Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

99-100

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Heinemann, Gustav Walter

Titel/Untertitel:

Es gibt schwierige Vaterländer ... 1989

Rezensent:

Winkler, Eberhard

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

99

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 2

100

soeben erschienen ist und somit der neueste Stand in erheblich erweitertem
Umfang vorliegt (im Vergleich: die 13. Ausg. von 1980
umfaßte 4892 S., die 15. Ausg. 5811 S. - das sind rund 20 % mehr!).
Mit fast 45500 Wissenschaftlern hat diese, letztmalig vom langjährigen
Leiter der Kürschner-Redaktion. Werner Schuder, herausgegebene
Ausgabe einen vorläufigen Höchststand erreicht. Und
dennoch ist damit immer noch nicht das angestrebte Vollständigkeitsideal
erfüllt; weitere Ergänzungen (wie im Vorwort angegeben
) sind Tür folgende Ausgaben geplant und werden den Wert
dieses Lexikons noch erheblich steigern.

Es ist das Ziel des „Kürschner", ein Verzeichnis deutschsprachiger
Wissenschaftler aller Wissensgebiete mit biographischen und bibliographischen
Kurzinformationen zu bieten. Dabei beruht das „Verzeichnis
der Wissenschaftler fast ausschließlich auf Mitteilungen der
Verzeichneten selbst. Wo solche Mitteilungen nicht vorgelegen
haben, wurden die Angaben aus einschlägigen Quellen zusammengetragen
bzw. ergänzt" (VIII). Die damit verbundene Einschränkung
hat auch zur Folge, daß der Umfang der Angaben unausgeglichen ist
(Geburtsorte, Literaturangaben etc. fehlen manchmal ganz oder zum
Teil).

Für die Auswahl der Wissenschaftler gelten folgende Kriterien:

..Geographisch-sprachliche Abgrenzung

1. Wissenschaftler, die vorwiegend deutsch publizieren.

2. Wissenschaftler, die eine Anstellung an einer deutschsprachigen wissenschaftlichen
Institution haben oder hatten.

3. Wissenschaftler, die eine Anstellung an einer wenigstens teilweise als
deutschsprachig anzusehenden wissenschaftlichen Institution haben oder hatten
und entweder deutscher Muttersprache sind oder vorwiegend deutsch publizieren
.

Stellung im wissenschaftlichen Bereich

1. Professoren mit einer Tätigkeit in der wissenschaftlichen Lehre und Forschung
an einer Hochschule oder einer Institution gleichen Ranges (z. B. Max-
Planck-Institut).

2. Alle habilitierten Wissenschaftler, soweit nicht unter 1.

3. Wissenschaftliche Räte.

4. Wissenschaftliche Mitarbeiter an Forschungseinrichtungen außerhalb der
Hochschule. . ..die wissenschaftlich publiziert haben.

5. Angehörige akademischer Berufe, die innerhalb dieses Berufes durch wissenschaftliche
Publikationen besonders hervorgetreten sind." (VIII)

Als biographische Information werden nicht nur Namen, Geburtsdaten
und akademische Grade angegeben, sondern auch die
jetzige Berufsstellung, Postanschrift, wissenschaftliche Laufbahn und
die Hauptarbeitsgebiete vorgestellt. Die bibliographische Einheit
jedes Artikels erfaßt selbst- oder mitverfaßte selbständige Publikationen
(auch Übersetzungen) mit Erscheinungsjahr sowie Zeitschriftenaufsätze
, Herausgebertätigkeiten, Übersetzungsarbeiten und andere
Formen wissenschaftlicher Veröffentlichungen wie auch Literatur
über den Betreffenden verzeichnet ist.

Im 3. Band ist weiterhin ein Nekrolog (Liste der seit 1982 ermittelten
Todesfälle mit Geburts- und Sterbedaten), ein Festkalender (für
die 50., 60., 65., 70., 75., 80.. 85., 90. und 100. Geburtstage), ein nach
Fachgebieten systematisiertes Wissenschaftlerverzeichnis (die Untergliederung
der Theologie in Biblische Theologie, Kirchengeschichte,
Systematische Theologie. Praktische Theologie und Religionspädagogik
ist nicht unproblematisch) sowie eine Adressenliste wissenschaftlicher
Verlage der BRD, der DDR. Österreichs und der Schweiz
enthalten.

Leipzig Ernst-Heinz Amberg/Ralf Marschncr

Heinemann, Gustav W.: Es gibt schwierige Vaterländer... Aufsätze
und Reden 1919-1969. Hg. von H. Lindemann. München:
Kaiser 1988. 391 S. 8" = Kaiser Taschenbücher, 24. Kart. DM 24,-.

Der Kaiser-Verlag legt hiermit eine Neuausgabe der Aufsätze und
Reden vor, die als 3. Band der Reden und Schriften Heinemanns im
Suhrkamp-Verlag erschienen. Den Theologen interessiert das Buch
als zeitgeschichtliche Quelle und als Dokument dafür, wie ein vielseitig
gebildeter evangelischer Christ darum gerungen hat, seinen Glauben
im politischen Handeln zu bewähren und die christliche Botschaft
vor dem Mißbrauch durch Politiker zu bewahren. Die meisten Beiträge
spiegeln die „entscheidenden fünfziger Jahre" aus der Sicht
Heinemanns wider. Es entsteht ein anschaulicher Eindruck von «einem
Kampf gegen die Spaltung Deutschlands, gegen die Wiederbewaffnung
der Bundesrepublik und besonders gegen die atomare Aufrüstung
. Informative Kommentare und Ergänzungen des Hg., der dieser
Neuausgabe auch ein Nachwort hinzufügte, verbinden die Beitrüge
, so daß sich ein zusammenhängendes Bild von Heinemanns Werk
in den Jahren 1945-1969 ergibt. Die kleinen Publikationen aus der
Weimarer Zeit erscheinen mehr als Präludium, während der Band aus
den Jahren 1923-1945 gar keinen Beitrag enthält. So wird vor allem
Heinemanns Weg von der CDU, zu deren Mitbegründern er 1945 gehörte
, über den Bruch mit Adenauer und die erfolglose Episode der
Gesamtdeutschen Volkspartei zurSPDbeleuchtet.

Es zeigt sich, daß dieser wechselhaft erscheinende Weg von Heinemanns
Voraussetzungen her konsequent und geradlinig war. Er
trennte sich von der CDU, weil sie sich nach seiner Meinung ..aus
einer Plattform zum gemeinsamen Handeln katholischer und evangelischer
Christen in ein Propagandainstrument einer autokratischen
Führung, deren politische Entscheidung den christlichen Wählern
durch ein christliches Einheitsgeschrei über den Kopf gestülpt werden
" sollte (190), gewandelt hatte. Dem Theologen fällt auf, wie
massiv der Politiker Heinemann Verkündigungsclemente in die politische
Argumentation einbrachte. So schrieb er 1952 zur Begründung
seines Abschieds von der CDU: „Nicht die Parole: Christentum und
abendländische Kultur, sondern Umkehr zu Gott und Hinkehr zum
Nächsten in der Kraft des Todes und der Auferstehung Jesu Christi ist
das, was unserem Volk und inmitten unseres Volkes vor allem uns
Christen nottut" (193). Heinemann blieb sich darin treu, daß er politisches
Handeln theologisch reflektierte und dabei streng darauf
achtete, das Christentum nicht als politische Waffe zu mißbrauchen.
Das Christliche wird von Grund auf verfälscht, „wenn es zu einer politischen
Waffe gegen irgendwen, und sei es gegen Gottlose und Antichristen
, gebraucht wird. Das politische Nein kann niemals ein Nein
Jesu Christi sein, der für alle Menschen starb, auch für Marxisten und
Kommunisten. Es gibt kein christliches Nein der Staaten oder Parteien
untereinander, sondern nur das in Jesus Christus aufgehobene
Nein Gottes gegen uns alle" (220). In der Frage, was es heißen kann,
christlicher Politiker zu sein, dachte Heinemann konsequent von der
Rechtfertigungslehre her. die er im eschatologischen Horizont verstand
. In seiner großen Bundestagsredc gegen die atomare Bewaffnung
vom 23. 1. 1958 sagte er: „Es geht nicht um Christentum gegen
Marxismus." Auf den Zwischenruf: „Sondern?" antwortete er:
„Sondern? Es geht um die Erkenntnis, daß Christus nicht gegen Karl
Marx gestorben ist, sondern für uns alle" (283). In derselben Rede
zitierte Heinemann aus der Erklärung der Dekane der sechs theologischen
Fakultäten in der DDR gegen die Atomrüstung sowie aus Entschließungen
mehrerer Synoden und einem Beschluß des Zentralausschusses
des ORK. Das Argument, die atomare Bewaffnung sei
zwangsläufig, wies er mit der Bemerkung zurück, „zwangsläufig" sei
„eine atheistische Denkkategorie" (289).

Heinemann konnte als Politiker sehr direkt theologisch argumentieren
, und trotzdem lag ihm entscheidend daran, daß christlicher
(ilaube und politische Macht nicht vermengt werden. Die Warnung
davor gilt auch der evangelischen Kirche, der Heinemann als Präses
der EKD-Synode diente, und der katholischen Kirche, deren Machtansprüche
vor dem 2. Vaticanum er scharf kritisierte (222ff). Es ist
klar, daß manches Urteil Heinemanns durch die geschichtliche Entwicklung
überholt wurde. Auffälliger ist, wie vieles gültig blieb und
nachdenklich stimmt. Die Aufgabe, politische Verantwortung im
Glaubensgehorsam und ohne jeden Klcrikalismus wahrzunehmen,
wird hier exemplarisch anschaulich. Exemplarisch heißt nicht unkritisch
nachvollziehbar, sondern als Impuls, der zur Auseinandersetzung
herausfordert.

Halle (Saale) F.bcrhard Winkler