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Ausgabe:

1990

Spalte:

185-187

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Berger, Peter L.

Titel/Untertitel:

Der Zwang zur Häresie 1990

Rezensent:

Moritz, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1 15. Jahrgang 1990 Nr. 3

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rangen großzügig hinwegsetzt (eklatant z. B. p. 61,35; 62,1-3; aber Gesamtheit (einschließlich der verschiedenen Symbolsysteme) ist

auch p. 49,3 lf; 50,34; 57,11.23-25; 61,13-17; 62,5; 65,4.7-9 u. ö.). selbst ein Symbol, das heißt ein Symbol des Göttlichen. Die Welt steht

Hier wäre jedenfalls - um den Leser der Mühe des Rätselratens zu ent- im wortwörtlichen Sinne von .Symbol' für etwas anderes jenseits von

heben - ein Abschnitt «Notes de transcription et de traduction» nach ihr." (S. 138)

dem Vorbild früherer Bände der Editionsreihe sehr wohl am Platze ge- In dieser „Kehre" liegt ein für Peter L. Bergers erweitertes Verwesen
. Die sporadischen Fußnoten zur Textauffassung, die der ständnis von religiöser Erfahrung höchst charakteristisches Moment.
Kommentar enthält bieten neben sehr erwägenswerten Vorschlägen Der ausdrückliche Bezug auf Husserls Grundsatz der „Intentionali-
(meist auf Lexikalisches beschränkt) auch viel Oberflächliches und tat" unterstreicht das: „Bewußtsein wird unter dem Aspekt des
sind insgesamt kein Ersatz für eine philologische Analyse - zumal Objekts, zu dem es tendiert, gesehen." (S. 212, Anm. 20) So sieht Ber-
auch die Indices in dieser Editionsreihe nicht sehr aussagekräftig sind ger auch F. D. Schleiermachers grundlegenden Einsatz der Theologie,
und kaum einen direkten Zusammenhang mit der betreffenden Über- Zu dieser theologischen Tradition bekennt er sich selbst und sieht
Setzung erkennen lassen. (Ein Beispiel für leichtfertigen Umgang mit damit einen fruchtbaren Beginn „liberaler Theologie". Unter den
sprachlichen Details: .Sterblich" ist nicht dasselbe wie ,tot' - wie es der möglichen theologischen Antworten auf die Probleme der Modernität
Komm zu p 69 11 [S 142 mit Anm. 171, vgl. S. 71) vorauszusetzen erkennt er dabei in der „induktiven Möglichkeit" die fruchtbarste
scheint - und weder das eine noch das andere ist ein mögliches Konzeption. Sein Ruf lautet daher: „Zurück zu Schleiermacher-
Äquivalent für einen Ausdruck, der völlig eindeutig .tötend" bzw. (S. 141-149), da die anderen Möglichkeiten theologischer Arbeit, die
-Mörder' bedeutet - wie ebd. vorgeschlagen und in der Übersetzung „deduktive Möglichkeit" (S. 80-101) und die „redukt.ve Möglich-
angenommen wird.) Auch fragt man sich angesichts der wiederholten keit" (S. 109-136) einseitig entweder zur Trad.t.on (deduktive Mog-
Tilgung eines nach bestimmten Regeln verdoppelten N und der (un- lichkeit) oder zur Säkularität (reduktive Möglichkeit) hinneigen. Was
vollkommenen) Korrektur eines gräko-koptischen „archi-aggelos" in den USA als Neo-Orthodoxie (im Gefolge Barths), als „Entmytho-
(53,27), was eigentlich das Ziel einer derartigen Textausgabe sein soll: logisicrung" theologisch wirksam wurde, ist in diesen Posit.onen enden
Text von wirklichen Fehlern zu reinigen oder den koptischen seitig profiliert. Ein ganz wichtiges Anliegen Bergers ist es, mit seiner
Schreibern nachträglich orthographische Vorschriften zu machen? Betonung der „induktiven Möglichkeit" eine Position der „Mitte" zu
Dabei geht der Bearbeiter sonst durchaus sehr sparsam mit Emcnda- gewinnen, die auch den Erfahrungsschatz der Tradition verarbeiten
[i°nen um (gemessen an seiner Übersetzung allzu sparsam) und liefert kann, ohne in Traditionalismus zu verfallen. Er will dabei „die
zweifellos eine brauchbare Ausgabe dieser Schrift. Zum wirklichen menschliche Erfahrung als Ausgangspunkt religiöser Reflexion
Verständnis des Textes bleibt aber noch eine Menge zu tun. nehmen und historische Methoden einsetzen, um jene Erfahrungen
Die vorliegenden Bände dieser Editionsreihe zeigen insgesamt, daß aufzudecken, die sich in den verschiedenen Rel.g.onstradit.onen nieder
um Laval konzentrierte Flügel der Nag-Hammadi-Forschung ein dergeschlagen haben." (S. 140ff) Ohne auf die „metahumane Inten-
gewichtiges Wort nicht nur in der religionsgeschichtlichen Verarbei- tionalität des religiösen Phänomens" einzugehen, kann das mcht gc-
l"ng, sondern auch in der Erschließung der NH-Texte selbst mitzu- lingen. Bei aller Zustimmung, die man diesem Ansatz zollen kann,
reden hat kommt bei dieser Analyse von Religion - und das ist seit der Romantik
eine offene Frage - der Ethik ein viel zu geringes Gewicht zu. For-
Bcrlln Wolf-Peter Funk mulierungen wie „weder Jesus noch seine frühen Jünger hatten

sonderliches Interesse ap ethischen Fragen welcher Art auch immer"

i> (S 154) dürften weit über das Ziel hinausschießen und so nicht

BcrRer, Peter L.: Der /.«an« zur Häresie. Religion in der plura- Dic spezifisch religiöse Zentrierung von ihrem eigentlichen

"^"fSh m 224 s" DM lt ^ Bezugspunkt, dem stets erfahrbaren Heiligen, von Gott her soll damit

nicht in Abrede gestellt werden.

s'arker noch als in seinen vorangehenden Büchern hat Peter L. Auf der Grundlage seiner Interpretation religiöser Erfahrung bringt

B«ger sich im Zwang zur Häresie" spezifisch theologischen und reli- der Vf. in einem letzten Kapitel seines Werkes eine höchst instrukt.ve

äösen Fragen zugewandt und versucht, „den Brennpunkt der Auf- Analyse der religiösen Lage heute. Er führt das an Hand einer Typolo-

^rksamkeit auf die religiöse Erfahrung selbst" (S. 8) zu richten. gie vor: „Zwischen Jerusalem und Benares: Der heraufkommende

»Zwang zur Häresie" heißt dabei daß „modernes Bewußtsein eine Wettstreit der Religionen" (S. 171-203). Jerusalem steht dabei Pur

Bewegung vom Schicksal zur Wahl" nach sich zieht (S. 24). War in Vorderasien, Benares für Ind.en. „Was die Rel.giorisgesch.chte der

^moderner Zeit die Möglichkeit, wählen zu können, stark einge- Menschheit angeht, so ist kerne Polarität bedeutsamer als die

»«na, so hat die Moderne einen Zwang zur Wahl unter verschiede- zwischen Indien und Vorderasien" (S. 172), und Vorderasien zeich-

ne* Möglichkeiten kultureller und gesellschaftlicher Optionen mit net sich dadurch aus, daß es das Göttliche erlebt als persönlichen

sic" gebracht. Für die Innenseite der Moderne, ihr Bewußtsein, hat Gott" (S. 173). „Wenn man dic religiöse Erfahrung d.c für Vorder-

das gravierende Folgen Für dic Religion brachte dic Plurali.ät der asien eigentümlich ist, als auf Konfrontation beruhende Erfahrung be-

Wahlmöglichkeiten einen Prozeß der Säkularisierung mit sich, der zeichnen kann, dann ist die Ind,en kennzeichnende Erfahrung von

Re'igion in ihrer Sicherheit unterminierte, „sie entobjektivierte und Innerlichkeit geprägt. Das Göttliche tritt dem Menschen nicht von

lhr damit den selbstverständlichen Status raubt". (S. 39ff) Diesen außen gegenüber, sondern muß in ihm selbst als göttlicher Grund

Vorgang bezeichnet der Vf. mit dem Ausdruck „häretischer Impe- seines Seins und des Kosmos gesucht werden." (S. 175)

ratiV. An ihm rührt heute kein Weg mehr vorbei. So kann die heutige religiöse Lage als von der Frage Was bedeutet

Nurt wäre mit diesem wissensoziologischen Aufweis längst nicht Benares für Jerusalem?" bestimmt angesehen werden. In dieser Frage

al1« gesagt. Zunehmend wird in der Modernität die Erfahrung von könnte man zugleich die Frage nach der Rolle der Mystik m der euro-

"Brüchen" mit der gewöhnlichen Erfahrung gemacht, die die Realität päischen Religionsentw.cklung angelegt sehen, was be. typologischcn

der gewöhnlichen Welt relativieren. Diese wird nun „mit einer zuvor Vergleichen durchaus zu rechtfert.gen wäre. Vor allem aber verlagert

"icht wahrgenommenen Qualität gesehen" (S. 55). „Die Welt des der Vf. den Schwerpunkt seiner Argumentation von der Auscmander-

^matürlichen wird als .draußen' erfahren, als eine Welt, die un- Setzung mit der Moderne weg hm zu inhaklichen religiösen Fragen

W,d"stehliche Realität besitzt, unabhängig vom Willen des einzelnen, und das nicht nur im letzten Kapitel seines Werkes. Die Probleme der

y dieser überwältigend objektive Charakter stellt den alten Reali- Säkularisation dominieren nicht mehr: „Dieses Thema hat sich er-

at*ta,us der normalen Weltin Frage." (S. 56) Es wird nach Meinung schöpft. Auf der Tagesordnung von heute steht das weit drängend

desVf.inderrelig,ösenErfahrungdieansonstenbeherrschendcalltäg- und bedrängendere Problem der Auseinandersetzung mit der Fülle

1,che, Plausible Erfahrung umgekehrt: „Die menschliche Welt in ihrer menschlicher Religionsmogl.chke.ten (S. 197), und das ze.gt s.ch