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Ausgabe:

1989

Spalte:

879-881

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pohlmann, Karl-Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Ferne Gottes - Studien zum Jeremiabuch 1989

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 12

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gänger. Er betont die Eigenständigkeit der Geschichtsthemen, die
„ihre spezifische Interessen läge und Prägung haben und nicht einfach
auf einer Ebene liegen" (S. 255). Aber der Vergleich mit den Propheten
des 8. Jh. beweist ihm, daß schon diesen eine „bestimmte Vorstellung
über den Gesamtverlauf der Geschichte Israels vorgegeben
war" (ebd.), und da er Jahwist und Elohist traditionell früh ansetzt,
muß dieses Geschichtsbild schon entscheidend theologisch (Verheißung
und Erfüllung, Not und Errettung) geprägt gewesen sein.
Spätestens hier erhebt sich die Frage, ob auch bei Kreuzer das Credo
gleich einem Phönix aus der Asche wieder ersteht; nicht in allen
Stücken so sicher, vor allem nicht ganz so alt; teilweise vielschichtiger,
aber doch von grundsätzlich traditions- und überlieferungsgeschichtlicher
Bedeutung von der frühen Königszeit an.

Da Existenz und Umfang der älteren Pentateuchquellen, wie sie
von Kreuzer vorausgesetzt werden, heute kaum zu den sicheren Prämissen
gehören, hat schließlich seine These, daß die frühen Bekenntnisse
durch die Thoda beeinflußt und geprägt worden sind, die
Beweislast für das Ganze zu tragen. Inwieweit sie das zu leisten vermag
, müßten weitere Untersuchungen zum Verhältnis von ge-
schichtstheologischen Überlieferungen in Erzählung und Psalmen
sowie die zukünftige Pentateuchdiskussion zeigen.

Diese Arbeit, die trotz manchem Vorbehalt zum Nachdenken und
zur Auseinandersetzung anregt, bietet am Schluß „Literaturverzeichnis
" (S. 259-287) und „Stellenregister" (S. 289-301).

Greifswald Ernst-Joachim Waschke

Pohlmann, Karl-Friedrich: Die Ferne Gottes - Studien zum Jeremia-
buch. Beiträge zu den „Konfessionen" im Jeremiabuch und ein
Versuch zur Frage nach den Anfängen der Jeremiatradition. Berlin
(West) - New York; de Gruyter 1989. X, 232 S. gr. 8' = BZAW, I 79.
Lw. DM 88,-.

Der Band vereinigt zwei getrennte Beiträge, die nur durch das
Arbeitsfeld im ganzen - beide behandeln Texte aus dem Jeremiabuch
- und durch eine hinter beiden stehende Gesamtauffassung des Vf.
über die Entstehung des Jeremiabuches zusammengehalten werden.
Das Jeremiabuch beschäftigte den Vf. bereits in seiner Habilitationsschrift
(Studien zum Jeremiabuch, 1978, vgl. ThLZ 106, 1981,3280;
er ist ihm auch in dieser Studie treu geblieben.

Wenn man sich auf das Jeremiabuch einläßt, wird man mit einer
besonders verworrenen Forschungssituation konfrontiert. Die unterschiedlichen
Auffassungen lassen sich auf keinen gemeinsamen
Nenner bringen, es sei denn, daß das Buch in seiner Endfassung das
Ergebnis eines langwierigen Entstehungsprozesses ist. Stark differieren
jedoch die Ansichten darüber, welche Kräfte dabei mitwirkten,
welche Stadien in diesem Prozeß zu unterscheiden sind, welche Tendenzen
dabei zu beobachten sind, nicht zuletzt auch darüber, in
wieweit auf den Propheten Jeremia selbst zurückgehende Worte in
dem Buch erhalten sind.

Der Vf.. der schon 1978 in einigen Abschnitten des Buches eine
„golahorientierte Redaktion" entdecken wollte (die wiederum eine
Jahwes Heilshandcln für die nach 587 im Lande Verbliebenen ankündigende
Vorlage überarbeitet habe) postuliert diesmal in Teil A
seines Buches (Die „Konfessionen" im Jeremiabuch - Versuch einer
Standortbestimmung-, 1-1 11) in den sog. „Konfessionen" die Zeugnisse
einer jüdischen oppositionellen Glaubensrichtung mit einem
eschatologisch ausgerichteten Erwartungshorizont (der auf ein noch
kommendes Gericht vorausblickte) aus der Zeit des 4./3. vorchristlichen
Jahrhunderts, die sich an dem eschatologisch verstandenen
Prophetenwort orientiert und deshalb - vor allem als Identifikationsfigur
für die eigenen Anhänger - auf den leidenden und klagenden
„Jeremia" berufen habe. Ihre Gegner verträten demgegenüber eine
„antieschatologischc" Haltung; sie hielten die Unheilswendc bereits
für gekommen und sähen in dem wiederaufgenommenen Kult das
Verhältnis zwischen Jahwe und seinem Volk neu geregelt. Sie seien
mit den Vertretern des offiziellen Kultes zu identifizieren (98IT). Unverkennbar
steht die alte These O. Plögers im Hintergrund (39, A.
28).

Es ist schwer, über eine solche Hypothese zu urteilen. Die „Konfessionen
" regen nach wie vor zu vielfältigen Urteilen an (vgl. unlängst
die Arbeiten von A. R. Diamond, The Confessions of Jeremiah in
Context. Sheffield 1987, JSOT S. 45 und K. M O'Connor. The
Confessions of Jeremiah; Their Interpretation and Role in Chapters
1-25, SBL. DS 95, 1988); umstritten ist vor allem, ob man sie so weit
von Jeremia selbst abrücken kann. Selbst wenn die Konstruktion in
sich relativ einheitlich und ohne innere Widersprüche ist, wird sie
kaum das letzte Wort in dieser Frage bleiben.

Der zweite Teil der Arbeit (B. Unheilsahnung und Unheilsklage.
Ein Versuch zur Frage nach den Anlängen der Jeremiatradition.
113-213) beschäftigt sich umgekehrt nicht mit einer Spätschicht,
sondern mit der Suche nach den ältesten Worten Jeremias. Innerhalb
der Behandlung der Kapitel 2-6 führt eine erste Auseinandersetzung
mit R. Albertz (ZAW 94, 1982, 452-467) zu der These, daß die
Komplexe 2,1-4,4 und 4,5-6,30 nicht auf verschiedene Phasen der
Frühverkündigung des historischen Jeremia zurückzuführen seien,
sondern daß 2,1 -4,4 mit dem Vorwurf der Fremdgötterverehrung und
dem Thema „Umkehr" dem Komplex 4,5-6,30 sekundär vorgeschaltet
worden sei (119). In 2,1-4,4 finden sich keine echten Worte
Jeremias. Unter der Voraussetzung, daß weder Jerl,2 noch das
4. Jahr Jojakims (25,1; 36,1; 46,10 einen zuverlässigen chronologischen
Rahmen für die Wirksamkeit Jeremia abgeben (124-27),
sucht der Vf. einen neuen methodischen Ausgangspunkt, echte Jere-
miaworte in dem Abschnitt 4,5-6,30 zu ermitteln.

Für diese wird ein inhaltliches Kriterium postuliert (12911"): die
ältesten Texte sind (a.) diejenigen, die ohne Hinweis auf Jahwe als den
Urheber und ohne eine Begründung ein kommendes Unheil ankündigen
, (b.) Klageäußerungen, in denen weder Jahwe noch der Gedanke
eigener Schuld eine Rolle spielen. Neben diesen stehen andere, in
denen der Bezug auf Jahwe und eine Begründung (Schuldaufwcis)
nachgetragen werden. Die These, daß beide Perspektiven eine erst
spätere Bearbeitungsstufe darstellen, wird anschließend als mögliches
Lösungsmodell für den bekannten Streit zwischen (H. W. Wolffund)
W. H. Schmidt auf der einen, G. Fohrer (und Schüler) auf der anderen
Seile, ob die prophetische Botschaft (erst nachträglich begründete)
„Zukunftsansage" oder auf Umkehr zielende Warnung und Mahnung
sei, angeboten (135-142; noch einmal aufgenommen 193-213). Als
Beispiele für solche ursprünglichen Unheilsansagen werden anschließend
(143-160) aus Jer6,l-5 die Aussage in 6,1, aus
Jer6,22-26 die Ankündigung 6,22f,25 herausgefiltert und die Art
ihrer späteren Ergänzung aufgezeigt. Ebenso ergeben sich als ursprüngliche
Unheilsklagen (161-180) in Jer 8,18—23 die Individualklage
8,18,21-23 und als Urform von 9,16-21 eine an ein Kollektiv
von Klageweibern gerichtete Aufforderung zur Totenklage. Jahwesie-
rung und Begründung sind jeweils sekundär.

Unheilsankündigungen („Unheil aus dem Norden"), die nicht als
Jahweworte ausgegeben, und Klagen, die während oder nach Eintritt
der Katastrophe von Jeremia als Ausdruck eigener Ratlosigkeit und
Verzweiflung ausgesprochen werden, aber für Klagefeiern des Kollektivs
bestimmt sind (188), seien Ausdruck einer Umbruchsituation, die
wie in der „Krise der Weisheit" die 587 hereinbrechende Katastrophe
noch nicht bewältigt hat. Begründung und Theologisierung entsprechen
demnach einem erst späteren Stadium.

Man könnte sagen, der Prophet wird mit seinen ipsissima verba in
dieser Konstruktion auf das reine Humanuni, geworfen in die Ausweglosigkeit
, zurückgeführt. Ist dieses Prophetenbild realistisch?
Kann es zur Lösung des Dissensus über Sinn und Absicht der Prophe-
tie dienen? Hier erheben sich Zweifel. Wird dunkle Ahnung die
einzige Quelle der Botschaft? Kommt Jahwe erst nachträglich wieder
in den Blick? Die Arbeit gibt auch Anlaß, über hermeneutische
Voraussetzungen der Exegese nachzudenken, vor allem, wenn Prämissen
und literarkritische Befunde so stark korrespondieren.

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