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Ausgabe:

1989

Spalte:

130-133

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Reformiertes Zeugnis heute 1989

Rezensent:

Busch, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 2

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Rostock üert Wcndclborn

gen kann man im Detail naturgemäß in ein Sachgespräch eintreten. Aneignungen bei Interpreten der letzten Jahre (D. Solle. Steffensky,

Die Gliederung (nach theologicgeschichtlichcn Epochen, lediglich Cornehl. Lempp. Teichen und Vf.) im Vordergrund standen,
'um 20. Jh. in themenorientierten Längsschnitten) führt notwendig
schon um profilierender Kontrastierung willen zu Zuspitzungen im

Urteil, doch ihrer Intention stimmt man gern zu. Meint man zu- ,

närh^i a^ixa /r a u • : u i i .l r u u i. ,• • Vischcr, Lukas [Hg. : Reformiertes Zeugnis heute. Eine Sammlung

"aenst, daß den VI. dabei eine philokalholische Haltung motiviere, so OJ . . . ,

wir,t . ~ r o j ■> i. ., j , , . jo •. , j- neuerer Bekenntnistexte aus der reformierten Tradition. Aus dem

W'ni am Schluß des Ruches vollends deutlich, daß es viel mehr die Eng| von , Boeckcr Q Roh|and. A. Kohl-Beyer. Neukirchen-

»evorzugung alternativer Lebensentwürle ist. Er selbst formuliert, im Vluyn: Neukirchener Verlag 1988. XIV, 306 S. 8°. Pb. DM 48.-.
Laufe der Auslegung sei aus dem Feind. Irrlehrer und Irritator der

Gefährte bei der Suche nach einer besseren, menschlicheren und gott- Während die geplante Neuedition der älteren reformierten Be-

gemäßeren Welt geworden. kenntnisschriften noch immer auf sich warten läßt, hat nun Lukas

Ausführlich beschäftigt sich Vf. schon mit Luthers Deutungen und Vischer, u. a. Leiter der theologischen Abteilung des Reformierten

hebt diese von der der folgenden Perioden im Zeichen von Gegen- Weltbundes, eine willkommene ..Sammlung neuerer Bekenntnis-

reforrnation und Orthodoxie deutlich ab, da sie unverhohlene und texte" aus dem Bereich der reformierten Kirchen auf allen Kontincn-

z- T. scharfe Kritik mit einer Würdigung der Person verbunden und ten vorgelegt. Der Band enthält 36 verschiedene Texte, denen jeweils

sich von klischeehaften Feindbildern noch großenteils freigehalten eine kompetente Einleitung zur Erhellung des Kontextes vorangestellt

habe. Vollends Sebastian Franck eilte seinerzeit weit voraus, da er in ist. indem der Text entstanden ist. Daß hier ..alle wichtigen reformier-

seiner von Toleranz geprägten Wertung um historische Authentizität ten Bekenntnisse . . . seit dem 2. Weltkrieg" gesammelt sind, wie der

bemüht war. Franz-Deutung im Zeichen eines verhärteten Feind- Buchumschlag verheißt, ist zuviel gesagt, da z. B. die bedeutsamen

''des setzte massiv mit Erasmus Albers ..Franziskancr-Alkoran" „Grundlagen und Perspektiven des Bekennens" der niederländischen

'542 ein. zu dem Luther freilich ein Vorwort beisteuerte, in dem die Kirche von 1949 fehlen; vielleicht hätten auch schon die „Doorn-

Legendensammlung des Liber Conformitatum vom Ende des 14. Jh.. sehen Thesen" von 1943 hierher gehört. Da der Band sinnvoll auch

w° Franz als zweiter Christus verstanden wurde, zum Anlaß einer bekenntnisartige Texte im Zusammenhang der Bildung von Kirchen-

hanalen und brutalen Polemik mit grobem Witz ohne Sinn für die gemeinschaften mit nichtreformierten Konfessionen enthält, könnte

Poesie mittelalterlicher Legenden, aber mit heute unglaublichem man fragen, ob der Text der „Leuenberger Konkordie" von 1973

^rfolg gemacht wurde. Auch für Flacius, den „Wissenschaftsmanagcr nicht auch hierhergehört hätte. Es wäre wünschbar gewesen, daß über

v°n hohen Graden", war Franz ein Satansapostel, erst recht für Spott- die Kriterien bei der offenbar bewußt vorgenommenen Auswahl

gedichte dieser Zeit (Kyrchmayr. Fischart. Frisehlin) und für die Näheres gesagt worden wäre. Auch so darf man sagen, der Band bietet

Orthodoxie einschließlich J.Gerhard. Im Pietismus herrschte zwar einen gelungenen, repräsentativen Querschnitt durch die-keineswegs

"och G. Arnolds Ablehnung des Franz als ..Kumpan der Clerisey" immer harmonische - Vielfalt des Zeugnisses reformierter Kirchen in

0r' doch der Bandwirker I ersteegen wurde seiner ..heiligen Seele" in der jüngeren Gegenwart. Vielleicht ist es mehr als ein Zufall, daß

Her überraschend wohlwollenden, doch von der Favorisierung der Stimmen aus dem deutschsprachigen Raum und speziell aus dem

Innerlichkeit geprägten Deutung viel gerechter. Die Aufklärung Mutterland der reformierten Reformation fehlen, daß hingegen Stim-

«fachtet Vf. trotz großangelegter historischer Veröffentlichungen men aus dem Bereich der Dritten Welt ein besonderes Gewicht haben.

Cb°SnC'rri' Semler, Schröckh. Spittlcr, Henke. Planck) unter der Sollten etwa die Schrittmacher „reformierten Zeugnisses heute" nun-

erschrift ..Armer Irrer" als Tiefpunkt der Rezeptionsgcschichtc. da mehrdort zu finden sein?

Sle geplagt war von vielen Vermeidungsängsten und besorgt um die Die Sammlung illustriert den eigentümlichen reformierten ße-

'erbrechliche Rationalität ihrer eigenen Welt und darum Wunder- kenntnisbegriff, nach dem es in Ordnung geht, daß sich schon in der

1 au°en. heitere Sorglosigkeit, angebliche Arbeitsscheu und Fanatis- Reformationszeit kein reformiertes Normalbckenntnis gebildet hat,

niusals Überschreitung bürgerlichen Mittelmaßes und Infragestellung an dessen Anerkennung sich die Zugehörigkeit zur Konfession nor-

wußter Anpassung an vorgegebene Standards verwarf. Dagegen miert. Es gab schon damals eine Vielzahl nicht leicht zu harmonisie-

,e bereits Bayle Franz viel unbefangener gewürdigt, obgleich dieser render Bekenntnisse. Das hängt damit zusammen, daß Bekenntnis

*"r'nn im Grunde eine exotische Gestalt aus einer versunkenen hier nicht so sehr überall gültige Lehrvorschrift, als Anweisung an

e't blieb. einem räumlich begrenzten, konkreten Ort zu aktuellem Bekennen

Die Wende begann mit dem Zeitalter der Romantik, wo man ein ist. Das hängt zugleich zusammen mit der bekannten Selbstbegren-

eUes Verhältnis zum Mittelalter wie zu Kunst und Poesie gewann. zung reformierter Bekenntnisse durch den Vorbehalt ..besserer Beleh-

' Cr auch offener für alternative Lebensgestaltungen war und darum rung durch die Schrift", der jetzt auch in diesen neueren Texten auf-

se °st Legenden würdigen konnte (mehr theoretisch bei Herder, mehr gegriffen wird (229. 239) und der bedeutet, daß ein Bekenntnis in zeit-

Draktisch. doch nicht frei von süßlichem Kitsch, bei Kosegarten). Den lieh begrenzter Gültigkeit u. U. auch korrigierbar und sogar ersetzbar

^ten Höhepunkt cv. Kirchengeschichtsschreibung stellte Neander ist. Aus beiden Gründen wird ein allgemeines reformiertes Welt-

^ 11 seiner großen Einfühlungskunst dar, und Böhringer schuf die erste bekenntnis, obwohl oft und neuerdings wieder erstrebt, kaum je

mfassende ev. Franz-Biographie. Eine Umkehr des vorwiegend bio- erreichbar sein. Aus beiden Gründen ist es wiederum an sich nicht

^raPhischen Interesses erfolgte im Idealismus. Für Hegel freilich verwunderlich, daß in verschiedensten Regionen heute neue refor-

l^Urde Franz fast zur auswechselbaren Chiffre einer umfassenderen mierte Bekenntnisse formuliert wurden. Gleichwohl ist das durch den

I e' d°eh Baur formulierte das entscheidende Thema der folgenden Band belegte Faktum erstaunlich, daß in der reformierten Familie

y. ^hntc: Franz' Verhältnis zur Ordensentwicklung unter kurialer vielleicht „zu keiner Zeit. . . Bekenntnisse in so großer Zahl verfaßt

"Wirkung in der positivistischen Kirchengeschichtsschreibung des worden (sind) wie in den letzten drei Jahrzehnten" (V), wenn man

1 Usgehendcn 19. Jh.. die sich aber nicht darüber einigte, ob Franz vor- nämlich die reformierte Bekenntnismüdigkeit schon seit dem 18. Jh.

,lngig ein Märtyrer der Kurie oder ein Opfer der eigenen Naivität bedenkt, in der z. B. in der Schweiz die Bekenntnisse förmlich abge

■ 'n dieser Zeit überragte die ev. an Intensität sogar die kath. Franz- schafft wurden. - nicht um sie durch neue zu ergänzen, sondern weil

(jj|.rSCnun8- Sehr erhellend ist schließlich auch des Vf. Nachzeichnung „Bekenntnis" als solches obsolet geworden war. Es werden in Vischers

CV' Forschung des 20. Jh.. wobei v. a. Franz' Charakter, seine Sammlung vier Gründe für die weltweite Renaissance reformierten

Prünglichen Absichten, sein Verhältnis zur Kirche und seine Bckcnncns deutlich: einmal die Initialzündung durch die sich auf ihr

Sei 'K rn'B^c't DC' starkem theologischem Interesse in positiver Nach- Wesen als Kirche Christi neu besinnende Bekennende Kirche - auf

k-it nUn^ IT1't v'e'en erhellenden Neuakzenten bei der großen Mehr- „Barmen" berufen sich denn auch ausdrücklich einige Texte (37.111.

• 'n Kritik bei einer Minderheit und in bewußt aktualisierenden 159). Dazu kommt die Emanzipation der „Jungen Kirchen", die das