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Ausgabe:

1989

Spalte:

73-74

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schwermer, Josef

Titel/Untertitel:

Den Menschen verstehen 1989

Rezensent:

Stollberg, Dietrich

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 1

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Schweriner. Josef: Den Menschen verstehen. Eine Einführung in die So hält man am Ende als Theologe und Seelsorger ein informatives

Psychologie lür seelsorgliche Berufe. Paderborn: Bonifatius-Druk- Buch in Händen und fragt sich nur immer wieder: Warum das mir?
kerei 1987. 242 S. m. Abb. gr. 8 Lw. DM 26,-.

Marburg Dietrich Slollbcrg/Christian Trappe

Der katholische Pastoralpsychologe, der auch Bücher zur seelsorge-
"'sehen Gesprächsführung verfaßt hat. möchte mit diesem gut ausgc- ßernet Wa|ler: Wemiche Seelsorge. Elemente einer Theorie des Einmieten
Werk „Grundkenntnisse", ja sogar „einen umlassenden zdnen /liricn: Theologischer Verlag 1988. 158 S. 8 Kart. sFr.

"erblick" der Psychologie „für die philosophische Anthropologie. 24.-.
■l'e einzelnen theologischen Disziplinen und für die Scelsorgspraxis"

1 ermitteln. Dabei sei es nicht seine „Absicht, aus der Theorie sogleich Das neue Buch des Zürcher Ordinarius für Praktische Theologie

konkrete Handlungsanweisungen abzuleiten". „Viel wichtiger und Religionspsychologie enthält ziemlich exakt, was der Untertitel

»Schien es dem Autor, in psychologisches Denken einzuführen und verspricht: Elemente einer Theorie des Einzelnen. Für B. ist der Ein-

>lcn dabei auf grundsätzliche und gleichzeitig hinreichend gesicherte. zelne das Problem der Seelsorgetheorie. Der „Einzelne" ist dabei

h- in Forschung und Praxis bewährte Ansätze zu beschränken." (9) nicht ein quantitativer Begriff, sondern ein qualitativer, gleichbedeu-

Dabei sollen „Reichweite und Grenzen" einer der Humanwissen- tend mit „Subjekt" oder „Seele". Und seine Frage lautet: Gibt es den

chatten bzw. der jeweiligen Schulrichtung deutlich werden (ebd.). Einzelnen wirklich und in welchem Sinne kann er Gegenstand der

Psychologie versteht Schwermer offenbar im wesentlichen als Per- Seelsorge sein? Die zentrale These der Untersuchung formuliert B. im

>onlichkeitstheorie und stellt daher die Persönlichkeitsmodelle der Anschluß an die Metaphysikkritik Kants: „Der Einzelne ist also nicht

-haraktertypologischen Schule (Spranger, Kretschmcr u.a.). der ein Faktum, etwas,,das es gibt'. Er ist auch nicht ein Begriff im Sinne

Tiefenpsychologie (Freud. Jung), der Faktorenanalyse (Guilford. der Erkenntnislehrc Kants... Er ist als Denksignal ein postulativer

^attell, Eysenck) und der Lerntheorie (Pawlow, Skinner u. a.). der Begriff." (86) Dem muß nun nach Überzeugung B.s die Scelsorge-

''hänomenologie (Kelly) und des Interaktionismus (Mischel) vor. Ein theorie Rechnung tragen. Das leiste aber weder die Seelsorgclchre der

Pastoralpsychologisches Konzept, das diese Erkenntnisse in einen Dialektischen Theologie, bei der der Seelsorger bzw. Verkündiger als

^eide Partner verbindenden und Neues, Eigenständiges hervorbrin- „methodischer Dilettant" (22) zu Werke gehen müsse, noch die

Senden Dialog mit der Theologie verwickelte bzw. aus diesem hervor- „beratende Seelsorge", in welcher wohl das Problem des einzelnen

='nge. sucht man vergebens. Nur im Kapitel über Freud werden erkannt sei. deren Praxis jedoch infolge ihrer Theoriefeindlichkeit

Praktische Konsequenzen für die Seelsorge gezogen (69-78). Freilich „taub und blind" (26) bleibe. Was B. dagegen setzen möchte, nennt er

eiben diese sehr vage: Es gibt Menschen, denen psychologisch nicht „weltliche Seelsorge", und er meint damit eine Seelsorge, die sich in

'fcehr zu helfen ist. „Sicher hat Seelsorge auch dann noch einen Auf- ihrer Arbeit mit ratsuchenden Menschen weitgehend an der sich

'rag. Sie muß vielleicht diesen Menschen helfen, die Sinnfrage zu zurückhaltenden Einstellung des Psychoanalytikers orientiert und die

antworten, die sie sich selbst angesichts ihrer seelischen Verfassung in der „Nennung Gottes" ihr Proprium erkennt. Diese „Nennung

bellen. Hilfen dazu, sich zu ändern, kann sie jedoch nur so weit geben, Gottes" (131) ist weder Verkündigung noch Absplution; sie ist viel-

*'eGott einem solchen Menschen die Möglichkeit gegeben hat, sich mehr die notwendige Selbstbeschränkung des Seelsorgers, der sich

Zu andern." (76) Vermutlich hätte hier ein Kapitel über V. Frankl ent- selbst, gerade wenn er zu raten und zu antworten hat, nicht als „Gott"

^neidend weiterführen können. gebärden kann und darf.

Abgesehen von ihrer irgendwie über psychologische»Möglichkciten Zur Darlegung seines Ansatzes nimmt B. verschiedene Anläufe. So

^'"ausführenden Kompetenz betrifft die Seelsorge im Unterschied zur zeigt er zunächst an der Geschichte des Pfarrinstituts, wie der Pfarrer

sychoanalyse nach Schwermer alle Altersgruppen, z. B. auch die der immer mehr statt ein Einzelner ein Vereinzelter wurde (29ff). In Ent-

n,oren (77). Abschließend wird noch einmal festgestellt. Freud habe sprechung dazu stellt B. für die Geschichte der Poimenik fest, daß sich

^'cht nur die Humanwissenschaften, sondern auch weite Bereiche „die traditionelle Theologie nicht als Theorie des Subjekts versteht".

r geisteswissenschaftlichen Disziplinen bis hin zur Philosophie und ja den einzelnen nur so ernst nimmt, „indem sie ihn letzten Endes aus

eologie" „beeinflußt"(79). seiner Biographic herausholt" (52). Es lohne sich deshalb, von der

Daß die Darstellung der Psychologie Jungs nicht darum herum- Psychoanalyse zu lernen, die sich in der Tat als eine „Theorie des Ein-

' lr"t, sich auch der Gottesfrage zu stellen, ist selbstverständlich. zelnen" versteht. Für sie ist entscheidend, daß der Einzelne, das Sub-

wermer beläßt es jedoch bei einem Referat der allcrwichtigsten jekt. die Seele eben ein „Postulat" ist. Die „Entdeckung des Unbe-

"ssagen des großen Freud-Schülers zum Thema und zieht daraus wußten" - schreibt B. im Anschluß an die Interpretation eines be-

m Unterschied etwa zu seinem Paderbomer Kollegen E. Drewer- rühmten Freud-Textes - „kränkt das Subjekt, das Ich. das sich als

rriann) keinerlei Konsequenzen für Theologie und Seelsorge, auch autonomen, metaphysischen Begriff verstehen möchte" (89). Die Vor-

*cnr> erdarauf hinweist, daß Jungs Sicht nicht nur den als „Jesuiten- gehensweise der Psychoanalyse ist demgemäß nicht primär „verste-

berüchtigten katholisch-moraltheologischen Probabilismus hend" im Sinne der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik, also nicht

2c(i 17), sondern „einen neuen Aspekt Für die Interpretation reli- auf das „Eigentliche" im Uneigentlichen, Unbewußt-Fremden zie-

Scr Schriften erbracht" habe (119). Jung wolle „nicht Religion lend. sondern „konstruierend" (102). Durch das Mittel der Deutung.

... en' sondern optimale Voraussetzungen für ein sinnvolles, reli- die als „therapeutischer Vorschlag", nicht als Urteil dem Patienten

ses Leben schallen helfen" (118). angeboten wird, möchte der Analytiker zur „Rekonstruktion des Ein-

°nnen wir als Seelsorger mit Hilfe dieses Buches „den Menschen zelnen" verhelfen, wobei das „Unbewußte als das Fremde schlecht-

cfrstchen"? Immerhin wird man, falls man sich bisher weder mit Psy- hin" belassen wird. Dieses bleibt „distant", aber dank der analy-

°'°gie noch mit Poimenik beläßt hat. einen interessanten Überblick tischen Arbeit „in seinen Manifestationen latent rationabel" (102).

aie genannten Schulrichtungen gewinnen und besser informiert Im Anschluß an eine ausführliche Darstellung der psychoanaly-

n als vorher. Inwiefern dieser Überblick und gerade diese Auswahl tischen Technik, vor allem der notwendigen ..Versagung" des Analy-

^n referierten Autoren jedoch speziell „Für seelsorglichc Berufe" tikers, resümiert B. für das Selbstverständnis desselben: „Ich bin nicht

Schrieben sein soll, bleibt unerfindlich. Warum weder C. R. Rogers Gott, ich bin ein sterblicher Analytiker... Ich schaffe mir meinen

p " E. H. Erikson, zwei der am häufigsten von Theologen zitierten Patienten nicht .nach meinem Bilde'." Für ihn bleibt „als einzige

^iehologcn überhaupt, ein Kapitel bekommen haben, fragt man sich .Aktivität' die Deutung" (126). Auf Grund dieses Sclbstvcrständnisses

enso wie. warum die speziell /luv/ora/psychologischc Literatur der kann B. dann sagen, daß die „Figur des Analytikers" „die Folie der

^genwart überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und kritisch ver- Figur des Seelsorgers ist und bleibt" (ebenda). Schon zuvor hatte B.

eitct wurde. . bemerkt, gute Seelsorge solle sich weniger an der Beichte als am analy-