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Ausgabe:

1989

Spalte:

857-859

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Die Orthodoxe Kirche in Rußland 1989

Rezensent:

Döpmann, Hans-Dieter

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857 Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 1 I 858

Christus hin und in ihm geschaffen ist, erhalten die irdischen Wirklichkeiten
auch vor Gott eine letzte Geltung und Gültigkeit." (290)
Gott und Mensch/Welt, Transzendenz und Immanenz, Heil und
Wohl werden von Rahner nie im Verhältnis des Entweder-Oder, sondern
stets in ihrer gegenseitigen Zuordnung gesehen. Die Unterscheidung
von Heil und Wohl ist theologisch geboten, die Scheidung des
einen vom anderen jedoch unzulässig. A.s Studie läuft hinaus auf die
Feststellung, „daß nach Rahner Wohl und Heil unauflöslich miteinander
verbunden sind und daß der christliche Glaube an das welt-
tranzendente (weltjcnseitige) Heil Gottes gerade eine liebevolle Hinwendung
zur Welt fordert und nicht etwa eine contemptio mundi. Das
Christentum ist eben durch die Botschaft des Heils zum wahren
humanitären Dienst in diese Welt gesendet. Sich in Gott hinein loslassen
, um so gelassen und zuversichtlich für die Zukunft der Welt zu
arbeiten, dies ist der christliche Weg. den Glauben an Jesus zu
bezeugen, der gekommen ist, damit wir .das Leben haben und es in
Fülle haben'. . ."(297)

Rahners Gedanken sollten das Interesse all jener finden, die die
Frage nach der Verantwortung der Christen und Kirchen für „die
Welt" weder im Sinne eines aktionistischen Horizontalismus noch
eines quietistischen Vertikalismus beantworten möchten, sondern
angesichts der vielfältigen Probleme der Gegenwart nach einer dem
Evangelium gemäßen Gestalt des Weltdienstcs suchen, dessen Motivationen
, Ziele und auch Grenzen durch eine theologisch qualifizierte
Bestimmung des Verhältnisses von geschichtlichem Wohl und escha-
tologischcm Heil Sichtbarwerden.

Für den Dienst der Vermittlung gebürt dem Autor der Studie Dank.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis rundet die auch formal ansprechende
Arbeit ab. (300-318)

Leipzig Christoph Führer

Ökumenik: Ostkirchen

Hauptmann. Peter, u. Gerd Stricker [Hg.]: Die Orthodoxe Kirche in

Rußland. Dokumente ihrer Geschichte (860-1980). Im Auftrag des
Studienausschusses für Fragen der orthodoxen Kirchen bei der
Evangelischen Kirche der Union (Bereich Bundesrepublik
Deutschland und Berlin-West) und in Verbindung mit dem Ostkirchen
-Institut der Westfälischen Wilhclms-Universität hg. Göttingen
: Vandcnhoeck & Ruprecht 1988. 958 S. gr. 8 geb. DM
280.-.

Für das im Jahre 1959 beschlossene und zur Tausendjahrfeier der
Taufe der Kiever Rus' erschienene Werk hat sich die Mühe gelohnt.
Acht renommierte Fachkol legen erarbeiteten mit der Wiedergabe von
mehr als 370* Texten eine bisher einmalig umfassende Quellensammlung
. G. Stricker besorgte die aufwendige redaktionelle Arbeit. In formaler
Hinsicht diente der „Mirbt" als Vorbild, doch werden die Quellen
in deutscher Übersetzung gebmen. Jedem Teil ist eine Einführung
in den behandelten Zeitabschnitt i .l angestellt. Zu den einzelnen Texten
gibt es eine kurze Einführung, ngaben über Editionen und Literaturhinweise
. Erläuterungen zu h .griffen, Personen oder Sachverhalten
. Nur ein kleiner Teil der vorhandenen Quellen konnte zur Sprache
kommen, wobei die Auswahl und die Art der Erläuterungen
natürlich die Sicht des jeweils Verantwortlichen widerspiegelt.

Im einzelnen haben übernommen: Teil 1 (S. 35-133) Ludolf
Müller: Die Russische Orthodoxe Kirche von den Anfängen bis zum
Jahre 1240. Teil II (S. 135-223' Fairy von Lilienfeld und Erich
Bryncr: Die ROK während der 1 atarenherrschaft (1240-1448). Teil
III (S. 225-288) ebenfalls v. I i icnfeld/Bryner: Die autokephale
Metropolie von Moskau und ganz Rußland (1448-1589). Teil IV
(S. 289-369) Peter Hauptmann: Die ROK unter den ersten zehn
Patriarchen (1589-1700). Teil (S. 371-458) Robert Stupperich:
Die ROK im Jahrhundert der kirchenreform Peters des Großen

(1700-1801). Teil VI: Staatskirchentum und Ansätze zur Erneuerung
(1801-1917), ist untergliedert in VI. 1 (S. 459-557) von Karl Christian
Felmy: Von Alexander 1. bis zum Amtsantritt Pobedonoscevs
(1801-1880); VI. 2 (S. 558-616) von Gerhard Simon: Vom Oberprokurator
Pobedonoscev bis zum Ende der Synodalzeit (1880-1917).
Schließlich folgt der umfangreichste, in 14 Abschnitte untergliederte
Teil VII (S. 617-920) von Roman Rössler: Die ROK im Sowjetstaat
(seit 1917), für den G. Stricker die Einleitungen verfaßt hat.

Besonders markante Texte wurden ausführlicher wiedergegeben,
z.B.: Beschlüsse der Hiindertkapitelsynode von 1551, Geistliches
Reglement von 1721, Landeskonzil 1917/18, Verwaltungsstatut der
ROK von 1945 sowie die Veränderungen von 1961, Landeskonzil von
1971. Ein informatives Literaturverzeichnis und das Personenregister
erleichtern Benutzung und Weiterarbeit.

Ohne auf einzelne Texte eingehen zu können, sei hervorgehoben,
daß es durch die Vielfalt von Quellen ganz unterschiedlichen Charakters
gelang, wesentliche Momente der Entwicklung und Ausprägung
der russischen Orthodoxie zu veranschaulichen. Summarisch sollen
nur einige Problemkreise erwähnt werden, denen für die einzelnen
Perioden jeweils unterschiedliches Gewicht zukommt: politische und
kirchenpolitische Entwicklungen, kirchliche Strukturen. Ausdrucks-
formen vor allem der monastischen Spiritualität. Heiligenviten, kanonische
Fragen, Mission, Reformimpulse durch und Auseinandersetzung
mit kirchenkritischen Strömungen. Bibelausgaben, geistliches
Schrifttum und geistliche Bildung. Altgläubigentum. die Kirche
betreffende Rechtsbestimmungen, die Lage der Geistlichkeit. Kalen-
derfragen, die Kirche in der Sicht russischer Schriftsteller. Äußerungen
von Laientheologen (Rcligionsphilosophen), soziale Tätigkeit,
innerkirchliche Reformansätze, Kirche und politische Parteien. Verhältnis
zu anderen Konfessionen. Wurde schon Tür die Anfänge des
20. Jh. auf religionspolitische Ansätze Lenins, das Verhältnis von
Sozialismus und Glauben eingegangen, so enthält der ausführliche
Teil über die Zeit seit 1917 neben vielen kirchlichen Dokumenten
eine Wiedergabe der wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen sowie
weitere Verlautbarungen des Staates, der KPdSU oder der Presse.
Dadurch werden die verschiedenen Aspekte der äußerst komplizierten
und für die Kirche schmerzlichen Entwicklung, die Problematik
innerkirchlicher Spaltungen und Auseinandersetzungen, aber auch
das kirchliche Engagement in den Aufgaben der Gegenwart wie ihr
Bezug zur und ihre Mitarbeit in der Ökumene sehr plastisch vor
Augen geführt.

Das Werk endet mit der Erklärung des Hl. Sinod zu grundsätzlichen
Fragen der gegenwärtigen Arbeit der ROK vom 20. 3. 1980. Und nur
in der Einführung zum letzten Teil konnte auf neueste Ansätze hingewiesen
werden. Doch wer sich in die dargebotenen Quellen vor allem
seit dem 19. Jh. vertieft, über Spiritualität der Starzen, Aussagen über
das Kirchenverständnis fsobornost'), Gemeindebezug von Theologie
und Predigt, karitative Tätigkeit und im Ansatz das Behandeln sozialethischer
Fragen, Bruderschaften, die Pfarrgemeinde als ganzheit-
lichcr lebendiger Organismus von Klerus und Gcmeindeglicdern, die
Stellung der Frau, die Anerkennung als juristische Person, schließlich
das systematische Aufgreifen all dieser Fragen und ihr Niederschlag in
den Dokumenten des Landskonzils von 1917/18. der erhält damit
einen guten Zugang zum Verstehen dessen, was die Russische Orthodoxe
Kirche heute beschäftigt.

Die Vff. des Werkes wissen selbst, daß man über die Auswahl der
Texte. Art und Aussagen der Einführungen und Erläuterungen durchaus
verschiedener Meinung sein kann. Aber vielleicht ließe sich für
eine eventuelle Neuauflage überlegen, ob im Interesse eines breiteren
Leserkreises anstelle mancher philologischer Feinheiten, die der
Interessierte in der Spezialliteratur nachlesen kann, mehr Sacherläuterungen
geboten werden könnten, z. B. über das Verständnis des
Begriffes „Ros" (S. 39) oder die Erklärung von „edinoverie" (S. 505).
Auch sollten beispielsweise bei den Ausführungen über N. Gogol dessen
„Betrachtungen überdieGöttliche Liturgie" erwähnt werden.

Aber aufs Ganze gesehen kann man den Mitarbeitern dieses Werkes