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Ausgabe:

1990

Spalte:

204-206

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Fleckenstein, Josef

Titel/Untertitel:

Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters 1990

Rezensent:

Haendler, Gert

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203

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 3

204

Die zweite Studie („Die Notwendigkeit der Traditionsgeschichtc
und das relative Alter einiger Logien") befaßt sich mit traditionsgeschichtlichen
Aspekten. Die Ergebnisse einiger seiner früheren
Arbeiten zusammenfassend, folgert Schille aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten
der Tradierungsvorgänge wie auch aus dem Vergleich
der Mk- und Q-Versionen von Jesuslogien einen Spätansatz der
Logienquelle Q. Diese gehöre nicht in die Frühzeit der Ausbildung der
.lesusübcrlieferung, sondern trage Merkmale der dritten Generation,
deren großes Werk eben ..die Sammlung und schriftliche Redigierung
der mündlichen Tradition gewesen" sei (83). Dies ist freilich eine
Hypothese, gegen die die Mehrzahl heutiger Forscher begründet
Widerspruch anmelden dürfte. Hingegen enthält der abschließende
Beitrag („Anfänge des christlichen Kirchenjahres") eine Reihe von
weithin konsensfähigen Thesen aus dem Bereich der ältesten Liturgiegeschichte
. Deren wichtigste ist der Aufweis einer „Kult-Renaissance
" der dritten Generation, die die vorgegebenen im Jüdentum
gründenden liturgischen Elemente und Traditionen neu aktivierte:
Der drohende Verlust des jüdischen Überlieferungsbereichs nach dem
jüdischen Krieg führte dazu, daß man sich diesem besonders widmete,
„um das bedrohte Erbe zu sichern" (105). Bedenkenswert ist, neben
vielem andern, auch der Hinweis auf die in dieser Periode kreativ
wirksame Spannung zwischen dem Insistieren aufder jeweiligen partikularen
Überlieferung und der Forderung nach einer verbindlichen
gesamtkirchlichen Ordnung.

Erlangen Jürgen Roloff

Blomberg, Craig L.: The Historical Reliability of the Guspels.

Leicester: Inter-Varsity 1987. XX, 268 S. Kart. £6.95.

Craig Blomberg (Assistant Professor am Conservative Baptist
Seminary in Denver, CO) ist neben David Wenham (Oxford) zu einem
der führenden Köpfe der Gruppe um das "Gospel Research Project"
am Tyndale House (Cambridge) geworden, die von 1980 (vgl. ThLZ
106, 1981, 197) bis 1986 sechs Bände "Gospel Perspectives" vorgelegt
hat. Nun gibt B. eine Art Bestandsaufnahme der Arbeitsergebnisse
der Gruppe, jedoch in einer von ihm allein verantworteten Darstellung
. Wie der Titel schon erkennen läßt, geht es um die Sicherung
der historischen Zuverlässigkeit der Evangelien, und zwar, wie auch
beim "Gospel Research Project" von Anfang an, aller vier Evangelien
.

Man könnte die Forschungsrichtung als .evangelikal-akademisch"
bezeichnen (vgl. das Postscript, bes. S. 258). Damit meine ich eine
exegetisch-theologische Grundhaltung, die die historische Zuverlässigkeit
der Jesusüberlieferung (von der allenfalls geringfügige Abstriche
hingenommen werden können) als unumgängliche Basis des
Glaubens an Jesus Christus ansieht, diese Zuverlässigkeit aber nicht
durch ein dogmatisches Postulat abgesichert sein, sondern mit den
Mitteln akademisch-historischer Forschung bestätigen lassen will.
Der Verbalinspirationslehre kann B. geradezu vorwerfen, daß sie den
christlichen Glauben per dcfinitionem zwar unfalsifizierbar mache -
aber eben dadurch zugleich "unjustifiable" (S. 39). Gerade um die
Verifizierbarkeit des Glaubens aber geht es bei den historischen
Bemühungen der Tyndale House Gruppe letztlich.

Natürlich weiß B„ daß sowohl dieses Anliegen wie auch die von
ihm dargestellten Arbeitsergebnisse zum bisherigen Konsensus akademisch
-wissenschaftlicher Exegese (zumal deutscher Provenienz) in
starker Spannung stehen. So ist es unter anderem seine Absicht, durch
ausgiebige Literaturhinweise zu belegen, daß sich die auch von ihm
selbst „konservativ" genannte Sicht der Probleme innerhalb der letzten
Generation stark ausgebreitet hat. Das ist ja auch gar nicht zu
bezweifeln, was natürlich keineswegs bedeutet, daß jeder der von B.
zustimmend zitierten Autoren schon gleich seiner Linie zuzuordnen
wäre: wer aber dieser Bewegung insgesamt eher skeptisch gegenübersteht
, darf sich auf S. 256 (obere Hälfte) aussuchen, in welche Kategorie
von Verweigerernersich einsortieren möchte.

Grundsätzlich möchte B. den Faden der historisch-kritischen
Arbeit also nicht abreißen, sondern aufnehmen und in seinem Sinne
weiterentwickeln. Das bezeugt eindringlich Kap. 2 ("New methods in
gospel study", S. 19-72), wo B. die geläufigen Methoden wie Formund
Redaktionskritik, aber auch Strukturalismus und sozialgeschicht-
liche Methode fair darstellt und ihre Weiterverwendbarkeit diskutiert,
im allgemeinen mit dem Anspruch, daß sie bei konsequenter Anwendung
etwa das Gegenteil dessen erbringen, was man bisher meinte.

Natürlich ist die Wunderfrage von zentralem Gewicht für das
Anliegendes Buches (Kap. 3: "Miracles", S. 73-112; vgl. schon Bd. 6
der "Gospel Perspectives" von 1986, s. ThLZ 112, 1987, 670f). Hier
begnügt sich B. keineswegs mit dem Aufweis der Nähe der Heilungen
Jesu zu seiner Reich-Gottes-Botschaft, sondern geht gezielt die weltbildliche
Problematik der sog. Naturwunder an, mit einem klaren
Bekenntnis zum Supranaturalismus. "Miracles follow logically if
theism is truc" (S. 75), wofür sich B. fairerweise nicht auf die neuere
Weiterentwicklung des physikalischen Weltbildes zurückzieht. Es
bleibt - damit nicht Mirakel jeder beliebigen Art als historisch angesehen
werden müssen - das Problem der"identifieation" (S. 89-1 10);
aber schließlich können alle neutestamentlichen Wundererzählungen
einschließlich der "reanimations" (S. 98f) und des Auferstehungsgeschehens
(S. 100-1 10) als historisch zureichend beglaubigt gelten
.

Die weiteren Probleme, denen sich B. in den Kap. 4-6 zuwendet,
können nur noch stichwortartig benannt werden: "Contradictions
among the Synoptics?" (hier geht es z. B. um die Reden wie die Bergpredigt
, deren Matthäus-Fassung die originale Rede Jesu, wenn auch
gekürzt, korrekt wiedergibt, während Lukas andere, ebenso zuverlässige
Traditionen bietet, S. 138-141; die Generallinie für alle anstehenden
Probleme heißt: Harmonisierung, wie sie ja in der historischen
Forschung das generelle Prinzip der Quellenbenutzung sei,
S. 152); "Problems in the Gospel of John" (wo allenfalls für dje Formulierung
der johanneischen Jesusreden eine gewisse tiefere christo-
logische Einsicht des Augenzeugen und Evangelisten Johannes zugestanden
wird, während alle von ihm erzählten Vorgänge historisch
zuverlässige Fakten sind); schließlich "The Jesus tradition outside the
gospels"(S. 190-233).

Die historisch-kritische Exegese muß für die Überprüfung ihrer
Prämissen wie ihrer Einzclargumentation immer offen bleiben, und
vieles, was B. im einzelnen vorträgt, z. B. gegen überspitzte Radikalismen
, ist durchaus diskutabel (und wird ja auch diskutiert bzw. akzeptiert
). Was bedenklich macht, ist die ständige Pauschalisierung solcher
Einzelvoten, die letztlich dahin führt, daß aus dem Arbeitsinstrument
kritischer Rückfrage zur Erhellung der Anfangsgeschichte des Evangeliums
und der Kirche ein Mittel zur Absicherung des Glaubens
gegen historische Kritik wird. Trotzdem muß man B. aber bescheinigen
, daß er in der Darstellung der von ihm abgelehnten Forschungsweise
fair und im Ton stets ohne Aggressivität bleibt, so daß wenigstens
von daher ein Gespräch mit den Vertretern dieser Forschungsrichtung
möglich bleiben sollte. Jedenfalls ist es dankenswert, daß B-
ihre Hauptrichtung und ihr theologisches Anliegen so eindeutig (und
auch gut lesbar) dargestellt und somit erkennbar gemacht hat.

Jena Naumburg (Saale) Nikolaus Waller

Kirchengeschichte: Mittelalter

!• leckenstein. Josef: Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters.

Ausgewählte Beiträge. Göttingen: Vandenhocck & Ruprecht 1989.
X, 601 S. gr. 8°. Lw. DM 124-'.

Der 70jährige Autor war durch zwei größere Werke hervorgetreten:
Die Bildungsrcform Karls des Großen als Verwirklichung der norma
recliduninis (1953); Die Hofkapclle der deutschen Könige.-2 Bde.
(1959/66). Sein Schriftenverzeichnis nennt 134 Nummern (574-587)-