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Ausgabe:

1989

Spalte:

914

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Philosophisches Wörterbuch 1989

Rezensent:

Marschner, Ralf

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klärung oder von wirkungsgeschichtlichen, das Jahrhundert übergreifenden
Zusammenhängen vorzunehmen. Sie bietet aber auch kein
Einheitsbild der Philosophie des 17. Jahrhunderts, sondern eine
Reihe von Abhandlungen, deren thematische Geschlossenheit nur bei
den Kapiteln, die einem bestimmten Denker gewidmet sind, selbstverständlich
ist" (Gesamtvorwort, S XVIII).

Die im alten Ueberweg angelegte Gliederung in Primärbiblio-
graphic, Biographie, Werkbeschreibung, Doxographie. Wirkungsgeschichte
und Sekundärliteratur, die den Forderungen nach Materialfülle
und Objektivität Rechnung trägt, wird bei bedeutenden
Autoren voll entwickelt, bei sog. minores wird Wirkung und Doxographie
zusammengezogen, die Werkbeschreibung entfällt. Die Werkbeschreibungen
fallen unterschiedlich aus: die Beschreibung der
Werke John Lockcs durch Reinhard Brandt ist wohl vorbildlich;
weniger zu überzeugen vermögen mich z. B. die Beschreibungen der
Werke Cudworths. Die Primärbibliographien stellen z. T. originale
Leistungen dar (z. B. diejenige zu Hobbes oder diejenige zur Kontro-
verslitcratur über John Locke) und beeindrucken durch die Fülle der
Information: Fast durchweg sind die Seitenzahlen angegeben, manchmal
auch das Format. Daß dabei nicht immer dieselben Richtlinien
angewendet wurden, zeigt sich etwa bei einem an zwei Orten angeführten
identischen Werk: Wilkins "Essay Towards a Real Charac-
ter" (S. 315, S. 430). In Werkbeschreibung und Doxographie stören
die unvermeidbaren Doppelspurigkciten kaum, denn diese Philoso-
phicgcschichte ist ein Nachschlagewerk, keine Monographie, die man
in einem Zuge durchzulesen pflegt. Auf den Handbuchcharakter ist es
zurückzuführen, daß einige Doxographicn schematisch und philosophisch
uninteressant ausfallen oder daß Verständlichkeit und Zusammenhang
der Knappheit geopfert werden: z. B. bei der Doxographie
zu Walter Charleton. Die Wirkungsgeschichtc ist naturgemäß sehr
unterschiedlich zu lesen. Auch hier wieder ist diejenige von R. Brandt
zu John Locke hervorstechend, während diejenige zu Hobbes' Wirkung
wohl eher zu langatmig ausgefallen ist. Die Angaben zur Sekundärliteratur
beanspruchen keinerlei Vollständigkeit, sprengen aber in
drei Hinsichten den Rahmen des Üblichen: Sie enthalten viele Publikationen
aus dem Sprachgebiet des Autors (oft: englisch oder französisch
), die dem deutschsprachigen Leser wohl nicht so bekannt sind.
Jeder Titel ist mit Seitcnzahlangabe versehen, so daß man Gewicht
und Ausführlichkeit besser abschätzen kann. Zudem sind die Titel
vielerorts mit Kurzkommentaren versehen. Bei allem Verständnis für
die im Gesamtvorwort angeführten Gründe (S. XIX) wäre es
wünschenswert gewesen, neben dem Namen- ein Sachregister anzufügen
, in dem termini technici aufgeführt sind, die in der fraglichen
Periode entstanden (z. B. "plastic nature": S. 214) oder von besonderer
begriffsgeschichtlicher Bedeutung sind (z. B. ..primäre Qualitäten
"). Ebenso hätte das Personenregister, das auch Namen von Gruppierungen
enthält, etwas extensiver gestaltet werden können: So
fehlen z. B. die Backloisten. Man hätte auch hier die interessanten
Bemerkungen über die Bezeichnung „Deist" (S. 231, 778) oder
..Matenalist" aufnehmen können.

Die vorliegende Philosophiegeschichte kann schon jetzt als Standardwerk
gelten, das unverzichtbar für den Historiker (nicht nur den
Philosophiehistoriker) des 17. Jh. ist. Dieser findet nicht nur das
historische Material vor. sondern es werden zudem auch eher unübliche
Themen erörtert: so etwa die Schulphilosophie, für die es
charakteristisch ist. daß die Universitäten in Schottland weitaus progressiver
sind - d. h. Ramus und Dcscartes rezipieren -. als etwa die
Universität in Oxford, die sehr orthodox ist, obwohl doch in Oxford
der Tew Circle und der Oxford Experimental Philosophy Club residierten
. Er wird auch über die Reaktion auf die neue Naturwissenschaft
, über das emprisch-politische Denken, über „Freunde und
Bekannte von Hobbes" (Par. 7), über eine bislang wenig bekannte
philosophische Debatte über die Seele (Par. 31) oder über Forschungslücken
(z. B. S. 372) informiert. Für den Kirchen- und Dogmenhistoriker
wird sie ebenfalls von Nutzen sein: Nicht nur wird er in einem
gesonderten Kapitel über die dogmatische Entwicklung informiert

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(Kap. 2: Glaube, Vernunft. Erleuchtung), sondern er erfährt auch
einiges über unbedeutendere Gruppierungen: z. B. über Familisten,
Brownisten, Diggers, Muggletonianern oder Backloisten. welche z. B.
eigene Pläne zur Errichtung einer ökumenischen Kirche in England
verfolgten. Von besonderem Interesse für die Theologie scheinen mir
folgende Topoi zu sein: das Verhältnis von Protestantismus und
Piatonismus, Deismus (hier vor allem die Korrektur des verbreiteten
Bildes, daß Herbert von Cherbury „Vater des Deismus" genannt
wird), die Darstellung von Newtons religiösen Auffassungen (ariani-
scher Monotheist) und die Frage, weshalb die neue Naturwissenschaft
■so wenig mit der Theologie in Konflikt geriet.

Man wünscht dem ausgezeichneten und übersichtlichen Werk eine
weite Verbreitung: In theologischen Bibliotheken darf es jedenfalls
ebensowenig fehlen wie in philosophischen.

Zürich Peter Schultfiess

Müller, Max, u. Alois Halder [Hg.]: Philosophisches Wörterbuch.

Neubearb. des unter Mitarb. von H. Brockard. S. Müller u. W.
Welsch hg. Kleinen Philosophischen Wörterbuchs. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1988. 399 S. kl. 8* = Herder-Taschenbuch.
1579. Kart. DM 19,80.

Ein Wörterbuch, das auf fast 400 Seiten zu allen wesentlichen
Fragen der Philosophie informieren möchte, ist überfordert, wenn
man eine erschöpfende Antwort erwartet oder gar Vollständigkeit erhofft
. So kann es nicht wundern, wenn auch dieses bereits bewährte
Nachschlagewerk Lücken aufweist. Beispielsweise sind im sozialphilosophischen
Bereich Desiderata festzustellen (Max Weber wird
nicht erwähnt, auch Niklas Luhmann erhält keinen Artikel, ebenso ist
die Darstellung des Marxismus nicht frei von Klischees). Daß allerdings
Philosophen wie Paul Ricoeur oder Claude Levi-Strauss nicht
verzeichnet sind, entspricht weder dem Werk dieser Denker noch der
breiten Ausgestaltung dieses Wörterbuches, das auch Namen wie Carl
Gustav Jung, Karl Rahner oder Paul Tillich kennt. Dagegen sind
Namen wie Nikolaus von Kues oder Philo von Alexandrien nicht aufgenommen
, was die Frage nach einer zeitlichen und sachlichen Abgrenzung
aufwirft.

Dennoch ist dieses Lexikon erstaunlich in jeder Hinsicht. Erstaunlich
ist die Fülle der Artikel (Personen- und Bcgriffsartikel sowie
Artikel über einzelne philosophische Richtungen), erstaunlich ist die
Dichte der Informationen (Daten, Zusammenhänge. Literaturhinweise
), das Erstaunlichste aber dürfte die gute didaktische Aufbereitung
und die damit erreichte Lesbarkeit dieses Werkes sein. Nicht
erstaunlich ist daher, daß dieses Taschenbuch seit seiner Erstveröffentlichung
vor 30 Jahren zahlreiche Leser gefunden hat und
auch weiter finden wird. Die neu beigegebenen Überblickstafeln sowie
vielfältige Aktualisierungen und Erweiterungen erhöhen den Informationswert
dieses Buches erheblich.

Leipzig RalfMarschner

Systematische Theologie: Dogmatik

Smith. Francis R.: The God Quvstion. A Catholic Approach. New
York-Mahwah: Paulist 1988. X. 240 S. gr. 8'.

Eine Einführung in die katholische Theologie für Studierende mit
einem minimalen theologischen Hintergrund wird vor allem die
interessieren, die in der theologischen Ausbildung mitarbeiten. Wir
bemerken ja alle, wie auch in unserem gesellschaftlichen und kirchlichen
Umfeld dieser theologische Hintergrund, religiöses Wissen wie'
die Vertrautheit mit grundlegenden Texten der Bibel wie unserer
Tradition immer weniger vorausgesetzt werden kann. Darum wird
gerade das didaktische Vorgehen, Methode wie Auswahl des Stoffes,
die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vorweg sei gesagt: Das flüssig geschriebene
Buch gibt zuverlässige Information: nur einmal ist mir ein

Theologische Literaturzeitung I 14. Jahrgang 1989 Nr. 12