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Ausgabe:

1989

Spalte:

885-886

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Giblin, Charles H.

Titel/Untertitel:

The destruction of Jerusalem according to Luke's gospel 1989

Rezensent:

Rese, Martin

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Seite 1

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885

Theologische Litcraturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 12

886

Lohmeyer so aufgefaßt hat) mit Recht abgelehnt wird (Kap. 1). M. behandelt
diese Fragen nur. weil er nachweisen will, daß der sog. kürzere
Schluß ursprünglich ist und daß die literarische Absicht, die zu
solcher Gestaltung des Evangeliums rührte, für seine Auslegung recht
bedeutend sein muß.

Die Theorie über die Bedeutung des Nicht-Gesagten, also der literarisch
abwesenden Aussage, entwickelt M aus dem Werk des französischen
Philosophen M. Merlcau-Ponty. des existentialistischen
Interpreten der Phänomenologie Husserls, und aus dem Werk mehrerer
amerikanischer strukturalistisch orientierter Exegeten und Litera-
turwisscnschaftler (D. N. Freedman. K. Kermode, R. W. Funk u. a.).
Ihr gemeinsames Anliegen ist, nachzuweisen, daß der Sinn (meaning)
bzw. die Intention des Textes auf seiner Rückseite verborgen ist. zu
der das Gesagte nur durch indirekte Konnotationen hinweisen kann.
Die eigentliche Wahrheit kann man nämlich mit den Worten nie vollständig
kommunizieren, denn jede Verbalisicrung verengt ihre Wirkung
und begrenzt ihre Polysemie (Kap. II).

In den nächsten Kapiteln versucht M, diese hermeneutische Einsicht
durch die Analyse einiger bekannter Texte zu bestätigen, die
gleich am Anfang in medias res gehen, die elliptisch gestaltet sind oder
die einen abrupten Schluß haben. Die absichtliche Anwendung
solcher literarischer Mittel zur Hervorhebung des Ungesagten ist in
den Homerischen Epen nachweisbar, in Vergilius' Aeneis deutlich
präsent und in dem literarischen Genre der Tragödie und z. T. auch
der Biographic fast geläufig (Kap. III). Überzeugend sind auch die Beispiele
aus dem Alten Testament, die mit dem Buch Jona gipfeln
(Kap. IV). Im Neuen Testament werden auch kürzere Einheiten, wie
Parabeln, untersucht, aber das bedeutendste Beispiel eines offenen
Endes bietet das Buch der Apostelgeschichte (Kap. V).

Im Kapitel VI untersucht M. die Struktur des Markusevangeliums
mit Berücksichtigung der theologischen Absicht des Evangelisten. Er
konzentriert sich vor allem auf zwei Elemente: die Hervorhebung des
Leidens und des Kreuzes Jesu, das durch das Evangelium über die
Auferstehung nicht überdeckt werden solle, und auf das Motiv der
Angst und des Schweigens, das nicht die Verlegenheit, sondern die
Scheu angesichts der Fpiphanie repräsentiere und darüber hinaus mit
der Theorie des Messiasgeheimnisses zusammenhänge.

I);is letzte (VII.) Kapitel zieht aus dem bisher Gesagten die Konsequenzen
. Der Schluß des Markusevangeliums in 16,8 ist absichtlich
und literarisch funktionell. Die Auferstehung wird negativ, durch die
Erzählung über das leere Grab und durch die Verkündigung des
Engels signalisiert, wodurch paradoxerweise auch die leibliche Abwesenheit
des Auferstandenen in der Kirche ausgedrückt ist (D.
Crossan). Die Vor- und Nachgeschichte dieses theologischen Konzepts
werden nicht untersucht, M. begnügt sich mit dem Nachweis,
daß die erhaltene literarische Gestalt des Markusevangeliums dem
theologischen Grundanliegen des Markusevangeliums entspricht.
Aber gerade dieser Nachweis ist überzeugend und auch wenn sich M.
nur auf die literarische Dimension konzentriert, hat sein methodisches
Vorgehen allgemeinere Bedeutung für die Exegese und
biblische Hermeneutik. Der Zielsetzung entsprechend ist es eine gelungene
und inspirierende Arbeit - ein erfreuliches Beispiel der sachgemäßen
Anwendung der rhetorischen Analyse in der Bibelwissenschart
.

Prag Petr Pokorny

Giblin. Charles Homer. S. J.: The Instruction of Jerusalem. Accor-
ding to Luke's Gospcl: A Historical-Typological Moral. Rom:
Biblical Institute 1985. X. 123 S. gr. 8" = Analecta Biblica. Investi-
gacionesScientificaeln Res Biblicas. 107. Kart. L 20000.

Die überragende Rolle Jerusalems im lukanischen Doppelwerk ist
allgemein bekannt und häufig untersucht. Fast gar nicht oder zumindest
nicht ausreichend beachtet wird hingegen, daß im LkEv (nicht in
der Apg!) über das Schicksal Jerusalems und seiner Einwohner so hart

geurtcilt wird wie nirgends sonst im Neuen Testament. Diese durchaus
zutreffende Einsieht führte G. zu der Frage, warum Lukas denn
Jerusalem derart negativ sieht. Um diese Frage zu beantworten, untersucht
G. sorgfältig alle Aussagen, die sich im LkEv auf die Zerstörung
Jerusalems beziehen (Lk 19.41-44; 20.9-19; 21,5-36; 23,26-32),
und zwar konsequent redaktionsgeschichtlich. Zu Recht stellt er fest,
noch niemand habe all diese Texte hinsichtlich ihres Zusammenhangs
auf der Ebene der Redaktion überprüft. Genau das aber müsse geschehen
; denn nur aufwiese Weise sei zu erfassen, was Lukas beabsichtigte,
nicht aber durch die in anderem Zusammenhang berechtigte historische
Frage, was oder wer am Untergang Jerusalems schuld sei.
Schließlich lasse Lukas in seinem Prolog (Lk 1,1-4) keinen Zweifel
daran, daß für ihn zwischen der Geschichte Jesu und der gegenwärtigen
Situation seiner Leser eine Verbindung besteht. Ja. Lukas schrieb
sein Evangelium so, daß die Leser die in der Erzählung liegende
..historisch-typologische Moral" erkennen können.

Das Ergebnis von G.s Untersuchung lautet: Vor allem zwei Faktoren
seien bei Lukas für das Schicksal Jerusalems ausschlaggebend:
einmal hätten seine Einwohnerden Bedingungen des Friedens durch
Jesus verständnislos gegenübergestanden, dann hätten seine Herrscher
durch die Hinrichtung Jesu Unrecht begangen und damit seinen
Untergang heraufgeführt. Doch dieses Schicksal Jerusalems sei für
Lukas nicht ein Ereignis, das für sich steht und abgeschlossen ist. sondern
ein Zeichen für andere, das ausdrücklich auf die Zeit des Gerichts
über alle Völker bezogen wird. Den Lesern des LkEv dränge sich die
Lektion auf: Wenn Jerusalem aufgrund seines Umgangs mit Jesus solches
widerfuhr, was wird erst mit unserer Stadt/Nation/Gesellschaft
geschehen, wenn sie (und besonders ihre Oberen) Jesus nicht anerkennen
oder wenn sie seine Jünger so behandeln, wie einst deren Herr
behandelt wurde? Mehr noch: Das Nachdenken über die Ungerechtigkeit
jener, die den unschuldigen Jesus als Übeltäter behandelten,
sollte den Leser dazu führen, "to consider the Standards of justice in
his own society and, of course, the way he may personally share these
or correct them " (106).

Bei diesem Ertrag liegt der Einwand nahe, G. sei allzu einseitig auf
das ausgewesen, was Wilhelm Busch einst „die Moral von der Geschichte
" nannte. G. selbst räumt ein, die Texte des LkEv über die
Zerstörung Jerusalems müßten nicht unbedingt so interpretiert werden
, wie er es getan habe. Doch er beansprucht, einen für Lukas sehr
wichtigen Aspekt dieser Texte herausgearbeitet zu haben, und darin
ist ihm zuzustimmen.

Münster Martin Rese

Parson, Mikeal C: The Departure of Jesus in Lukc-Acts. The Ascen-
sion Narratives in Context. Sheffield: JSOT 1987. 301 S. 8' =
Journal for the Study of the New Testament, Suppl.Series 21. Lw.
£25.-.

Die auf eine Dissertation am Southern Baptist Seminary (Louis-
ville) zurückgehende Studie verfolgt, wie schon der Untertitel zu
erkennen gibt, ein klares Interpretationsziel: "to place the ascension
narratives of Luke-Acts in context." (S. 24) Dabei treibt Vf. diese
Erklärung der Himmelfahrtstexte auf drei unterschiedlichen Ebenen
voran: Die Jiachrone Analyse (hier Text-, Form- und Quellenkritik)
soll die Texte im Hinblick auf mögliche Vorlagen und im Horizont
des primären Traditionsraumes verständlich machen ("historical
context"); die synchrone Analyse soll die Perikopen von ihrem erzählerischen
Zusammenhang im Lukasevangelium bzw. der Apostelgeschichte
her profilieren ("narrative context"); der Vergleich beider
Texte in den genannten Zusammenhängen schließlich soll deren theologische
Bedeutung innerhalb des lukanischen Doppelwerkes und des
Kanons hervorheben ("canonical context"). Entsprechend diesem
hermeneutischen Programm bieten die beiden Hauptteile des Buches
jeweils diachrone und synchrone Analysen von Lk 24,50-53
(S. 27-63) bzw. Apg 1,1-1 I (S. 64-113): vorangestellt ist eine knappe