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Ausgabe:

1989

Spalte:

900-901

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stephens, William P.

Titel/Untertitel:

The theology of Huldrych Zwingli 1989

Rezensent:

Neuser, Wilhelm H.

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899

Theologische Literaturzeitung I 14. Jahrgang 1989 Nr. 12

900

Innsbrucker Seminars über «Origene et Plotin» (430-435 des Kongreßbandes
) vorbeigehen können. Hier werden zunächst die Ursachen
für die Aporien der augenblicklichen Forschungslagc aufgezahlt: Die
von Henri de Valois im 17. Jh. aufgebrachte Hypothese des „heidnischen
Origenes" samt allen irritierenden Folgen und andererseits
leiderauch die mangelnde Kenntnis, die Plotinspezialisten im Durchschnitt
von dem Theologen Origenes zu besitzen pflegen. In Innsbruck
hat man wenigstens einen Katalog noch zu absolvierender
Untersuchungen über das Profil der Lehre des Ammonios Sakkas,
seinen Einfluß auf Plotin, über die Unterscheidung zwischen dem
Einfluß des Origenes (über Ambrosius) und dem des Plotin auf Augustinus
sowie dem des ersteren auf den Origenismus und Antiorigenis-
mus nach Origenes aufgestellt, um so erst einmal eine sichere Basis für
den Vergleich des Umgangs von Christen und NichtChristen mit der
gleichen philosophischen (nämlich platonischen) Tradition zu legen.
In Innsbruck selbst hat man Origenes und Plotin in einer Lektüre von
Texten aus der 6. Enneade verglichen, deren Ergebnisse Crouzel in 18
Thesen festgehalten hat. Soweit ich sehe, wird man Ähnlichkeit und
Differenz der beiden großen Lehrer in gleicher Knappheit und Verläßlichkeit
kaum anderswo dargestellt finden.

Der entscheidende funkt steht schon in der 2. These: der Vergleich der
hypostatischen Trinität des Origenes mit Plotins Hcn, Nus. Psyche. Crouzel
unterstreicht mit Recht, daß dieser Vergleich auf jeden Fall die Inkongruenz an
den Tag hringt. daß Plotins Weltseele allenfalls mit der Zentralstellung der Seele
Christi, aher eben nicht mit seiner Lehre vom Heiligen Geist in Analogie gesetzt
werden kann, ein Tatbestand, der sehr genau der Selbsteinschätzung des Origenes
in Pcri Archon 1 3.1 entspricht. Für mich wirft das freilich die in Innbruek
nicht behandelte Frage auf: Was lernen wir über die Bedeutung des Wortes
Hypostase, wenn es von Origenes und Plotin offenkundig in so gänzlich verschiedenem
Sinn gebraucht worden ist? Denn wenn wir des Origenes Verständnis
von Hypostase zugrunde legen, dann hat Plotin eine Einhypostasenlehre
vertreten und darum auch in Fnn. II 9 gegen jede Vermehrung der Hypostasen
polemisiert. Was aber hat dann Porphyrius bewogen, die 3-Hypostasen-
Tcrminologie in seine Fdition der Schriften Plotins einzuführen?

Wem kann es verborgen bleiben, daß wir hier wieder bei jenen
schwerwiegenden Aufgaben angelangt sind, denen eine künftige
Dogmengeschichte der Alten Kirche sich gegenüber sieht. Auf jeden
Fall müssen wir brechen mit der in der Nach-Harnack-Ära festgehaltenen
Vorstellung: Der ganze arianische Streit sei, wie man heute gern
sagt, eigentlich ein Streit um Einhypostascn- oder Dreihypostasentheologie
gewesen, und da 381 die letztere das Feld behauptete, so sei
das Ganze auf einen Kompromiß zwischen Homoousie und Ökonomie
hinausgelaufen, möglich gemacht durch die allmählich sich
durchsetzende Distinktion zwischen Usia und Hypostasen. Man
mochte sich demgegenüber schon immer fragen, wieso die triviale
Unterscheidung des Allgemeinen (Usia) und Besonderen (Hypostase)
in Gott ein Menschcnalter härtester Kämpfe bedurfte, um durchgesetzt
zu werden. Der kurze, aber ganz neue Perspektiven eröffnende
Beitrag des bekannten Athanasiusspezialisten Kannengiesser ,.Origenes
im christlichen Abendland bis zur Reformation" (465fT) tritt in
entschiedenste Opposition gegen alle Vorstellungen von Origenes'
Hypostasenlehrc als dem siegreichen Mittelweg, auf dem sich Altnizä-
ncr und Jungnizäncr 381 hätten treffen können. Kannengiesscrs
Gegenthese ist der Hinweis auf die unbestreitbare Tatsache, daß sich
Athanasius für seine Logoslehre im entscheidenden Augenblick des
Kampfes für Nizäa gerade auf Origenes berufen habe. Die gelehrte
Gewohnheit, von Origenes gleich zu den Kappadoziern überzuspringen
, habe „die sehr merkwürdige Inkarnationslehre des Athanasius,
die von Origenes in allen ihren Zügen abhängt", verfehlt.

Welch merkwürdige Unterstützung für den schon vor einem
Menschenalter von einem russisch-orthodoxen Theologen erhobenen
Einspruch gegen das selbstverständlich gewordene Bild vom Kompromiß
dereinen Usia und den drei Hypostasen. Es war Pavel Florenskij,
der schon 1914 in seinem „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit"
gegen die Fehlinterpretation der Kappadozier geltend machte, daß
auch für sie Homoousie nicht eine begriffliche Allgemeinheit, sondern

ein überbegriffliches Mysterium bedeutete, ganz gleich, ob man sie
von Usia oder von den Hypostasen aus betrachtete.

Mit dieser Frage entläßt uns der von dem - auch durch seine eigenen
Origenesstudien allen Experten bekannte - Innsbrucker Gelehrten
Lothar Lies sorgfältig edierte, gewichtige Band: Welche Konsequenzen
hat es für unser Verständnis der Dogmengeschichte des
4. Jh., wenn wir die Kappadozier als Erben des Athanasius, diesen
aber als einen Interpreten der Tradition des Origenes ernst zu nehmen
haben?

Berlin Wolfgang Ulimann

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Stephens, W. P.: The Theology of Huldrych Zwingli. Oxford: Clarendon
1986. XIII, 348 S. 8". Kart. £ 9.95.

Als Ziel gibt der Vf. an, Zwingli „in seinem eigenen Licht" zu
zeigen, nicht in dem Luthers oder Calvins (1,3). Er stellt fest, daß die
bisherigen Untersuchungen sehr variieren und von den Methoden und
Voraussetzungen der Interpreten abhängig sind. (2) Mit einer unvoreingenommenen
Darstellung verfolgt der Vf. ein hohes Ziel. Erreicht
er es? Er weist zugleich auf die Vorläufigkeit seines Buches hin. weil
noch mehrere C?ue 11cn unediert sind und Zwingiis Rückgriffe auf die
Kirchenväter usw. noch weiter Klärung bedürfen (4,8, 2 I).

Angesichts des umfangreichen, viele Einzelheiten berücksichtigenden
Werkes kann der Rez. nur eine Einführung geben und auf einige
besonders hervorstechende Urteile und Stellungnahmen hinweisen.

In Kap. I wird das Leben Zwingiis als Kontext seiner Theologie
behandelt. In diesem Kapitel fällt der Vf. notgedrungen Vorentscheidungen
. Er spricht sich für die Spätdatierung des Durchbruchs zur
Reformation aus: Vor 1522 ist Zwingli noch nicht voll reformatorisch
. (5, I 1) Er führt das bekannte Material vor, hält abcrein Urteil
über die entscheidenden Fakten, die Zwingli zur Reformation führten,
angesichts der schlechten Ouellenlage nicht lür möglich. (26) Einen
entscheidenen Einlluß Luthers lehnt er ab. (45) Daher spricht er von
weiterführenden Stufen, wie z. B. Zwingiis Seelsorgebrief vom 24. Juli
1520. (28)

Er unterscheidet zwischen dem Einlluß des Humanismus und dem
des Erasmus. (I I) Ein Vergleich des Fnchiridions mit Zwingiis Schriften
zeigt Ubereinstimmungen wie auch Nichtübereinstimmungen.
(13-17) Der Vf. verfolgt hier einen beachtenswerten Weg. um Zwing-
lis Eigenart herauszuarbeiten. Zwingli habe auch im Fraumünster die
Psalmen ausgelegt. (29) Woher stammt diese Angabe?

Im Kap. 2 wird Zwingiis Bibelverständnis ausführlich erörtert. Zur
Inspirationslehre heißt es. Zwingli habe sich nicht an den Widersprüchen
in den Evangelien gestoßen, da der Glaube von ihnen nicht
abhinge. Im allgemeinen werden sie aber als nur scheinbare aufgelöst,
da der Hl. Geist sich nicht widerspreche. (56) Einen Kanon im Kanon
(wie Luther) kenne Zwingli nicht; er rekurriere auf die ganze Hl.
Schrift. (56) Burkhardts Entdeckung, daß das „innere Wort" erst seit
dem Herbst 1524 bei Zwingli auftauche, bleibt unerwähnt. Zur gleichen
Zeit erhält Zwingli Hoens Abendmahlsbrief.

In der Gotteslehre (Kai). Ji sei Zwingiis Hauptbegriff „summum
bonum" mehr biblisch als philosophisch. (85) Der Vf. folgt dem Urteil
G. W. Lochers. (81, Anm. 6); der Rez. vermag ihm hierin nicht zu
folgen. In diesem Kapitel wird auch die Prädestinationsichre behandelt
. Die Aussagen über die sichtbaren Zeichen der Erwählung werden
zusammengestellt. (104ff)

Mit gleicher Sorgfalt wird in Kap. 4 die Christologie dargestellt.
Zwingli unterstreicht die Gottheit Christi. (III) Hingegen ist der
Abschnitt über den ///. Geist nur kurz. (Kap. 5) Die Lehre vom
Menschen (Kap. 6) enthält biblische und neuplatonische Elemente,
erstere dominieren. (139, 142) Der Vf. wiederholt seine These, Zwing-
lis Theologie dürfe nicht von der Schrift „De Providentia" hergeschen