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Ausgabe:

1989

Spalte:

921-922

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fowler, James W.

Titel/Untertitel:

Glaubensentwicklung 1989

Rezensent:

Fraas, Hans-Jürgen

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 12

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These soll S. 24 u. ö. in der Studie stehen, doch findet man sie weder
dort noch gar „öfter". Der Stil der Polemik mag denen gefallen, die
sich dadurch bestätigt fühlen. Es ist aber zu fragen, ob den berechtigten
Anliegen damit wirklich gedient wird. Nach dem Scherbengericht
über'die Konzeptionslosigkeit der Studie wäre auch mehr über die
eigene Konzeption des Autors zu hören erwünscht.

Das gemeinsame Bemühen, positiv Wege des Gemeindeaufbaus zu
finden, verbindet die von R. Weih herausgegebenen Beiträge. Am Anfang
steht ein von /•". Schwarz wenige Wochen vor seinem Tod 1985
gegebenes Interview. Wie in dem den Band beschließenden Beitrag
seines Sohnes Christian A. Schwarz, der sich mit zehn Einwänden
gegen die Schwarzsehe Konzeption auseinandersetzt, geht es darum,
Kirche als Institution und Gemeinde Jesu Christi sowie das menschlich
Machbare und das von Gott zu Wirkende sachgemäß einander
zuzuordnen. Schwarz jun. will klar und eindeutig definieren, was ein
Christ, was Gemeinde, was Kirche ist. Der Einwand, das sei nicht einfach
, wird angesichts der Geschichte der Ekklesiologie zu souverän als
billiger Theologentrick abgetan. A. Haarheck, der im Ja zum Gemeindeaufbau
mit Schwarz übereinstimmt, kritisiert scharf die dualistische
Polarisierung von Ekklesia und Kirche, durch die ein Zweiklassensystem
unter den Getauften vorprogrammiert werde. Wer die
organisierte Kirche zum Sündenbock für alle geistlichen Mängel
macht, verbaut sich den Blick für die vielfältigen den Gemeindeaufbau
hemmenden Faktoren. C. Möllers Beitrag, der ebenfalls diesen
Gegensatz überwinden will, ist inzwischen durch seine Bücher,,Lehre
vom Gemeindeaufbau" (Bd. 1, 1987) und „Gottesdienst als Gemeindeaufbau
" (1988) weitergeführt. /;. Kochs vergleicht die „missionarische
Doppelstrategie" mit Schwarz' Konzeption, deren Kriterien,
Glaube, Gemeinschaft und Dienst er übernimmt, ohne sie der Volkskirche
abzusprechen. Er versteht beide Programme als komplementär
einander ergänzende Modelle. Die Intention des Beitrags von M.
Seilz. t Herbst und Becker führte Herbst in seinem Buch
„Missionarischer Gemeindeaufbau in der Volkskirche" (vgl.
ThLZ 113, 1988, 298-301) aus. R. Strunks Erwägungen über „Zielsetzung
im Gemeindcaufbau" lassen sein Konzept des Gemeindeaufbaus
als Vertrauensbildung zusammen (vgl. ThLZ III, 1986, 487f)-
R. Weih, „Die Zukunft der Volkskirchc und die Kirche der Zukunft"
(S. 134-159), betont als Mann der Diakonie die insgesamt in der
Diskussion zum Gemeindeaulbau zu wenig reflektierte Notwendigkeit
der Verschränkung von Gemeindeaufbau und Diakonie. Weth
will der Volkskirche als ekklesiologischem Programm den Abschied
geben. Er folgt Schwarz' Vei hältnisbestimmung von Kirche und
Ekklesia nicht, nimmt aber ihre Intention auf, den Ruf zum Glauben
nicht durch eine ekklcsiologische Konstruktion überflüssig zu
machen. Dieser Absicht ist unabhängig von der Prognose volkskirchlicher
Zukunft zuzustimmen, auch in einem Land wie der DDR, wo
niemand mehr von einer Zukunft der Volkskirchc redet.

Halle (Saale) Eberhard Winklcr

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Fowler. James W.: Glaubensentwicklung. Perspektiven für Seelsorge
und kirchliche Bildungsarbeit. Eingeführt u. hg. von F. Schweitzer.
Aus dem Engl, von S. Denzel u. S. Naumann. München: Kaiser
1989. 176S. 8' = Kaiser Taschenbücher, 52. Kart. DM 16,80.

J. Fowler, rührender amerikanischer Religionspsychologe, ist durch
seine Stufentheorie zur Glaubensentwicklung, eine Verbindung von
Piaget und Erikson, mittlerweile auch im deutschen Sprachraum
bekannt. Mit dem vorliegenden, von F. Schweitzer eingeleiteten
Bändchen (176 Seiten) weitet er seinen Anspruch auf die Praktische
Theologie als Ganze aus, spezifiziert am Beispiel der Seelsorge und

der kirchlichen Erwachsenenbildung. Er bemüht sich (I. Kap.) um die
„Wiederbelebung der Praktischen Theologie als theologische Disziplin
" (23). Diese leitet er aus dem Wesen der Kirche ab: Ihr Subjekt ist
die Kirche als Ganze; ihre Arbeit besteht „in theologischer Forschung
und Reflexion mitten im Vollzug kirchlichen Lebens" (29). Allerdings
ist diese Kirche für Fowler in hohem Maß eine öffentliche, die ihre
Mitglieder darin unterstützt, die Partnerschaft mit Gott in die allgemeinen
ökonomischen, technischen, politischen Großstrukturen
des Lebens hineinzutragen, sie ist ein „Ökosystem von Fürsorge und
Berufung" (40). Daraus ergibt sich die Seelsorge als „mannigfache Art
und Weise, wie eine Glaubensgemeinschaft - unter dem Druck und
der Macht des hereinbrechenden Gottesreiches - mit Hilfe pastoraler
Leitung bewußt das Erwachen, Formen, Zurechtrücken, Heilwerden
und stetige Wachsen einzelner Christen und der christlichen Gemeinschaft
in ihrer Berufung fördert" (34).

Berufung (2. Kap.) wird im Sinn Luthers als Würdigung auch säkularer
Arbeit verstanden. Berufung verweist auf den Bund als „eine
Grundmetapher für Gemeinschaft". Partnerschaft der Berufenen mit
Gott heißt am dreifachen Werk Gottes (Schöpfung, Regierung,
Befreiung/Erlösung, Kap. 3) teilzunehmen. Diese Teilnahme zielt
dann auch sehr konkret auf die politische, soziale und ökonomische
Befreiung.

In Kap. 4 werden in bildhafter Sprache die Stufen des Selbst (im
Anschluß an R. Kegan) und des Glaubens dargestellt - eine gute Einführung
in Fowlers Denken Tür denjenigen, der damit noch nicht vertraut
ist, eher eine Enttäuschung für den, der hier Weiterführendes
erwartete. Die kritische Anfrage bleibt aktuell, ob man in der Abfolge
der Stufen tatsächlich von einer (Höher-)Entwicklung sprechen kann.
Einerseits (82; 113) weist Fowler die Vorstellung zurück, daß man auf
einer weniger entwickelten Stufe weniger Person sei; andererseits aber
zielt sein Denken doch auf eine (mystische?) Universalität, in der
nicht nur die Komplexität des Selbst, sondern auch die Qualität der
Gottesbeziehung einen Höhepunkt erreicht (138). Dagegen wäre zu
fragen, ob Glaube als Beziehungsgeschehen nicht eindeutiger von
Gott her - extra nos - zu bestimmen ist.

In der Gemeinde (Kap. 5), im Gottesdienst begegnen sich verschiedene
Daseinsformen des Selbst und des Glaubens. Für jede einzelne
Glaubensstufe benennt Fowler spezifische Aufgaben. Die öffentliche
Kirche hat allen Stufen gleichermaßen Raum zu geben. „Sie sollte
bewußt und gezielt daraufhinarbeiten, zu einem fördernden und anregenden
Ökosystem der Berufung und Fürsorge zu werden, das Menschen
am jeweiligen Punkt ihrer Entwicklung erreichen und einbeziehen
kann" (138).

Die Dynamik lebensgeschichtlicher Veränderungen (Ablösung,
Aufgabe von Identifikationen, Ernüchterung, Desorientierungen.
Kap. 6) führt zu neuen lebensgeschichtlichen Anlangen. Im abschließenden
Kap. 7 wird die entscheidende Bedeutung der pastoralen Leitung
in diesem Prozeß herausgearbeitet. Wohl erwachsen Glaube und
Selbst aus dem Wirken des Geistes Gottes in uns (61). Die Gemeinschaft
aber vermag einen sicheren Raum zu gewähren, in dem Menschen
ihre Lebensaufgabe bewältigen können; die pastorale Gemeindeleitung
als Team ist eine zwar nicht hinreichende, aber notwendige
Bedingung für die Bildung und Erhaltung der Kirche.

Fowlers Entwurf ist konkret und anregend, wobei er die dem Europäer
gewohnte begriffliche Schärfe (etwa in der Zuordnung von weltlichem
und geistlichem Handeln im Rahmen von Luthers Zwei-
Regimenten-Lehre,' im Verhältnis von Theologie, neuzeitlichem
Christentum und Kirche als dem Subjekt der Praktischen Theologie,
im Verhältnis von Entwicklungslogik und rechtfertigendem Handeln
Gottes) zugunsten einer mehr anschaulich-konkreten Denkweise vermissen
läßt. So bleiben Fragen, die aber geeignet sind, ein produktives
Gespräch mit der Praktischen Theologie in den Vereinigten Staaten
zu eröffnen.

München Hans-Jürgen Fraas