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Ausgabe:

1989

Spalte:

901-902

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Anabaptistes et dissidents au XVIe siècle 1989

Rezensent:

Goertz, Hans-Jürgen

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung I 14. Jahrgang 1989 Nr. 12

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werden; sie falle aus dem Rahmen. (3, 139, 144, 147) In ihr erscheint
die menschliche Vernunft als unverdorben. (145)

In den Kap. 7 (Salvation) und Kap. 8 (Word) werden die Begriffe
..Evangelium" und „Predigt" eingehend erörtert. Das Fehlen des
Zornes Gottes (nicht der Verwerfung) bleibt unerwähnt. Der neue
Sakramentsbegriff vom Herbst 1525 wird ausführlich vorgeführt.
(Kap. 9) Besondere Mühe ist auf die langsam erfolgende Füllung des
Begriffs beim späten Zwingli verwandt. (190-193, vgl. 250-253) Der
Abschnitt verdient besondere Beachtung.

In den Abschnitten über die Taufe (Kap. 10) und das Abendmahl
iKap. II) ändert der Vf. die Darstellungsmethode: Er bietet nun
Inhaltsangaben der einzelnen Schriften in chronologischer Folge. Die
Darstellung wird dadurch sehr breit. Die Erörterung der Sekundärliteratur
wandert nun in die Additional Notes. (255-257) Zwingiis Lehre
von Kirche und Ami (Kap. 12) und Obrigkeit (Kap. 13) bilden den
Abschluß.

Mit diesem Werk liegt endlich eine, der heutigen wissenschaftlichen
Diskussion entsprechende, ausführliche Theologie Zwingiis vor. Dies
ist dem Vf. zu danken. Die Tauf- und Abendmahlslehre könnte stärker
durchreflektiert sein. Auch würden Längsschnitte wie z. B. eine
Darstellung der Lehre vom Bund das Werk bereichern. Fünf Indices
erschließen das Buch.

Münster Wilhelm H. Neuser

Rott, Jean-Georges, und Simon L. Verheus [Ed.]. Täufcrtum und
radikale Reformation im 16. Jahrhundert. Akten des internationalen
Kolloquiums für Täufergeschichte des 16. Jahrhunderts, gehalten
in Verbindung mit der XI. Mennonitischen Weltkonferenz in
Straßbourg, Juli 1984. [Vollst. Titel auch franz. u. engl.)- Baden-
Baden - Bouxwiller: Kocrner 1987. 494 S. m. 26 Abb. gr. 8* =
Bibliothcca Dissidentium Scripta et Studia, 3. Kart. DM 200,-.

In Verbindung mit der Mennonitischen Weltkonferenz, die im Juli
1984 in Straßburg abgehalten wurde, fand eine wissenschaftliche
Konferenz zur Erforschung des Täufertums und der Radikalen Reformation
statt. Die Beiträge, von einem internationalen Forscherkreis
zusammengetragen, wurden inzwischen in einem umfangreichen,
mehrsprachigen Sammelband vereinigt und der Öffentlichkeit vorgestellt
. Die Themen der Vorträge sind weitgestreut: von den radikalen
Hussiten der vorreformatorischen Zeit (A. Molnär) über die Anfänge
des Schweizer Täufertums im Gefügc der Reformation des Gemeinen
Mannes (W.O. Packull), die Theologie Bernhard Rothmanns
(M. Brecht). Täufer in Flandern (F. Planquc) und die religiöse Vielfalt
in den Niederlanden (W. Bergsma) bis zu den Verdammungen der
Täufer in der Confessio Augustana (M. Lienhard). Das ist aus der
Reihe der 33 Autoren nur eine kleine Auswahl. Mit Mühe und Not
konnten die Beiträge geordnet werden, so daß eine schnelle Orientierung
zur Vorgeschichte, Theologie, zu geographischen Schwerpunkten
und zu einigen Kontroversen möglich ist.

Die Beiträge sind unterschiedlich gearbeitet: einige Autoren tragen
neue Forschungsergebnisse vor, z. B. S. Bräuer über Thomas Müntzers
Allstedter Bund. S. Hoyer über Nikolaus Storch und seine
Anhänger in Zwickau, G. W. Locher über die Abschiedsworte des
Felix Mantz. W. Lassmann über das Tiroler Täufertum. Andere fassen
ihre bisherigen Ergebnisse noch einmal zusammen oder weiten sie
aus: z. B. A. F. Mellink über das Täuferzentrum Amsterdam nach
1535, P. C. Erb über Schwenckfeld und die Täufer. D. Liechty über
die Sabbatarier im osteuropäischen Täufcrtum, N. Blough über
Marpcck und Schwenckfeld. Zahlreiche Beiträge beschäftigen sich
verständlicherweise mit Straßburger Themen: J.-G. Rott mit dem
elsässischen Bauernkrieg, und den Täufern, Rene Gerber mit den
Täufern in Straßburg nach 1536, D. Husser mit Täufern und
Schwenckfcldcrn in Straßburg, Marijn de Kroon und B. Roussel mit
Martin Bucer.

Auch bei den Mennoniten ist die Zeit vorbei, daß zu solchen Konferenzen
nur mennonitische oder täuferfreundliche Forscher eingeladen

werden. Unter den Autoren befinden sich mennonitische, reformierte,
baptistische und lutherische Theologen bzw. Kirchenhistoriker,
ebenso Profanhistoriker verschiedener Herkunft, Marxisten aus dem
Osten genauso wie Agnostiker oder konfessionell gebundene Wissen-
schaltlerausdem Westen.

Dieser Sammelband ist keine Standortbestimmung der Täufer- und
Radikalenforschung: er markiert auch keinen programmatischen
Aufbruch. Er gewährt aber einen interessanten Einblick in die Vielfalt
der Themen, die im, Augenblick bearbeitet werden. Vielleicht zeigt er
auch an, daß das Forschungsinteresse dabei ist. sich vom frühen
Täufertum auf die späteren Generationen zu verlagern.

Hamburg Hans-Jürgen Goertz

Heller, Henry. The Conquest of Poverty. The Calvinist Revolt in
Sixteenth Century France. Leiden: Brill 1986. XIV. 281 S. gr. 8* =
SMRT,35. Lw. hfl 98.-.

Man hat ein Buch vor sich, das die Außenseite der Reformation in
Frankreich beschreibt. Wer nach der Innenseite reformatorischer Entwicklung
fragen will, muß das anderswo tun. Weder die Theologie
Calvins noch die des großen Theologen und Humanisten Faber
Stapulensis, noch die des hochgelehrten Erasmus werden in extenso
vorgeführt, auch nicht in der jeweiligen Wirkungsgeschichte in den
Kulturzentren Frankreichs. Bisweilen gibt es nur summarische
Bemerkungen, daß die Werke von Lefevre d'Etaples und des Erasmus
den Weg für die Luther- und Zwingli-Rezeption geöffnet haben (III),
aber über die Sozialgeschichte im Vorfeld oder Umfeld der Reformation
in Frankreich erfährt man viel.

Der Vf. nimmt einschlägige Werke auf und verbreitert das Spektrum
. Er meint, sicher nicht nur im Blick auf die Reformationsgeschichte
in und um den im 16. Jh. wichtigen Ort Meaux, daß es
erstaunlich sei, wie wenig es die Historiker bisher verstanden hätten,
die soziale Rolle der Kirche als Institution einzuschätzen (47). Wenn
sie diese Rolle angemessen gewürdigt hätten, dann nicht im Zusammenhang
mit den Gründen für das Entstehen der Reformation. Es sei
eine, neue wissenschaftliche Hochschätzung aufgekommen für den
Gegensatz zwischen theologischen Perspektiven und der Praxis alter
und neuer Religion. Gleicherweise gäbe es nun aber auch ein wachsendes
Verständnis fürdie sozialen Machtkonstellationen "bchind the
Reformation"(a. a. O.).

Heller, der offenbar in Kanada lebt und für die Unterstützung "by
the Social Sciences and Humanities Research Council of Canada"
dankt (VII), setzt sich mit einer Reihe einschlägig arbeitender
Forscher auseinander, auch mit einem der Klassiker der französischen
Kirchengeschichtsschreibung. Imbart de la Tour, dem er vorwirft,
zwar die Beziehung zwischen Kirche als Institution und der aristokratischen
Sozialordnung zu sehen, aber unglücklicherweise diese
Perspektive nicht /u übertragen in die Analyse der Reformation
selbst. (47)

Der ganze Band führt seinen Leser heran an die gesellschaftlichen
Voraussetzungen für das Entstehen des humanistisch getränkten
Calvinismus in Frankreich. Sieben Zentren des seit dem dritten Jahrzehnt
des 16. Jh. sich herausbildenden Protestantismus werden mehr
ins Blickfeld gerückt. Es handelt sich um die Sozialgeschichte von
Roucn (1-26). Meaux (27-69), wo der vielbeachtete Bischof
Briconnet seit 1516 wirkte (33ff). Agen (70-110), Troyes (142-175).
Poitiers (176-203), Valence an der Rhöhne. südlich von Lyon
(204-233) und Tours, welches nicht in einem geschlossenen Kapitel
dargestellt wird (s. dazu im Register 276).

Der Vf.. der gründliche Einzclstudien über die Kirchengeschichte
der genannten Orte gemacht hat (259-261). geht dem französischen
Calvinismus von den Tagen Lefevres, als französische Protestanten
noch undifferenziert «Luthericnsde Meaux»(27) genannt wurden, bis
zum Beginn der Hugenottenkriege nach. Der anfangs mit viel Sozial-
engagement in Sacheinheit mit Kritik an Wesen und Lehre des Katholizismus
einhergehende reformerisch-reformatorische Aufbruch in