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Ausgabe:

1990

Spalte:

187-189

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Utzschneider, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Heiligtum und das Gesetz 1990

Rezensent:

Reventlow, Henning

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187

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 3

188

heute im „groß(en) Hunger nach Erlösung und Transzendenz".
(S. 198)

Es ist dem Vf. sehr zu danken, daß er es unternommen hat, den
Graben zwischen Religionswissenschaft bzw. -theorie und Theologie
nicht zu groß werden zu lassen. Mit seinem Ansatz auf wissensoziologischer
Grundlage ist es ihm durchaus gelungen, die Brücke zur
Theologie hin zu schlagen, das zu besprechende Werk zeigt es.
Gewinner bei diesem Unternehmen dürften beide Seiten, Theologie
und Religionswissenschaft, sein. Ich wüßte auch nicht zu sagen, wie
anders als durch Erweiterung religionswissenschaftlicher Methoden
durch das methodische Prinzip der Intentionalität man diesen
Brückenschlag zur Theologie hin bewerkstelligen sollte. Ohne vom
Gegenstand, vom Heiligen her zu denken, könnte man ihrem Anliegen
nicht gerecht werden. Dieser Schritt ist durch Peter L. Berger
getan worden. Wenn es stimmt, daß wir einem globalen Gespräch
zwischen Religionen und Weltanschauungen entgegengehen und
Ökumene damit einen globalen Sinn gewinnt, dann hat eine denkende
Bemühung um religiöse Erfahrung - wie von Peter L. Berger vorgetragen
- eine wichtige und grundlegende Funktion.

Leipzig Hans Moritz

Altes Testament

Utzschneider, Helmut: Das Heiligtum und das Gesetz. Studien zur
Bedeutung der sinaitischen Heiligtumstexte (Ex 25-40; Lev 8-9).
Freiburg/ Schweiz: Universitätsverlag: Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1988. XIII, 320 S. gr. 8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 77.
geb. sfr84.-.

Will man das Ergebnis der Analyse der sinaitischen Heiligtumstexte
in dieser Münchner ev.-theologischen Habilitationsschrift mit traditioneller
Begrifflichkeit charakterisieren, kann man sagen, es handele
sich um eine Bearbeitungshypothese (vgl. 71 und 258: „Vorgang der
Überarbeitung, genauer noch der .Überbauung', eines jeweils älteren
durch den jeweils jüngeren Text"). Tatsächlich hat es diese Alternative
literarkritischcr Sicht neben den Quellenscheidungshypothesen
(zu P Grundschrifthypothese, die dem Vf. „fraglich geworden"
ist, 71) ja schon immer gegeben, auch in Form der redaktionskritischen
Betrachtungsweise, der diese Arbeit in ihrer Methodik nahesteht
, wenn sie mit stufenweisen Bearbeitungsvorgängen jeweils
älterer Vorlagen rechnet. Neuerdings (Rendtorff, zu P schon Cross,
vgl. 31 ff) findet es verstärkt, gelegentlich fanatische, Anhänger. Auch
sonst verbirgt sich manches Bekannte unter einer ungewohnten Terminologie
: den Vergleich mit benachbarten Texten (in unschöner,
vom Lateinischen her regelwidriger Begriffsbildung [vgl. 10, A. 18]
„Kotexte" genannt) pflegte - nach der altkirchlichen - auch die
klassisch litcrarkritische Exegese bei der Scheidung und Rekonstruktion
literarischer Quellen (hier geht es unter dem BegrilT „Makrostruktur
" um die Einordnung der Heiligtumstexte in die Wanderungsund
Sinaierzählung, vgl. 76ff, und dann noch einmal um den Gesamtaufbau
der Heiligtumstexte selbst, 134ff). Wir finden aber auch sonst
noch mancherlei Methodendiskussion: Kommunikationstheorie (5ff
- sie kommt eigentlich erst im Schlußabschnitt 7 voll zum Tragen)
und Texthypothese, wobei zu letzterer auch wieder bemerkt sein
muß,'daß ihre Maßstäbe von „Kohärenz" und „Kohäsion" nicht gar
so neu sind, denn anders haben auch die Litcrarkritiker nicht gearbeitet
. Freilich haben sie ihre Methodik nicht in dieser Weise theoretisch
reflektiert, und in der Bewußtwerdung liegt gewiß ein Vorzug.

Das Ungewohnte des methodischen Vorgehens der Arbeit besteht
hauptsächlich darin, daß sie - nach einem Forschungsüberblick in
Hauptteil 2 (19-73) - zunächst die in den Texten handelnd auftretenden
Personen, wie Mose, Aaron, das Volk. Kunstfertige, Jahwe, sowie
die Hauptgegenstände, wie Lade, Gebäude (Wohnung, Bcgegnungs-
zelt, Zelteingang) und ihre Rollen reflektiert (Hauptteil 3-4, 74-184).
Verschiedene Konzeptionen („Lade-Wohnungskonzeption", „Volk-

Heiligtums-Konzeption") werden schon hier als für' bestimmte
Schichtungen innerhalb der sinaitischen Heiligtumstexte charakteristisch
herausgearbeitet, wobei „Mose in einer prophetischen Handlungsrolle
", das Heiligtum als Ort (Lade) und Gegenstand des Gesetzes
und das Volk als Gemeinde der Gesetzestreuen erscheint. Die
Rolle der Priester - überhaupt ihre Einsetzung - erscheint erst in der
Ohel-Moed-Konzeption ais jüngster Schicht (vgl. 182 ff).

Nach grammatisch-syntaktischer Prüfung der Texte („Phorik",
Hauptteil 5, 185-234) bestätigt sich dieses Zwischenergebnis in der
„Texthypothese" (Hauptteil 6, 236-258) eines „Überarbeitungsmodells
" (258), wonach ein „Lade-Wohnungs-Text" („auch nicht annähernd
vollständig rekonstruierbar", 237) durch einen „Volk-
Heiligtums-Text" und das Ergebnis durch „Ohel-Moed-Texte" überarbeitet
worden ist. Als Entstehungszeit aller drei Schichten wird die
exilisch-nachexilische Periode angenommen. Hauptteil 7 (259-297)
vergleicht das priesterschriftliche Heiligtumsmodell mit anderen
„Wahlmöglichkeiten von Sender und Empfänger" (zur Kommuhika-
tionstheorie s. o.): der Ablehnung des Tempels (Texte aus Jer), dem
Modell des salomonischen Tempels (in 1 Kön 6-8 werden Einflüsse
der sinaitischen Heiligtumstexte festgestellt), der Ideologie des
Zweiten Tempels (bei dem wiederum zwei Modell: das „persische" in
Esr 1 -6 und das davidische in Hagg/Sach zu unterscheiden sind).

Sympathisch berührt, daß der Vf. sein Ergebnis bescheiden als
Hypothese betrachtet. Sie beruht auf manchen Prämissen: Zuerst der
Wellhausenschen Datierung von P (vgl. 55ff.72f), dann aber auch
einer der klassischen-literarkritischen Periode erstaunlich ähnlichen
eingeschränkten Perspektive: unter Ausschaltung der überlieferungsgeschichtlichen
Aspekte werden Texte bzw. deren Überarbeitungen
auf einer rein literarischen Ebene als Produkte einer textproduzierenden
Gruppe (die eine „Bibliothek" benutzte, 250; vgl. 252) unter,
wenigstens annähernd, festlegbarcn historischen Umständen gedeutet.
Beispiel: die Rolle der Priester: Sollen diese erst zum Zeitpunkt der
Entstehung der Ohel-Moed-Texte Bedeutung gehabt haben (zur
„priesterlosen Zeit" vgl. 255)? Der entscheidende Schritt oder, besser
gesagt, Gedankensprung - u. E. in die falsche Richtung - scheint
schon bei der Bestimmung der Rolle des Moses - die fortan als
„prophetisch" bestimmt wird - getan zu werden, wenn die klare Aussage
von Ex 25,22, daß Jahwe von der Kapporet aus reden wird,
dahingehend umgedeutet wird, daß er von der Edut (den Gesetzestafeln
in der Lade) aus spreche, und dies sei „die Darstellung einer
dem Heiligtum verbundenen, an die Traditionen göttlichen Rechts
gebundenen Prophetie" (S. 1 18). Die Orakelerteilung vom Heiligtum
aus ist aber zuerst priesterliche Aufgabe (hier angedeutet mit dem Ort
der Kapporet)! Anscheinend hat Mose also neben (oder durch!) könig-
liche(n) auch priesterliche Funktionen. Über die Herkunft der Vorstellungen
müßte also auch diachronisch weiter nachgedacht werden.
Schriftform und Tradition wären heuristisch zu trennen. Dann ist
aber eine einlinige Entwicklung wie die postulierte kaum plausibel.
Dadurch werden die literarischen Beobachtungen des Vf. keineswegs
entwertet, die hinsichtlich der Textschichtung und -entwicklung viel
Beachtenswertes enthalten.

Leider ist die Arbeit durch zahllose Tcxtfehlcr entstellt. U. a.: 3, A. 4: bei
Janowski fehlt Erscheinungsjahr; 37, Z.II: „eine Einbahnstraße"; 41.
Z. 10-12: Satz verunglückt; 52, Z. 211': fehlt wohl „und den sinaitischen Heiligtumstexten
"; 53. A.46: erg. „hat"; 69, Z. 3: „authoritative"; 72. A. I. Z. 8:
„der .Genesisperspektive'": 73. Z. 1: „2.5.1.1"; 77, A. 8: unkorrekte Zitate aus
Bacntsch und Noth; 80, Z. 19 erg. „mit Gott"; 105, Z. 7: „erscheint"; 110.
Z. 24: str. ein „auf; 112. A. 14. Z. 4: „von uns aus"; 115, Z. 2 v. u.: „und der
übrigen"; 131, Z. 12: „das Hendiadyoin"; Z. 14: „U. E. kann so"; 150, Z. 5
v. u. erg.: „auf"; 162, Z. 3 v. u. erg.: „es"; 165, Z. 4; „an den .Kontrolltext'";
A. 16 str. „mit"; 196, Z. II: „das zweite Textkorpus"; 209, Z. 5f: Satzbau verunglückt
; 212, Z. 9 lies: „Ex 24,15fT'; 214, Z. 8 str. „einer"; 215, A. 8 erg.:
„die"; 217, Z. 2 v.u.: „38,21"; 223, Z. 16 „umschließt"; 229. Z.9:
„Nun 29,35-38"; 230, Z. 8: „Ex 40.34"; Z. 18: „als" (statt „wie"); 234, Überschrift
, erg. „von";Z. 26: „ergibt"; 240, Z. 4: ..Substruktur"'; 243, Z. 13 wohl:
„Lade-Wohnungstext"; 249,Z. 12: str. ein „und"; 264: str. Z. 1-2;294,Z. 12:
„der rvON n'a"; Z. 13 „ist er zu beschreiben". Fehlende Kasus-Endungen kann