vorsieh sieht,
die weder Ungehorsam noch Sünden . . . umwenden können" (31 I).
Möglicherweise hätten während der Entstehung dieser vor-dtr Schicht
die Kapitel 2,5-10.18* noch im direkten Anschluß vor den jeremianischen
Sprüchen aus 30fgestanden.

Mit dieser Monographie wurde ein lesenswertes, für die weitere
Forschung am Thema wesentliches Buch in die gegenwärtige exegetische
Diskussion eingebracht.

Leipzig Dieter Vieweger

Kartveit, Magnar: Motive und Schichten der I.andthcologie in
I Chronik 1-9. Stockholm: Almquist & Wiksell Intern. 1989.
176S. gr. 8' = Coniectanea Biblica. Old Testament Series, 28.
SEK 157.-.

Die 1987 in Uppsala angenommene Dissertation untersucht die
geographischen Angaben innerhalb der sogenannten „genealogischen
Vorhalle" des ehr Werkes. Diese neun Kapitel galten seit ihrer wissenschaftlichen
Erforschung längere Zeit als pure Fiktion und als in-histo-
rischer wie in theologischer Hinsicht wertloses Machwerk des „Spätjudentums
". Auch nachdem sich eine Wende zu einem tieferen Verständnis
vollzogen hatte - so insbes. bei G. von Rad, Das Geschichtsbild
des ehr Werkes, BWANT 54. 1930 -, schien die vorliegende
Gestalt doch das Endergebnis zahlloser, kaum noch entwirrbarer
Wucherungen zu sein. Hier setzt Vf. an und fragt - nach einer kritischen
Sicht bisheriger Versuche -, „wie denn dies möglich gewesen
sein sollte: die Chronik als ein offenes Buch, in das nach Ende der
Tätigkeit des Chronisten ein jeder hineinschreiben konnte? Ist die
Chronik ein Sammelsurium beliebiger Eintragungen von jedermann
?" (S. 30)

Dem Nachweis, daß dies in der Tat unwahrscheinlich ist, dient der
umfangreichere, literarkritische feil der Monographie (S. 19-109).
Hier können nur die wichtigsten Ergebnisse der detaillierten Analysen
referiert werden: Die „Grundschicht" - so K.s Terminologie - ist viel
breiter und einheitlicher, als es auf den ersten Blick scheint. Sic umfaßt
das ganze Kapitel 1. und in den übrigen Abschnitten können
noch folgende Passagen eindeutig als Erweiterungen angesehen werden
: 2,9a.9b; 2,25-33; 3,1-9a; 4,1 ab«; 5,la£-3a; 5.9b-l0; 5,27-41:
7,6-12a; 7,14a£15aß 17,21 b-24; 8.6b-7a.l4b-40; 9.1 a/< b«.38b.
Außer diesen „ältesten Erweiterungen" rechnet K. noch mit „jüngeren
Erweiterungen". Als solche bezeichnet K. 2,42-50a«;
5,18-22.26; 6,39-66. Wie auch sonst sind noch spätere, kurze Hinzufügungen
und Glossen zu verzeichnen.

Auf dieser literarkritisch gewonnenen Basis baut die inhaltliche
Untersuchung unter dem Titel „Israels Land im Spiegel der ersten
neun Kapitel der Chronik" auf. Methodisch richtig werden die einzelnen
Schichten gesondert betrachtet. Es zeigt sich, daß der Chr schon
auf ihm vorliegende Texte, zumeist aus Gen und Jos, zurückgreift,
und diese nicht nur überliefert und für die eigene Gegenwart interpretiert
- wie man früher anzunehmen pflegte -, „sondern neue Größen
schaffen" (S. 167) will, um zeitgenössische Verhältnisse zu legitimieren
und auch Hoffnungen aufbessere Zeiten zu wecken. Wichtiger
noch als diese Auskunft ist, daß K. zeigen kann, daß die vom Chr entworfene
Geographie dieselbe Intention verfolgt wie seine ganze genealogische
Konstruktion. Sogleich das Kap. 1 strebt wie genealogisch-
zeitliche so auch geographisch-räumliche Universalität an. in der
Israel zeitlich den Zielpunkt und räumlich das Zentrum bildet. Die
folgenden Kapitel 2-9 der „Vorhalle" entfalten diesen Entwurf.
Bemerkenswert ist dabei auch, daß Juda mit Jerusalem wiederum als
genealogisches Ziel und geographische Mitte Israels dargestellt wird.
Während diesem Stamm sogar ostjordanisches Gebiet zuerkannt,
auch Simeons Territorium erweitert wird und die mittelpalästinischen
Stämme ihren traditionellen Landbesitz behalten, bleiben die
galiläischen Stämme geographisch unberücksichtigt.

Die Erweiterungen der Grundschicht ändern an dieser Konzeption
nichts, sondern ziehen die vorgezeichneten Linien durch. Ein neuer
Zug ist allerdings die von K. so bezeichnete „Klerikalisierung des ganzen
Landes".

Hinsichtlich mancherlei Einzelheiten der literarkritischen Analysen
kann man. wie kaum anders zu erwarten, anderer Auflassung sein
und der von K. angenommenen Grundschicht noch mehr Material
zurechnen. Der Lohn eines solchen Streites wäre indessen gering, weil
das Hauptergebnis der Monographie hiervon unberührt bliebe: Die
Vorhalle, so stellte sich heraus, hat eine klare Konzeption und trägt
das typisch ehr Verständnis von Israel vor: Israels wahres Zentrum ist
Juda mit der Tempelstadt Jerusalem.