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Ausgabe:

1989

Spalte:

891-893

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Green, Joel B.

Titel/Untertitel:

The death of Jesus 1989

Rezensent:

Feldmeier, Reinhard

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 12

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Green, Joel B.: The Death of Jesus. Tradition and Interpretation in
the Passion Narrative. Tübingen: Mohr 1988. XVI, 351 S. gr. 8° =
WUNT, 2. Reihe, 33. Kart. DM 98,-.

Wie der Titel des Buches bereits andeutet, geht es dem Vf. der 1985
bei I. H. Marshai in Aberdeen angenommenen Dissertation um die
Deutung des Todes Jesu. Ausgehend von M. Hengeis These, daß die
Deutung des Todes Jesu im Kern auf die von diesem selbst beim
Abendmahl gegebene sühnetheologische Deutung zurückgehe, fragt
Green, inwieweit sich dies in der ältesten Passionserzählung verifizieren
läßt. Dieses Vorhaben bedingt die Zweiteilung der Arbeit: Ein
erster und ausführlicherer Teil versucht, diese älteste Passionserzählung
so weit wie möglich zu rekonstruieren, während der zweite Teil
nach deren Deutung des Todes Jesu fragt.

Angesichts der großen Schwierigkeiten, mit literarkritischen und
redaktionsgeschichtlichen Methoden im Markusevangelium Tradition
und Redaktion zu scheiden und so die vormarkinische Passionsgeschichte
zu rekonstruieren, versucht der Vf. einen anderen Weg.
Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß sich die vier Evangelien in den
Passionsgeschichten am engsten berühren, andererseits aber die
bemerkenswerte Eigenständigkeit nicht nur der Johannespassion,
sondern auch der lukanischen Leidensgeschichte dazu nötige, die
Frage nach beider Quellen neu zu stellen. Dies tut Green im Folgenden
. Für Matthäus kommt er zu dem Ergebnis, daß hier die Passion
des Markus überarbeitet und an einigen Stellen mit Sondergut angereichert
wurde, ihm aber keine eigene Sonderquelle vorlag. Dagegen
sei die Frage bei der Lukaspassion wegen zahlreicher Unterschiede,
struktureller Abweichungen und der im Verhältnis zur sonstigen
Parallelüberlieferung auffallend wenigen wörtlichen Ubereinstimmungen
„unendlich" komplizierter. In einem detaillierten Einzelvergleich
der parallelen Perikopen von Lk 22,1-23,56a und
Mk 14,1-16,1 stellt Green fest, daß Lukas neben Markus noch zahlreiches
zusätzliches Material habe, das nicht einfach aus seiner
Redaktion erklärt werden könne. Schon die Tatsache, daß sich in diesem
Material häufig Berührungen mit der Johannespassion zeigen, die
von den Synoptikern unabhängig sei, lege die Vermutung nahe, daß es
sich nicht um Einzeltexte handle, sondern daß Lukas in seiner Passionsgeschichte
neben Markus noch eine weitere durchlaufende
Quelle benutzt habe. Dafür spräche weiter, daß auch in den mit Markus
parallelen Erzählungen fast durchweg (bis auf zwei Ausnahmen)
Einfluß einer nichtmarkinischen Tradition spürbar sei, und gerade bei
den meisten dieser Erzählungen sei eine isolierte Überlieferung
schwer vorstellbar. Daher geht Green davon aus (und stellt dies in
einem Appendix auch graphisch dar), daß dem dritten Evangelisten
neben Markus noch eine weitere, durchgängige Passionserzählung
vorlag, die jedoch von ihm stark überarbeitet und daher nicht präzis
rekonstruierbar sei.

Ebenso weist Green an der Johannespassion die Aporien der bisherigen
Auslegung auf, um dann anhand von drei "test cases" zu zeigen
, daß auch dieser Text nicht als Redaktion des Markusevangeliums
zu erklären sei. folglich auch für Joh 11,45-13,38; 18,1-19,42 die
Existenz einer eigenen, zu Markus parallel aufgebauten Passionserzählung
vorauszusetzen sei.

Wegen der erwähnten Schwierigkeiten bei der Vorlage des Markusevangeliums
beschränkt sich Green auf den Nachweis, daß Markus
seine Quellen nicht harmonisiert habe. Daraus schließt er im Anschluß
an R. Pesch, daß der Evangelist ein „konservativer Redaktor"
sei. Zwar könne man daraus noch nicht folgern, daß Markus die
gesamte Passionserzählung weitgehend unverändert übernommen
habe; angesichts ihres inneren Zusammenhanges und ihrer relativen
Eigenständigkeit gegenüber dem übrigen Evangelium sei jedoch davon
auszugchen, daß Mk 14f im wesentlichen auf eine vormarkinische
Passionsgeschichte zurückgehe. Unterstützt wird dies durch die
formgeschichtliche Beobachtung, daß die meisten Perikopen der Passionserzählung
voncigander abhängig sind und durch die Herauslösung
aus ihrem Kontext ihren Sinn verlieren. Das spreche für eine

frühe zusammenhängende Passionserzählung, deren Entstehung und
Sitz im Leben im Abendmahl zu suchen sei.

Im zweiten Teil vergleicht Green nun zunächst Perikope für Peri-
kope die von ihm herausgearbeiteten Quellen, um so den Umfang und
die theologischen Leitlinien der ältesten Passionserzählung herauszuarbeiten
, die dann in einem Schlußkapitel zu einer Gesamtschau
zusammengefaßt werden. Das Ergebnis dieser Untersuchung, die
letztlich eine modifizierte Markuspassion als älteste identifiziert, ist
Greens Einsicht, daß ein Bündel von deutenden Motiven nachweisbar
sei: so das der Selbsthingabe, des leidenden Gerechten, des Gottesknechtes
, des gekreuzigten Messias, des Märtyrerpropheten, der Deutung
des Kreuzes als kosmisches Ereignis und als Wendepunkt der
Heilsgeschichte, als Sühnetod und als Ertragen des Gottesgerichtes.
Diese Motive seien alle in jeweils unterschiedlichem Maß bestimmend
und könnten nicht einem Hauptthema untergeordnet werden:
"The narrative of Jesus' suffering and death presents no monolithic
interpretive picture" (314). Lediglich die Deutung, daß Jesu Tod entscheidend
in Gottes Heilsplan gewesen sei, könne als ein "overar-
ching, organizing theme" gelten: "According to the passion aecount,
why did Jesus die? Because God willed it. It was necessary in God's
salvific plan" (315).

Es ist ohne Zweifel ein Verdienst dieser Arbeit, daß sie das Problem
der Quellen der Passionserzählung gründlich angeht. Sie gibt einen
guten Überblick über die Quellenlagc und deren Diskussion, zeigt die
Aporien gängiger Erklärungsversuche auf und verhindert so allzu einfache
Lösungen. Hilfreich ist auch die übersichtliche Darstellung der
einzelnen, die Passionserzählung prägenden Motive. Anzuerkennen
ist, daß der Vf. bei der Formulierung seiner eigenen Ergebnisse mit der
gebotenen Vorsicht vorgeht.

Dennoch muß sich die Arbeit kritische Anfragen gefallen lassen.
Grundsätzlich fällt auf, daß die nicht immer eindeutig interpretierbaren
Unterschiede zwischen den Evangelien relativ großzügig auf
verschiedene Quellen zurückgeführt werden, über deren Herkunft
und Verhältnis zueinander man dann kaum etwas erfährt. Fragwürdig
ist weiter, wenn der Vf. aus einem doch recht schmalen Textvergleich
weitreichende und umstrittene Folgerungen zieht (wie etwa die literarische
Unabhängigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern
), die dann lürdie Arbeit tragende Funktion haben (in diesem Fall
als Voraussetzung für die Rekonstruktion einer vorjohanneischen
Passionserzählung, die dann ja wiederum für die Vorlage des Lukas
oder die Rekonstruktion der ältesten Passionsgcschichtc herangezogen
wird). Diese Unsicherheit der Voraussetzungen hat natürlich Folgen
für das Vertrauen in die daraus gezogenen Konsequenzen. Fraglich
erscheint auch, ob man unter Umgehung der leidigen literarkritischen
und redaktionsgeschichtlichcn Fragen so weitreichende Konsequenzen
über die markinische Vorlage ziehen kann, wie dies Green
dann de facto im Schlußteil tut. Hinzu kommen Einzelentscheidungen
, die den Eindruck tendenziellen Vorgehens verstärken (wenn etwa
Lk 23,46 aus dem masoretischen Text abgeleitet und einer Sondcr-
quelle zugeschrieben wird, obgleich der gesamte Text bis auf die
kontextbedingte Änderung des Tempus wörtlich mit der LXX übereinstimmt
, oder wenn gegen das Urteil der meisten Fachleute die textkritische
Authentizität von Lk 22,431"; 23,34 behauptet wird). Dies
alles mindert die Überzeugungskrart des an sich durchaus interessanten
Versuches, nach zusammenhängenden Vorlagen für die Lukas-
und Johannespassion zu fragen.

Auch das von Green vorgetragene Ergebnis seiner Untersuchung
läßt Fragen ollen. Unabhängig von Einzelfragen bleibt es unbefriedigend
, wenn sich die Deutung des Todes Jesu auf die Auflistung deutender
Motive beschränkt und nicht deren Zusammenwirken in der
Passionserzählung deutlich macht. Was bedeutet es etwa, wenn Jesu
Passion als Ertragen des göttlichen Gerichtes dargestellt wurde? Kann
dieses Motiv nicht nur im Zusammenhang mit anderen deutenden
Motiven verstanden werden? Und wie beeinflussen sich die Motive
dabei gegenseitig?

Problematisch erscheint mir auch Greens Rede vom „göttlichen