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Ausgabe:

1990

Spalte:

228-229

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Schritte zum Vertrauen 1990

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 3

228

ren; diese mußten vom Jahwismus zerstört werden, sollte dieser
Bestand haben. Mit der Zerstörung wurden aber zugleich Elemente
der älteren Schichten übernommen; z. B. zeigt ein Klagelied der Isch-
tar die Nähe zu alttestamentlichen Klagepsalmen (S. 21, 31 ff). Der
Autorin scheint die Annahme möglich, das Klagelied der Ischtar sei
von .einer Frau gesprochen worden. Ein weiteres Beispiel zum
Geschichtsbild der Autorin: Sumerische, babylonische, alttestament-
liche Schöpfungsberichte, aber auch Hesiods Theogonie und Piatons
Timaios „spiegeln den Prozeß einer fortschreitenden Patriarchalisie-
rung . . ." (S. 65). Als charakteristische Tendenz ist festzustellen: Die
Hierarchie des Seins wird zunehmend analog zur Hierarchie der
Geschlechter verstanden (S. 77,Texte S. 79 ff). Öderes wird die Beziehung
der Geschlechter analog der Beziehung zwischen Geist und
Materie gedacht (S. 113). Schließlich ein letztes Beispiel zum Geschichtsbild
: Sowohl biblische wie altkirchliche Frauengestalten werden
als ■' „Vorläuferinnen einer Frauenkirche" charakterisiert
(S. 273ff). Dabei muß das Bild einer Frauenkirche in der Kontraststruktur
sowohl zur Exodusgemeinde wie auch 'zur neutestament-
lichen Ecclesia gesehen werden: Hier handelte es sich um „ausschließlich
männliche Treffen" (S. 247). Damit ist nach Auffassung der
Autorin der Schlüssel zu einem grundlegenden, biblischen Widerspruch
gegeben: „Die befreite Bruderschaft definiert sich gerade durch
den Ausschluß der Frauen" (S. 248).

Das Selbstverständnis der Autorin zeigt sich auch in der Öffnung
historischer Probleme auf Gegenwartstexte hin. Beispiele: zum
Thema „Geschlechtsspezifische Vorstellungen von Gott" werden folgende
Textabfolgen gegeben: Ps 19,2-16, Jes 42,13-16, Klagelied der
Ischtar, Isis als Himmelskönigin. Dann folgt ein Text von Mary
Baker-Eddy (zu Gott als Vater und Mutter) und ein Text der methodistischen
Predigerin Rebecca Jackson von 1835. Der Abschnitt „Die
Entstehung des Bösen" endet mit Texten der Womens Bible von 1895
(Neudruck 1972) und mit Texten von Sigmund Freud und Friedrich
Engels. Der Abschnitt „Die Versöhnung: Männliche und weibliche
Erlöser" endet mit feministischen Gegenwartstexten, die eine apokalyptische
Tendenz haben: „Wenn nicht ein weiblicher Messias
kommt, werden wir sterben" (S. 210).

Versuch einer Beurteilung: Die hier vorliegende Textsammlung ist
für jeden Interessenten am Problem der Frauenbefreiung nützlich.
Weil mir wichtig scheint, daß die aktuellen Bemühungen um die
Frauenbefreiung auch eine Befreiung des Mannes aus entfremdenden
Rollenzwängen fordern, sollte diese Sammlung auch männliche Leser
finden. Ich möchte weiter das Postulat vertreten, es müßte auch der
Mann Lernprozesse akzeptieren, die mit einer weiblichen Hermeneutik
verbunden sind („Texte mit den Augen der Frauen lesen"). Und
schließlich müßte Patriarchatskritik Bestandteil jeder geschichtswissenschaftlichen
Bemühung werden.

Es ergeben sich meines Erachtens aber auch kritische Fragen. Die
vom Verlag angekündigte „historische Perspektive" der Frauenbefreiung
scheint mir noch nicht geklärt. Dazu zwei Argumente: die
Zusammenstellung der einzelnen Texte über lange historische Phasen
weg ist zufällig und wird auch nicht begründet. Ich erinnere an die
Textabfolge Ps 19,2-16, Jes 42.13-16, Klagelied der Ischtar, Isis als
Himmelskönigin, Texte von Mary Baker-Eddy und Rebecca Jackson
aus dem 19. Jh. Zur Not könnte die Kategorie der Klagelieder auf den
Psalmtext und auf den Text zu Ischtar angewendet werden; sonst sind
aber die Texte - nun kategorial gesehen - überaus verschieden, und es
ist jeweils auch der „Sitz im Leben" der jeweiligen Texte verschieden
und kaum vergleichbar. Ein zweites Argument: ist die Sicht einer
„fortschreitenden Patriarchalisierung" wirklich möglich oder ist sie
nur-von heutigen Standpunkten aus - eingetragen (S. 65, 67)? Und:
wenn S. 257 ein vierfaches Kirchenverständnis angesprochen wird
(I. Kirche - Modell der patriarchalischen Familie, 2. Kirche - männliche
Exodusgemeinde, 3. Kirche - eschatologische Braut und Mutter
der Erlösten, 4. Frauenkirche als Exodusgemeinde), steht wohl auch
hier eher eine Geschichtskonstruktion im Hintergrund als eine Geschichtsbetrachtung
. Meines Erachtens müßten doch Unterscheidungen
mit den Fragen „Wie es war" und „Was uns ein Text bedeutet"
getroffen werden, ebenso die Unterscheidung zwischen historischen
Phänomenen und ihrer Wirkungsgeschichte. Für die angesprochene
Thematik verweise ich vor allem auf den Aufsatz von Bernadette
J. Brooten: „Frühchristliche Frauen und ihr kultureller Kontext.
Überlegungen zur Methode historischer Rekonstruktion" (in: Einwürfe
Nr. 2: Zur Bibel. Lektüre und Interesse, München 1985,
S. 62ff).

Diese Studie enthält ein Methodenbewußtsein auf einer hohen
Reflexionsstufe; inhaltlich gibt es hier die entscheidenden Ansätze zur
historischen Perspektive aus weiblicher Sicht. Die Autorin zeigt z. B.
die Problematik der Epocheneinteilung, die durchaus von männlichen
Interessen bestimmt ist. Sie postuliert auch die Aufarbeitung
bisher unberücksichtigter Quellen, in denen die Frauen Subjekt und
nicht Objekt sind. Es entsteht damit das Programm einer „Entpatriar-
chalisierung" der Geschichte, das beachtliche Konsequenzen sowohl
für die historische wie die systematische Theologie hat. Trotzdem huldigt
B. J. Brooten nicht einem Methodenmonismus; die Argumentation
auf Grund eines „weiblichen Blicks" schließt andere Vorgehensweisen
nicht aus.

Wien KurtLüthi

Praktische Theologie: Allgemeines

Strunk, Reiner [Hg.]: Schritte zum Vertrauen. Praktische Konsequenzen
für den Gemeindeaufbau. Stuttgart: Quell 1989.237 S. 8 Kart.
DM 29,80.

1985 bereicherte Strunk die Palette konzeptioneller Ansätze zum
Gemeindeaufbau durch seinen Vorschlag, Gemeindeaufbau als Vertrauensbildung
zu verstehen. Dem in ThLZ III, 1986, 488 geäußerten
Wunsch nach exemplarischen Konkretionen, damit „die guten
theologischen Impulse zu Handlungshilfen in der Gemeindcarbeit
werden können", entspricht der vorliegende Band. Konrad Kaiser
beginnt mit Überlegungen zur „Vertrauensbildung" im ökumenischen
Prozeß" (9-18) und hebt die geistliche Aufgabe hervor, Fremdheit
in persönlicher Begegnung unter Machtverzicht zu überwinden.
Wolfgang Ratzmann findet Strunks Ansatz besonders geeignet für die
ambivalente Situation der Gemeinden in der DDR, weil er nach
außen verständlich und politisch relevant ist, verschiedene Dimensionen
des Glaubens zusammenfassen und als Hilfe bei Krisen in den
Gemeinden wirken kann. Er schildert ein Praxisbeispiel, definiert
Faktoren eines vertrauensbildenden Prozesses und nennt Aufgaben
der Vertrauensbildung im Gemeindeaufbau („Vertrauensbildung in
Gemeinden der DDR", 19-38). - Henning Schröer bedenkt „Gesichtspunkte
für Vertrauensbildung in der Gemeindeleitung"
(39-59), wobei er als Lernziel die Ausbildung besserer Kompetenz
setzt und fragt, wie Vertrauen gelernt wird. Unter Bezugnahme aul
Luhmann überlegt er, wie die wachsende soziale Komplexität einerseits
wahrgenommen, andererseits reduziert werden kann. Es folgen
grundlegende und praktische Hinweise zur Gemeindeleitung, die
einer „Kultur des Vertrauens" dienen will mit der Tendenz zur Betei-
ligungs- statt Versorgungskirche. - Siegfried Dreher: „Vertrauen bilden
im scelsorgerlichen Gespräch" (60-73) sieht in der Scclsorge <JK
Chance für den Gemeindeautbau, die freilich viel persönliches Engagement
und Zeit fordert, wozu überschaubare Gemeinden notwendig
sind. - „Der Beitrag von Gottesdienst und Predigt zur Vertrauensbildung
" ist Albrecht Grözinf>ers Thema (74-88). Er charakterisiert
Welt-Erfahrung als Ambivalenz-Erfahrung, die nach Vertrauensbildung
verlangt, wie sie im Gottesdienst möglich ist. „Liturgie, wo sie
ihr Ziel erreicht, bildet Vertrauen aus, indem sie in eine Geschichte
einweist, in deren Schutz-Raum Ängste, Ambivalenz- und Frcmd-
heitserfahrungen artikuliert und ausgehalten werden können. Aus solchem
Vertrauen heraus können Wcltverhältnisse verändert werden."
- „Der Sonntagsgottesdienst als Mitte - Illusion oder Chance?" frag'