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Ausgabe:

1989

Spalte:

890

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Uro, Risto

Titel/Untertitel:

Sheep among the wolves 1989

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1

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889

Theologische Literaturzeilung 114. Jahrgang 1989 Nr. 12

890

wegs gleichsam von selbst aus der Analyse, sondern erst aus einer
bestimmten, auch abgesehen von einer derartigen rhetorischen
Begründung erarbeiteten Wertung der urchristlichen Literatur als
weitgehend aus der Antithese entstanden. So werden denn alle angeschlagenen
Themen danach befragt, gegen welche Haltung sie sich
richten, und diese dann als in der Gemeinde in Thessalonich vorhanden
angenommen. Das betrifft die Haltung zur Situation der Verfolgung
, dem Tod von Gcmeindcglicdern, zur Parusie, zu den ekstatischen
Phänomenen, zur paulinischen Autorität und der der Ge-
meindeleitcr, zu den „Unordentlichen", zum sexuellen Leben und zur
Anthropologie. J. präzisiert und erweitert dieses-übrigens grundsätzlich
schon früher gezeichnete - Bild durch die Einbeziehung weiterer
Faktoren, die einerseits eine umfassende historische Bestandsaufnahme
der thessalonischen Gemeinde, andererseits moderne gesell-
schaftslheoretische Modelle bereitstellen. J, vermutet mit Blick auf
Act 17.5-9. daß der Vorwurf politischer Subversion gegen Jason nicht
aufgrund des paulinischen Wirkens erhoben worden sei, sondern
wegen Vorgängen bei Gemeindeversammlungen im Hause des Jason
nach der Abreise des Paulus; man kann nicht sagen, daß sich das
zwanglos aus Act oder auch der modernen Act-Kritik ergibt. Zur
sozialen Situation der Gemeindeglieder ist Sicheres kaum zu erkennen
; J. tendiert dahin, sie als sehr tief anzusetzen. Er identifiziert die
Gcmcindcglicder mit der ausgebeuteten und politisch entrechteten
Unterschicht der Stadt, der durch die Integration des Kabirus-Kultes
in die Ideologie des Establishments in der augusteischen Zeit die religiöse
Grundlage entzogen war. An dessen Stelle war das Christentum
getreten, das gleichzeitig wesentliche Elemente des Kabirus-Kultes
übernahm wie Ekstase, sexuelle Freiheit und drängende Erwartung
der Schicksalswende. Diese Annahmen sind freilich weitestgehend
hypothetisch und zum entscheidenden Teil schwerlich aus den Quellen
zu begründen. Das gilt bereits lür die Aufstellungen hinsichtlich
der sozialen Struktur der Gemeinde, vor allem aber für die sozialgeschichtliche
Rolle des Kabirus-Kultes in Thessalonich sowie die
Einflüsse von dort auf die werdende christliche Gemeinde. Die Quellen
selbst werden überhaupt nicht vorgeführt und diskutiert, nur die
Literatur über sie, die indessen keineswegs die Folgerungen enthält,
die J. zieht. Weder werden die chronologischen und die topographischen
Fragen hinreichend bedacht, noch wird das Problem der Größe
der Gemeinde und ihre Relation zur Gesamtbevölkerung sowie zu der
sozialen Schicht, der sie entstammt, erörtert.

Schließlich fragt J. danach, welches sozialwissenschaftliche Modell
der Gemeinde in Thessalonich entspricht. Nach Ausscheiden tradi-
tioncll-modernisiercndcr Modelle sowie Kritik an solchen, die von
der religionsgeschichtlichen Schule her bestimmt sind (Enthusiasmus,
Gnosis. Theiös-Aner-Vorstellung) entscheidet ersieh für das Millcna-
rium-Modell. Er gewinnt es aus der Literatur, in der vornehmlich entsprechende
Bewegungen der Neuzeit analysiert werden. Ihm entspricht
sowohl der Glaube als auch das Verhalten der Gcmeindcglie-
der; infiziert ist nach J. die Mehrheit der Gemeinde, die „Unordentlichen
" sind nur die extremen Exponenten dieser Position. Nicht erst
zur Zeit von 2Thcss herrschte der Glaube, schon in der angebrochenen
Heilszeit zu leben, sondern bereits vor Abfassung von IThess.
Nur ist die Gemeinde durch die andauernde Verfolgung sowie den
Tod von Gemeindegliedcrn verunsichert. I Thess, den Paulus in diese
Situation der Verunsicherung schreibt, vertieft nun aber den Glauben
der radikalen Anhänger des Millcniarismus, da er in ihrem Sinne mißverstanden
wird. Dem tritt 2Thcss entgegen.

Die Rekonstruktion der Situation in Thessalonich beruht auf der
summierenden Synthese bestimmter Anhaltspunkte, die sich aus der
Anwendung sehr unterschiedlicher Methoden ergeben. Freilich erhöht
in solchen Fällen die Summierung der Ergebnisse nicht die
Sicherheit des Endproduktes; das wäre nur bei deutlicher Konvergenz
der Einzclcrgcbnisse hin auf ein einheitlich von ihnen bezeugtes
Gesamtergebnis der Fall. Entscheidend bleibt ohnehin das primäre
Zeugnis des Briefes. Aus IThess aber läßt sich nicht erkennen, daß er
sich epideiktisch an eine Gemeinschaft richtet, die vom Milleniaris-

mus bestimmt, darin aber vorübergehend durch Verfolgung und
Todesfälle verunsichert ist. Zumindest hätte Paulus die Situation
dann nicht durchschaut; das aber ist eine prekäre Annahme, die J.
auch nicht ausspricht. Indessen sind auch die historischen, sozialen
und religiösen Bedingungen, die von J. für die thessalonische
Gemeinde als bestimmend angesehen werden, durchaus fragwürdig.

Obwohl in seiner eigenen These kaum überzeugend, ist das Buch
doch anregend. Es informiert über den gegenwärtigen Diskussionsstand
hinsichtlich der Thessalonichcr-Briele und macht nachdrücklich
auf die Bedeutung der Frage nach den Rezipicnten der paulinischen
Briefe sowie auf die methodischen Möglichkeiten, sie zu beantworten
, aufmerksam. Es zeigt allerdings zugleich auch, wie schwierig
dieses Gebiet zu bearbeiten ist und wie wenig hier bereits über Grundlagen
Einverständnis erzielt worden ist.

Halle (Saale) Traugott Holtz

Uro, Risto: Shcep Amonjj the Wolves. A Study on the Mission Instructions
of'Q. Helsinki: Suomalainen Tiedeakatemia 1987. VIII. 271 S.
gr. 8' = Annales Acadcmiae Scientiarum Fennicae.47.

Redaktions- und traditionsgeschichtliche Forschungen zur Logien-
quelle Q haben in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend eine nicht
mehr übersehbare Vielschichtigkeit im Überliefcrungs- und Redaktionsprozeß
dieses nur hypothetisch rekonstruierbaren Schriftdokuments
wahrscheinlich gemacht. Es lag nahe, die fragliche Problematik
einmal anhand eines thematisch gesonderten Q-Komplexes im Detail
zu bedenken. Die hier anzuzeigende Dissertation ist aus der von Prof.
Räisäncn/Hclsinki geleiteten Projektgruppe „Redaktionskritik der
synoptischen Evangelien" hervorgegangen und stellt eine methodisch
sauber und überzeugend gearbeitete Untersuchung dar. die zu beachtenswerten
Ergebnissen gelangt.

Nach einem hilfreichen Überblick über die neuere Q-Forschung
wendet sich der Autor im ersten Hauptteil (25-1 16) der redaktionellen
Verarbeitung der vorgegebenen Missionsinstuktionen in den synoptischen
Evangelien zu, wobei der Rekonstruktion und Komposition
der Q-Vorlage das eigentliche Interesse gilt. Die Vorlage ist mit
Lk 10,2-16 identisch. Ihren ältesten Kern sieht U. in Lk 10.4ab.5 bis
7ab, einer mit Mk 6,8-11 strukturell verwandten Rede. Stufen fortschreitender
Komposition repräsentieren sodann die Einheiten
Lk 10,4a-l la (vgl. Mk6,7-I3)und I0,3-I6sowie der übergreifende
Q-Abschnitt 9,57-11,13 (Jesus und seine Jünger). Der zweite Hauptteil
der Arbeit (I 17-244) fragt nach dem jeweiligen Sitz im Leben der
einzelnen Überlicferungsstufcn. Hier kommt U. zu interessanten Differenzierungen
. Die früheste Sammlung von Missionsinstruktionen
(Lk 10,4-7.9-11) legitimiert im engen Anschluß an den historischen
Jesus die Rechte und den Lebensstil asketisch-charismatischer Wan-
derprediger in Palästina in den ersten Jahrzehnten nach Jesu Kreuzigung
. Die erweiterte Missionsrede (Lk 10,3-16) reflektiert eine spätere
Situation, die durch negative Erfahrungen in der Mission unter
Juden gekennzeichnet ist und auf die kommende Trennung vom
Judentum tendiert. Der Endredaktor von Q ordnet diese Missionsrede
seinen kirchlich-didaktischen Zwecken unter, wobei seine relativ
hohe Christologie den Bruch mit dem Judentum markiert.

Lehrreich sind einige abschließende Beobachtungen zu Q insgesamt
. Weder dominiert der missionarische Aspekt noch verdankt
sich Q als Ganzes Wandercharismatikern. Als Schriftdokument hat es
seinen Ursprung vielmehr in seßhaften Kreisen. Der Endredaktor
konnte vermutlich schriftliche Tcilsammlungen aufgreifen (z. B. die
„Missionsrede"). Die Annahme von mehreren Redaktionsstufen
erübrigt sich dann zugunsten der Annahme einer relativ extensiven
und späten, kaum vor Mk liegenden Gesamtredaktion, die Q in sachlicher
Nähe zu Mt zeigt. Das sind gewiß sehr hypothetische, aber in
sich stimmige und missionsgcschichtlich durchaus plausible Ergebnisse
, die den Fortgang der Q-Forschung positiv beeinflussen werden.
Dem Autor gebührt Anerkennung und Dank.

Cireifswald Günter Haufe