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Ausgabe:

1990

Spalte:

224-226

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? 1990

Rezensent:

Barth, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 3

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Theorie. Diese will, sicher allzu kurz gesagt, die Implikationen des
H.sehen Projekts einer unbegrenzten, unversehrten Kommunikationsgemeinschaft
eruieren und damit den eigenständigen, unersetzlichen
Beitrag religiöser Traditionen und theologischer Argumentation
im „universalen Diskurs" sicherstellen. „Denn es könnte sein,
. . . daß wir. . . erst dann voll begreifen, was das heißt: Integrität und
unverletzliche Würde von Menschen; soziale Menschenrechte neben
den kodifizierten Grundrechten und den Rechten auf politische Partizipation
: Gerechtigkeit, die mehr ist als die gleiche Behandlung von
Ungleichen, sondern gerade individuelle Integrität ermöglichen will;
Weisen des Diskurses, die den Sprachlosen zur Stimme verhelfen;
innovatorisches, versöhnendes Handeln, das die Möglichkeit zum
Frieden eröffnet: eine Solidarität, welche die Toten und die zukünftigen
Generationen einschließt.*' (630- Über Peukert hinausgehen will

G. M. Simpson. In seinen Überlegungen „Die Versprachlichung (und
Verflüssigung?) des Sakralen. Eine theologische Untersuchung zu
Jürgen Habermas' Theorie der Religion" (145-159) visiert er nach der
Darstellung von H.' Religionstheorie im Zusammenhang seiner
Theorie der Moderne schließlich eine „Theologie des Kreuzes" an.
die ausgeht von der Unumgänglichkeit, sich dem Prozeß von Kritik
und Rechtfertigung in kommunikativer Argumentation stets neu zu
stellen (vgl. bes. 158f). Freilich bleiben die Konturen dieses Ansatzes
in den wenigen Schlußerwägungen nach meinem Eindruck allzu vage.
- M. L. Lamb (Kommunikative Praxis und Theologie. Jenseits von
Nihilismus und Dogmatismus, 241-270) geht davon aus. „daß die
Theologie in kreativer und transformatorischer Weise zu einem Verständnis
kommunikativer Praxis beitragen kann, das jeden Nihilismus
und Dogmatismus vermeidet, welcher die modernen und postmodernen
Diskurse bedroht". Dabei versteht er „kommunikative Praxis"
etwas abweichend von H.' Begriff des kommunikativen Handelns als
die „Aktivität, relevante Fragen immer weiter zu stellen". (242)
Bemerkenswerterweise möchte er in dem Zusammenhang die von H.
der instrumenteilen, technischen Vernunft zugezählten empirischen
Wisenschaften in den Bereich kommunikativer Vernunft und Praxis
einbezogen wissen (vgl. 254ff). in dem auch die Theologie ihren Beitrag
zu leisten vermag (260 ff).

(4) Will man einzelne Konzepte H.' für die Theologie fruchtbar
machen, kann man natürlich seiner zuzeiten geäußerten These von
der gesellschaftlichen Ablösung von Religion und Theologie durch
die Praxis kommunikativen Handelns nicht beipflichten. Das tun
denn auch die abschließend kurz vorzustellenden Beiträger des vorl.
Bandes nicht. C. Davis (Kommunikative Rationalität und die Grundlegung
christlicher Hoffnung, 96-1 14) versucht, christliche Hoffnung
in ihrer volitionalen, emotionalen und kognitiven Dimension in der
Perspektive kommunikativer Rationalität zu rekonstruieren, sich also

H. ' „Erweiterung des Begriffs der Rationalität" zunutze zu machen. -
E. Schüssler-Fiorenza (Die Kirche als Interpretationsgemeinschaft.
Politische Theologie zwischen Diskursethik und hermeneutischer
Rekonstruktion, 1 15-144) möchte die „Kirchen als Interprctations-
gemeinschaften des substantiellen normativen Potentials ihrer religiösen
Tradition" (132) vom Ansatz einer Politischen Theologie her in
den Diskurs der Moderne einbringen. - N. Mette (Identität ohne Religion
? Eine religionspädagogische Herausforderung. 160-178) geht
von H.' Identitätskonzept aus. um sich der hier erkennbaren religionspädagogischen
Herausforderung zu stellen. Allerdings dürfte die Herausforderung
kaum wirklich angenommen sein, insofern weniger eine
Auseinandersetzung mit H. geführt wird, als vielmehr religionspädagogische
Ansätze zur Identitätsbildung diskutiert werden. - Demgegenüber
führt H.-J. Höhn (Sozialethik im Diskurs. Skizzen zum
Gespräch zwischen Diskursethik und Katholischer Soziallehre.
179-198) die Auseinandersetzung mit H. vorbildlich, indem er die
Möglichkeiten und Grenzen der H.sehen Diskursethik diskutiert und
versucht, über die Grenzen mit theologischer Perspektive hinauszuführen
. - Bleibt endlich noch der in die vorgenommene Unterscheidung
nicht ganz einzuordnende Beitrag von G. Wenz (Verständi-
gungsorientierte Subjektivität. Eine Erinnerung an den Kömmunika-

tionstheoretiker F. D. E. Schleiermacher, 224-240) zu erwähnen, der
mit seinem Hinweis auf Schleiermacher nicht nur eine Traditionslinie
erinnern, sondern auch auf den möglicherweise doch unaufgebbaren
religiösen Hintergrund kommunikativer Rationalität und ebensolchen
Handelns aufmerksam machen will.

Ich denke, daß diese wenigen Eindrücke gleichwohl eines deutlich
machen: die vielfältigen Anregungen, die das Denken von Jürgen
Habermas dem theologischen Denken vermittelt hat. Daß hierbei
offenbar besonders die Ansätze einer Politischen Theologie einen
fruchtbaren Boden bereitstellen, entspricht nurH.' ureigensten Intentionen
. Womöglich liegt es u. a. darin begründet, daß im vorl. Band
das erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Konzept H.' kaum diskutiert
und zudem die Frage nicht gestellt wird, ob seine Theorie
kommunikativen Handelns als Durchgang für einen Ansatz theologischer
Theoriebildung nicht zu eng ist. Wie dem indes auch sei: Das
vorgestellte Buch erfüllt sein anfangs erwähntes Anliegen durchaus,
und der Rez. reiht sich gerne ein in die Schar derer, die dem nunmehr
Sechzigjährigen nicht nur ob seiner bewundernswerten Denklcistung
Reverenz erweisen, sondern ihm auch und gerade als Theologen für
sein im besten Sinne anstoßerregendes Denken Dank wissen.

Eisenach Wollgang Plüllcr

Systematische Theologie: Allgemeines

Corres, Albert, u. Walter Kasper [Hg.]: Tiefenpsychologische Deutung
des Glaubens. Anfragen an Eugen Drewermann. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1988. 174 S. 8° = Quaestiones Disputatae, 113.
Kart. DM 24,80.

Nachdem die Diskussion um den hermeneutischen Ansatz Eugen
Drewermanns nur zögernd ins Rollen gekommen war. nimmt sie nunmehr
an Schärfe ständig zu. So ist es nicht erstaunlich, daß auch in
dem von A. Görres und W. Kasper verantworteten Sanimelband der
Ton härter geworden ist - zum Nachteil für eine sachliche Klärung.
Am wenigsten diszipliniert zeigen sich die beiden Herausgeber selbst:
In Drewermanns neueren Veröffentlichungen werde der ursprünglich
„gute Geschmack verdorben, als hätte jemand ranziges Öl über seine
vorzügliche Mahlzeit geschüttet" (Görres 133), der Autor ziehe den
Leser „durch Strudel von afTektverzerrter Wirrnis" (Görres 138).
W. Kasper spricht von „pantheistischen Anwandlungen bei Drewermann
" (18) und konstatiert im übrigen ein „starkes gnostisches
Gerüchlein", das dem Leser „in die Nase hinaufsteige" (21); immerhin
konzediert er, daß es „etwas Mißliches" habe, „alte Ketzerhüte
auszuteilen: sie passen selbstverständlich nie ganz" (20). Bei solcher
Stimmung und in dieser Sprache dürfte sich eine sachliche Auseinandersetzung
nur schwer fuhren lassen. Worin bestehen nun die Einwände
, die nach Meinung der hier versammelten Vertreter unterschiedlicher
Disziplinen geltend zu machen sind?

Es liegt nahe, kritisch zu prüfen, wie Drewermann exegesiert und
aufweiche Weise er mit der Tiefenpsychologie umgeht. Schnackenburg
bescheinigt ihm, daß er die Spannweite heutiger Exegese nicht
erfaßt (29), den „Wortüberliefcrungen" nicht gerecht wird (34) und
den christologischen Skopus gelegentlich einer psychologischen Interpretation
opfert (31). Görres hält ihm vor, er mische „aus Freud.
Schultz-Heneke und viel, viel Jung eine Mixtur von unbewiesenen
und unbeweisbaren Plausibilitäten zusammen" (142). ohne sich über
die damit eingehandelten Widersprüche im klaren zu sein und ohne
die „Selbstkritik der Tiefenpsychologie" zur Kenntnis zu nehmen
(145). Aus den verschiedensten Disziplinen wird Drewermann vorgeworfen
, er lasse es an Kenntnis der neueren Literatur fehlen, in der
Exegese (Sudbrack 103). in der Theologie allgemein (Kasper 22). in
der Ethik (Furger 75); im Blick auf das Gespräch zwischen Theologie
und Tiefenpsychologie entspreche sein Wissen einem Stand vor dem
II. Weltkrieg (Görres 170). In alledem ist etwas Richtiges beobachtet:
doch wirkt der Vorwurf mangelnder Literaturkennlnis auf jeden, der