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Ausgabe:

1989

Spalte:

139-141

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Körtner, Ulrich H. J.

Titel/Untertitel:

Weltangst und Weltende 1989

Rezensent:

Wenz, Gunther

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Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 2

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Aber wird dies in seiner Tiefe und als etwas, das uns unbedingt angeht,
erlebt, dann ist das Göttliche gegenwärtig; und der. der in solch einer
Haltung zweifelt, wird in seinem Denken .gerechtfertigt'." Damit
gewinnt Tillich nach Ratschows Urteil „den auf das Ganze des Menschen
gerichteten Zielbereich der Rechtfertigung zurück" (64).
Zugleich läßt sich von solch einem Verständnis der Rechtfertigung
eine Brücke zum religiösen Atheismus, zum „Glauben ohne Gott"
schlagen. „Religiöser Atheismus" ist für Tillich legitimer Protest
gegen alle Versuche einer Vergegenständlichung Gottes. Auf der Linie
des protestantischen Prinzips geht es Tillich um die Wahrung der
Ungegenständlichkeit Gottes. „Es ist die religiöse Funktion des
Atheismus, immer wieder daran zu erinnern, daß es im religiösen Akt
um das unbedingt Transzendente geht" (zitiert bei Ratschow 78).
Dieses unbedingt Transzendente nennt Tillich „Gott über Gott",
einen Gedanken, den Ratschow in seinen produktiven Möglichkeiten
für das Gespräch der Theologie mit dem modernen Menschen und
den anderen Religionen eben nur noch andeutet.

Die beiden Studien leuchten das tiefgründige, aber nicht immer
leicht verständliche Lebenswerk Tillichs auf ganz unterschiedliche
Weise aus. eignen sich aber gerade in dieser Unterschiedenheit vorzüglich
als Einführung in sein Denken.

Hamburg Hermann Fischer

Körtner, Ulrich H. J.: Weltangst und Weltende. Eine theologische
Interpretation der Apokalyptik. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1988. 428 S. gr. 8'. Kart. DM 58,-.

Nach einer Zeit der Verdrängung der Apokalyptik. in der diese
lediglich als historische Erscheinung der Vergangenheit in Betracht
kam und von bloß religionsgeschichtlichem, nicht aber von aktuellem
Interesse war, attestiert K. der Gegenwart ein Erwachen aus der Apokalypseblindheit
und ein Bedürfnis, die Bedrängnis der eigenen Lage
im Anschluß und unter Aufnahme traditioneller apokalyptischer
Vorstellungsgehalte zum Ausdruck zu bringen. Im „Zeitalter der
Angst" (so die Überschrift der Einleitung, 9-39), in dem wir nach
Ansicht von K. gegenwärtig lebten und in dem mit der Hoffnungauch
alle Hoffnungstheologien in die Krise geraten seien, sei eine theologische
Theorie der apokalyptischen Wcltangst dringend erfordert.
Eine solche Theorie zumindest in Ansätzen zu liefern, ist die Absicht
von K.s Untersuchung, die - von Alfred Jäger angeregt - im Sommersemester
1987 von der Kirchlichen Hochschule Bethel als Habilitationsschrift
angenommen worden ist.

K. setzt ein (Erstes Kapitel: Apokalyptik - Beschreibungsversuche
eines Phänomens. 40-87) mit dem Versuch, die dunkle Größe .Apokalyptik
'. wie er sagt, als literarisches und religionsgeschichtliches
Phänomen unter philosophischen und psychologischen Gesichtspunkten
in ihren entscheidenden Konturen zu skizzieren. Als her-
meneutischer Schlüssel zum Dascinsverständnis der Apokalyptik
erscheint ihm dabei die Wcltangst. Ihrer begrifflichen und phänomenologischen
Näherbestimmung, namentlich ihren Grundgestalten,
ihrer Unterschiedenheit von Erscheinungsformen der Furcht sowie
ihres Zusammenhangs' mit der Entdeckung der Zukunft in ihrer Fraglichkeit
und sonach mit der endlich-zeitlichen Verfassung menschlichen
Daseins überhaupt, ist das zweite Kapitel (Weltangst: 88-137)
gewidmet. K. bemüht sich dabei, insbesondere die Beiträge der
Existenzphilosophie zum Verständnis der Weltangst für die Deutung
der Apokalyptik fruchtbar zu machen, wobei neben Kierkegaard,
Jaspers, Sartre und Tillich Heideggerais wichtigste Autorität fungiert.
Apokalyptische Angst, so lautet die zentrale These, ist die Wahrnehmung
der Endlichkeit als Ausweglosigkeit. Solche totale Weltangst
versucht Apokalyptik nach K. durch Weltverneinung zu bewältigen
(Drittes Kapitel: Weltangst und Weltende, 138-154). Das Weltende
bzw. die Erwartung desselben gilt ihm daher als Inbegriff einer durch
Weltangst erschlossenen Daseins-, Welt- und Zeiterfahrung. Dieser
Zusammenhang von Weltangst und Weitende wird sodann in einem
weiteren - dem umfangreichsten - Kapitel (Viertes Kapitel: Weltuntergänge
. 155-277) anhand ausgewählter Beispiele verschiedener
Typen von Apokalyptik und Weltuntergangsvorstellungen dargestellt
. Das Spektrum reicht dabei von altertümlich-mythischen Natur-
und Geschichtskatastrophenszenarios bis hin zu Oswald Spenglers
Beschwörung des Untergangs des Abendlandes sowie zu modernen
Theorien vom Wärmetod des Universums, vom atomaren
Holocaust ganz zu schweigen. Nach einer kritischen Auseinandersetzung
mit den Zweideutigkeiten der Apokalyptik (Fünftes Kapitel: Die
Zweideutigkeit der Apokalyptik. 278-323). die sich vor allem gegen
die Tendenz der sog. negativen Apokalyptik wendet, Entweltlichung
und Weltverneinung in kapitulierender Weltflucht und im Weltverlust
enden zu lassen, konzentriert sich K. schließlich in einem sechsten
und letzten Kapitel (Christlicher Glaube und apokalyptische
Welterfahrung. 324-393) darauf, das Verhältnis von Christentum und
Apokalyptik zu klären. Unter Bezug auf Ernst Käsemanns These, die
Apokalyptik sei die Mutter aller christlichen Theologie gewesen, wird
zunächst der neutestamentliche Befund erörtert mit dem Ergebnis,
daß sich die These von der Angstlosigkcit des Glaubens vom Neuen
Testament her nicht begründen lasse. Die Angst kann daher nach K.
als entscheidendes tertium comperationis von Apokalyptik und Christentum
gelten. Das Spezifikum christlichen Glaubens wiederum
bestehe darin. Mut zur Angst als einer Grundgegebenheit menschlichen
Lebens zu sein. K.s „These lautet, daß die Angst des Glaubens
die Angst einer neugewonnenen Freiheit ist. Bezogen auf die Apokalyptik
bedeutet dies, daß die Angst des Glaubens nicht eine Folge der
Ausweglosigkeit der Endlichkeit, sondern Folge der Überwindung
dieser Ausweglosigkeit ist. Gerade weil der Glaube ein befreites Verhältnis
zur Freiheit und zur Angst hat, ist er nun aber auch Mut zur
apokalyptischen Weltangst." (362) Der christliche Glaube sei daher
als die .Aufhebung' der Apokalyptik im Hcgclschcn Sinne des Begriffs
zu bezeichnen. „Weil der Glaube die apokalyptisch verneinte Welt
zugleich als den Ort möglichen Heils und des adventus Gottes bejaht,
wird ihm die heute im Bereich des Möglichen liegende Annihilation
der Welt zur Anfechtung und zum theologischen Problem. Dabei ist
der Glaube etwas anderes als Hoffnung auf den Fortbestand der Welt
oder als die apokalyptische Hoffnung auf eine andere Welt jenseits der
Katastrophe. Vielmehr bejaht der Glaube die Welt angesichts ihrer
heute real möglichen Verneinung. Der christliche Glaube ist Mut zum
fraglichen Sein." (377) Dieser Mut beinhaltet nach K. ebenso die
Bereitschaft, das drohende Ende nicht aus dem Bewußtsein zu verdrängen
, sondern seiner Wahrnehmung standzuhalten, um ihm
gerade so entgegenwirken zu können, wie die paradoxe Hoffnung, daß
auch im Falle des faktischen Untergangs der Welt deren und der
Menschheitsgeschichte Gewesensein nicht der Erinnerung Gottes entfällt
. Dem Leiden zumal sei ein ewiges Gedächtnis durch den im aulerstandenen
Gekreuzigten offenbaren Gott gestiftet, so daß auch der
Unterschied zwischen Täter und Opfer, was immer auch kommen
mag, für alle Zukunft nicht der Vergessenheit anheimfallen wird.

Reiz und Grenze von K.s theologischer Interpretation der Apokalyptik
liegen in deren daseinsanalytischem Ansatz begründet. Er
ermöglicht es einerseits, existentialer Konstanten apokalyptischer
Wcltdeutung ansichtig zu werden und Apokalyptik als ein Gegenwartsphänomen
zu deuten, was in teilweise etwas fcuilletonistischer
Manier, insgesamt aber durchaus kenntnisreich, informativ und farbig
geschieht. Auf der anderen Seite hat solche aktualisierende Tendenz
zwangsläufig zur Folge, daß die apokalyptische Tradition historisch
an Profil verliert. Wenn etwa neben IV. Esra auch eine Schrift H. v.
Ditfurths „alle wichtigen Kriterien einer Apokalypse" (207) erfüllen
kann, dann ist man von einer existcntialphilosophischcn bzw.
-theologischen Überführung von Geschichte, einschließlich Zeitgeschichte
, in zeitlose Geschichtlichkeit nicht mehr weit entfernt. In
dieser Feststellung ist auch der von K. selbst vorweggenommene Ein-'
wand impliziert, „die vorliegende Interpretation der Apokalyptik
reduziere auf Grund ihres daseinsanalytischen Ansatzes die bedrängenden
Probleme einer präzeden/losen geschichtlichen Situation
ganz auf das Subjektive, ohne den Ursachen der beispiellosen Gefahr