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Ausgabe: | 1990 |
Spalte: | 198-200 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Boismard, Marie-Émile |
Titel/Untertitel: | Le texte occidental des Actes des apôtres 1990 |
Rezensent: | Schenke, Hans-Martin |
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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 3
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Münster Martin Rese
geformt, wenn auch unter Verwendung von mündlicher Tradition, Titeln im Literaturverzeichnis werden im Buch selbst nur etwas mehr
oder hat er eine Sonderquellc oder gar ein Sonderevangelium (Proto- als 100 erwähnt, und nur selten setzt S. sich mit den Argumenten
lukas) benutzt? Letzteres meinen von den Verfassern neuerer Korn- anderer tatsächlich auseinander). Negativ zu bewerten ist freilich
nientare zum LkEv z. B. J. Ernst (RNT, 1977) und E. Schweizer m. E. schon der methodische Ansatz: Indem S. die Größe „lukani-
(NTD. 1982), ersteres G. Schneider (ÖTK, 1977), I. H. Marshall sches Sondergut" sehr viel weiter als üblich faßt und sie mit Hilfe
(N1GKT, 1978) und J. A. Fitzmyer (AncB, 1981/1985) - und auch seiner fünf Kategorien von „Sätzen" erfassen zu können meint, begibt
das vorliegende Buch! Es entstand aus einer Dissertation, die S. bei er sich von vornherein auf einen Weg quantitativen Subtrahierens,
R- E. Brown und J. L. Martyn am Union Theological Seminary in und er bekommt zwangsläufig das qualitative Wechselverhältnis von
New York schrieb und dort 1984 einreichte. Für den Druck hat S. sie Tradition und Redaktion/Komposition kaum noch in den Blick. S.
uberarbeitet und mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis selbst hat gegen V. Taylor und ähnlich verfahrende Ausleger zu Recht
(161-172) sowie Stellen- (173-179) und Autorenregister (1800 ver- eingewandt, eine vergleichende Wortstatistik und Stilanalyse führe
SL>hen. bei der Erklärung der Besonderheit des lukanischen Passionsberichts
Vorwort (7-9) und Kap. I (13-21) informieren knapp über Voraus- letztlich nicht weiter. Nun ist ihm wegen seiner quantitativen Satzsetzungen
, Ziel und Methode der Untersuchung. S. setzt die Zwei- Statistik ein ähnlicher Vorwurf zu machen. Deshalb vermag ich auch
Quellen-Hypothese voraus und steckt sich als Ziel, genau zu bestim- sein Buch nur sehr beschränkt als einen förderlichen Beitrag zur
men. was in Lk 22 über Mk hinausgeht, und herauszufinden, woher Untersuchung des lukanischen Passionsberichts zu beurteilen,
dieses stammt und warum Lk es aufnimmt. Die erste Frage behandelt
s- für Lk 22,1-38 in Kap. 2 (23-48/132-139), für Lk 22,39-71 in
Kap. 4 (59-96/144-153), die zweite und dritte Frage für Lk 22,1-38
ln Kap. 3 (49-57/139-144) und für Lk 22,39-71 in Kap. 5 Boismard, M.-E., et A. Lamouille: Le texte Occidental des Actes des
,97-l 13/153-159). Kap. 6 (116-125) hält die Ergebnisse fest. Alle apötres. Reconstitution et Rehabilitation. I: Introduction et textes.
Anmerkungen stehen leider in einem Anhang(127-160). Methodisch X,< 232 S- II: APParat critique, Index des caracteristiques stylisti-
wills n„-h, m u r. uii • r a, "Uo™„mman 1ues' ,nciex des citations patristiques. V, 356 S. Paris: Editions
nicht mehr nur tragen, ob Lk einen Vers von Mk übernommen „ , , . . H M '
bähen i,« , . . rJ , t • ,, Recherche sur les Civilisations 1984. 4 = Synthese, 17. Kart,
'woen konnte, sondern sich auf das konzentrieren, was Lk über Mk ^ 32o -
"'naus hat; S. nennt es „lukanisches Sondergut" ("special Lukan
matcrial"). Um dieses in Lk 22 zu bestimmen, sei zwischen fünf Kate- Man konnte schon vor einiger Zeit aus Jerusalem hören, daß dort in
gorien von Sätzen zu unterscheiden: (1) Sätze, die ohne jede Parallele der Ecolc Biblique ein neues großes Werk über den sogenannten west-
hci Mk sind; (2) Sätze, in denen sich eine Übereinstimmung des Lk liehen Text der Apostelgeschichte (das ist der so stark von dem nor-
m" Mt oder Joh gegen Mk findet; (3) Sätze, die bei Lk in einer anderen malen Text abweichende Text jener kleinen Zeugengruppe, deren
Reihenfolge als bei Mk stehen; (4) Sätze, in denen Lk und Mk nur Hauptvertreter der Codex Bezae Cantabrigiensis [= D] ist) in Arbeit
einen geringen gleichen Wortschatz haben; (5) Sätze, die sogenannte sei. Diejenigen Fachkollegen, die an diesem Gegenstand-aus welchen
ukanische Spracheigentümlichkeiten enthalten. Sätze aus den Kate- Gründen auch immer - gleichfalls interessiert sind, dürften sich
S°nen 1 +2 seien „automatisch" (20) „lukanisches Sondergut", wäh- gefragt haben, einerseits, ob es überhaupt noch sinnvoll sei. ein solch
rend Sätze aus den Kategorien 3-5 je für sich zu untersuchen seien, altes, vom textkritischen Establishment längst zur Ruhe gebettetes
wobei jene Sätze, die mehr als einer der drei Kategorien angehören, Thema noch einmal aufzugreifen, andererseits, ob die Zeit für eine als
n°ch am ehesten zum „lukanischen Sondergut" zählten. Sei das anstehend erachtete gründliche Überprüfung der Frage des westlichen
"'ukanische Sondergut" auf diese Weise identifiziert, könne gefragt Apg-Textes schon gekommen sei. Jetzt haben wir das fertige Werk
Verden, woher es kommt und warum Lk es aufgenommen hat. vorliegen. Und man wird sagen dürfen, daß mit ihm die Zukunft (in
Bei diesem methodischen Ansatz verwundert es nicht, wenn das Sachen westlicher Text) tatsächlich schon begonnen hat.
Schwergewicht des Buches daraufliegt, das „lukanische Sondergut" in Nun wird kaum jemand die mühselige, langwierige und entsagungs-
k 22 zu bestimmen. S. braucht dafür'83 Seiten, während ihm für die reiche Arbeit, die eine solch gründliche Neubearbeitung des alten
c,den weiteren, eben genannten Fragen 37 Seiten reichen. S. kommt Themas erfordert, auf sich nehmen, wenn er nicht von einer neuen
*u folgenden Ergebnissen: „Lukanisches Sondergut" sind für ihn Idee (bzw. von der Einsicht in die Wahrheit einer vergessenen alten
zunächst die Verse: 22,3a. 15-20.24-39.40b.42.48-49.51. Idee) besessen ist. So geht es den Autoren um eine Wiederbelebung
jj2a.53c-61a.62-7l. Bei der Herkunftsfrage unterscheidet S. dann und Neufassung der gleichermaßen bestechenden und umstrittenen
°'gende Formen von „Sondergut": mündliche Tradition; lukanische Theorie-hierzulande besonders mit den Namen F. Blaß undT. Zahn
Komposition; Mk-Stoff, den Lk mit gründlicher Tradition verband; verbunden-, wonach schon der Verfasser der Apg selbst sein Werk in
^k-StolT, den Lk durchgehend redigierte. Letzterer ist für S. zu Recht zwei verschiedenen Fassungen herausgebracht habe, unter welchen
®ln ..lukanisches Sondergut". Als solches bleibt übrig: aber die ältere diejenige sei, die der westliche Text widerspiegelt. Das
j*,3a. 15-16.19-20.24.27-32. 35-38.39b. 40b.42.48-49. Werk von B./L. versteht sich als Plädoyer für die Priorität und Luka-
■52a.53c. 61 a. 62.64c.66-68. Dieses „Sondergut" aber bilde keine nizität des westlichen Textes - „Plädoyer" übrigens auch insofern, als
°r>laufende Erzählung und stütze deshalb weder die Protolukas- einseitig nur eine Spur, die in ebendiese Richtung verlaufende, ver-
ypothese noch die Meinung. Lk habe neben dem MkEv eine beson- folgt wird - und ist zugleich ein Arbeitsmittel, das den Benutzer in die
ere zusammenhängende Passionserzählung benutzt. Im übrigen Lage versetzt und ihm die Freiheit gibt, die Position von B./L. kritisch
abc Lk seine Mk-Vorlagc in Lk 22 (und im weiteren Passionsbericht) zu prüfen und die Probleme des westlichen Textes auch unabhängig
s° stark verändert, weil er auf spezielle Nöte in seiner eigenen Zeit ant- weiterzuverfolgen. Zwiefach wie das Werk selbst könnten auch die
Korten wollte; deshalb setze er bestimmte Akzente in Christologic Reaktionen der Benutzer sein: Es nötigt Hochachtung ab, veranlaßt
Csi> Lehre war und ist autoritativ und vertrauenswürdig), Eschatolo- aber nicht selten auch zum „Zähneknirschen".
•>« (die Ereignisse mit und um Jesus sind von äußerster Bedeutung für Was diese zweite Seite der Sache anbelangt, so läßt sich das
lc Christen) und Ekklcsiologie (Jesu Belehrung der Jünger zeigt, was Gemeinte wohl am besten im Rahmen einer Skizzierung von Aufbau
aehfolgC Jesu bedeutet). und Inhalt des Werkes bzw. im Rückblick auf das Ganze andeuten. In
Zu methodischer Durchführung und sachlichen Ergebnissen dieser der ausführlichen «Introduction» des ersten Bandes (S. 1-122) wird
"tersuehung ist positiv zu bemerken: S. ist innerhalb seines Ansät- zunächst die Geschichte des Problems umrissen (I. «Historique du
*cs insgesamt methodisch konsequent vorgegangen, auch wenn im probleme» [S. 3-10]). Es folgt dann als erster Höhepunkt ein dillcren-
J-'nzelnen manches zu wünschen bleibt: vor allem hätte die Sekundär- ziertcr Überblick über die Zeugen des. westlichen Textes (II. «Les
Ueratur gründlicher verarbeitet werden müssen (von den über 300 temoins du texte Occidental» [S. 11-95]) - differenziert insofern, als