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Ausgabe:

1989

Spalte:

877-879

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kreuzer, Siegfried

Titel/Untertitel:

Die Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung des Alten Testaments 1989

Rezensent:

Waschke, Ernst-Joachim

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 12

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Altes Testament

Kreuzer, Siegfried: Die Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung
des Alten Testaments. Berlin (West)-New York: de
Gruyterl989.IX,30l S.gr. 8" = BZAW, 178.Lw.DM 120,-.

Kreuzer stellt sich in seiner Wiener Habilitationsschrift von
1986/87 die Aufgabe, „einen bestimmten Ausschnitt der alttesta-
mentlichen Geschichtsüberlieferung, nämlich die sogenannten
Credotexte bzw. Geschichtssummarien, im Blick auf ihre Aussagen
und Bedeutung und im Blick auf ihre Tragfähigkeit für bestimmte
Theorien über die alttestamentliche Geschichtsüberlieferung und die
Pentateuchentstehung zu untersuchen" (S. 1).

Im ersten Teil referiert er ausführlich und kritisch die Forschungsgeschichte
(S. 3-82). Den Ausgangspunkt findet er bei A. Jirku, der in
Nachfolge A. Seebergs erstmals nach dem „Sitz im Leben" geschichtlicher
Überlieferungen gefragt hat. Durch K. Galling ist neben die
formgeschichtliche die traditionsgeschichtliche Fragestellung getreten
. Hier knüpft G. von Rad an, der die Entstehung des Hexateuchs
vom sog. „kleinen heilsgeschichtlichen Credo" Dtn26,5ff her versteht
; eine Sicht, die von M. Noth am Modell der Amphiktyonie
modifiziert und geschichtlich entfaltet wurde. Kritik an diesem die
alttestamentliche Wissenschaft jahrzehntelang bestimmenden Konzept
wurde von zwei Seiten aus geltend gemacht. Einerseits wurde das
Kultverständnis in Frage gestellt, das hinter diesem Konzept steht (A.
Weiser, W. Beyerlin, H. B. Huffmon u. a.); andererseits wurden formkritisch
die Gattung des Credo und literarkritisch das hohe Alter von
Dtn 26,5iTbestritten (A. S. van der Woude, C. H. W. Brekelmans, L.
Rost, G. Waßermann u. a.). Von hieraus erschien „das .kleine geschichtliche
Credo' als erledigt"; die Texte waren „weder für die
(Vorgeschichte des Pentateuch noch für die Frühgeschichte Israels
(Exodus und Sinai) relevant" (S. 75). Erst durch äußere Anregungen,
d. h. auf dem Hintergrund des II. Vatikanischen Konzils, wurden die
Credotexte von katholischen Alttestamentlern theologisch wieder neu
entdeckt (N. Lohfink, G. Braulik).

Kreuzer kommt hier zu der für ihn selbst überraschenden Feststellung
(die sich ähnlich auch bei anderen Themen des AT machen
läßt), daß „das durch die Analysen von Rost u. a. zerstörte Bild vom
bedeutsamen Credo sich wie ein Phönix aus der Asche erhob und ihm
paradigmatische Bedeutung nicht nur innerhalb des Alten Testaments
, sondern für die christliche Existenz im 20. Jh. beigelegt
wurde" (S. 810-

Jm zweiten Teil analysiert Kreuzer die entsprechenden Texte von
Genesis bis Josua (S. 83-214). Behandelt werden Gen 15; Ex 3;
Num 20,15f; Dtn 6; 26; Jos 24. Auch wenn Kreuzer in seiner Untersuchung
„bewußt... der Reihenfolge der Texte im Kanon" folgt,
„um nicht den Eindruck einer scheinbar linearen und chronologischen
Anordnung zu erwecken . . ." (S. 1), so sind die Ergebnisse
doch von traditions- und überlieferungsgeschichtlicher Evidenz.
Seiner Untersuchung zufolge lassen sich innerhalb der Bekenntnisse
und Geschichtssummarien zwei „ältere Elemente" herausarbeiten. Es
handelt sich zum einen um das Geschichtssummarium von
Num 20,15f (S. 119-140), das mit dem Schema „Not-Ruf um Hilfe-
Erhörung-Errrettung" der Erzählung eines Dankliedes, einer Thoda.
entspricht. Die dafür notwendige Bestätigung, d. h. den „Sitz im
Leben" für eine solche Thoda, findet Kreuzer sowohl im Kontext von
Num 20,l4ff („der Begegnung verschiedener Gruppen") als auch in
der Erzählung von Ex 18 („Situation eines Dankopfers") angezeigt
(vgl. S. 253). Es ist zum anderen das Bekenntnis zu dem „umherirrenden
aramäischen Vater" (Dtn 26,5; S. 161-167), einem Sonderling in
der Vätertradition, nach Kreuzer „sozusagen ein Nachzügler der
.aramäischen Wanderung'.. „der-etwa in der mittleren Richterzeit?
- Aufnahme in Israel fand" (S. 166). Dem ließe sich annähernd die
chronologische Angabe von „vier Generationen" in Gen 15,16 zur
Seite stellen (S. 90-96), die nicht eine Kette von Erzvätern im Blick
hat. Vielmehr setzt die älteste Schicht von Gen 15,13-16 mit den vier

Generationen „die Stufen Väterzeit - Ägyptenaufenthalt - Landnahme
voraus", was in etwa Dtn26,5ff entspricht. Erst die Angabe
von 400 Jahren in Gen 15,13 aktualisiert diese Tradition hinsichtlich
des assyrischen Exils. Daraus folgt, daß bis zur 2. Hälfte des 7. Jh. v.
Chr. „in diesem Geschichtsbild ... nur Platz für einen Erzvater (ist)"
(S. 95).

Wesentlicher für Struktur und Aufbau der Geschichtssummarien
und Bekenntnisse ist ihre Herleitung aus der Thoda (vgl. vor allem
S. 119-138). Für ijeren Entwicklung auf literarischer Ebene kommt
Dtn 26,5ff eine Art Schlüsselfunktion zu. Hier wurde zunächst das
alte Bekenntnis zum aramäischen Stammvater um das Bekenntnis zur
Landgabe „als Erfüllung des Jahweschwurs an die Väter" ergänzt, und
es wurde dann unter „Aufnahme der Exodusthoda aus Num 20,15f"
mit dem Exodusereignis kombiniert (S. 181). Kreuzer schlußfolgert:
„Durch die Kombination zweier Thoda-Bekenntnisse, bei denen der
Gegensatz von Not und Errettung im Vordergrund gestanden war,
und durch Einbau und Ausgestaltung verbindender Elemente entstand
ein heilsgeschichtliches Summarium, das einen beträchtlichen
Zeitraum umspannte ... In der Spannung zwischen Thoda und Heilsgeschichte
steht Dtn 26,5-10 fast ganz bei der Thoda" (S. 182). Dieser
Prozeß hat sich in Dtn 26,5ff „vergleichsweise spät" vollzogen,
weshalb dieses Summarium erst in exilisch-nachexilischer Zeit „zum
Vorbild für mehrere Texte innerhalb und außerhalb des Dtn wurde"
(ebd.). Ihm selbst aber liegen die älteren Geschichtsdarstellungen des
Jahwiste'n („frühe Königszeit") und des Elohisten („Zeit Jerobeams
II.") zugrunde (vgl. S. 114f), was Kreuzer durch Ex 3 bewiesen wird.
Schon in den beiden älteren Pentateuchquellen wurden die einzelnen
Geschichtsthemen in einen größeren Zusammenhang gestellt und
durch den Leitgedanken von „Not und Errettung" (E) bzw. „Verheißung
und Erfüllung" (J) geprägt, wobei auch hier der „Einfluß der
Struktur und Motivik der Thoda" erkennbar ist (vgl. S. 253). „Alle
anderen Texte sind bedeutsam im Blick auf ihre spezifische Gestaltung
der Tradition und im Blick auf ihren situativen Hintergrund und
ihre Intention" (S. 255). An Gen 15 läßt sich außer der Aktualisierung
auf das assyrische Exil eine nochmalige Neubearbeitung in der Zeit
des babylonischen Exils nachweisen. Dtn 6,20-25 (S. 141-147) gibt
sich in Nachfolge von Num 20 und Dtn 26 als „eine paränetisch motivierte
Anspielung auf die wichtigsten Ereignisse der Heilsgeschichte"
(S. 147) zu erkennen. Demgegenüber spiegelt der Geschichtsrückblick
von Jos 24,2-13 die Geschichtsthemen „in zeitgenössischen Formulierungen
und im Sinn des josianischen Anspruches" wider (S. 256;
vgl.S. 183-213).

In einem dritten Teil (S. 215-248) werden die gewonnenen Ergebnisse
durch einen Vergleich mit den Geschichtstraditionen bei den
Propheten des 8. Jh., vor allem hinsichtlich der Datierung, überprüft
(S. 215-230), und ihre Entwicklung wird in den Geschichtspsalmen
77; 78; 105; 106; 135; 136 und Ex 15 weiter verfolgt (S. 231-248).
Am Ende der Arbeit finden sich in thesenartiger Zusammenfassung
„Ergebnisse und Folgerungen" (S. 249-258).

Daß sich Kreuzer diesem Thema angesichts der gegenwärtigen
Diskussion um Israels Frühgeschichte und um die Entstehung des
Pentateuchs stellt, ist zu begrüßen. Sicher ist es auch legitim, daß er
ein geradezu „klassisches Thema" mit den „klassischen" Methoden
der historischen Kritik untersucht und damit ältere Thesen auf der
Grundlage jener methodischen Schritte überprüft und weiterführt,
von denen her sie formuliert worden sind. Allerdings kann es dann
auch kaum verwundern, daß seine Ergebnisse weitgehend in dem
forschungsgeschichtlich vorgegebenen Rahmen verbleiben. Er verfällt
keinem Extrem. Weder gehen die Credotexte dem Pentateuch voraus
noch stehen sie ihm nach. Sie spiegeln vielmehr eine Art Parallelentwicklung
zur Entstehung des Pentateuch wider (vgl. S. 2570-
Hinter ihnen steht „keine Gattung einer längeren mündlichen Überlieferung
, aus deren Existenz und jeweiligen Ausformung geschichtliche
und kultische Gegebenheiten und Entwicklungen der Frühzeit
Israels zu erheben wären" (S. 252). Hier wie auch an anderen Stellen
(etwa S. 1440 ist Kreuzer zurückhaltender als manche seiner Vor-