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Ausgabe:

1989

Spalte:

845-846

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Praktisches Lexikon der Spiritualität 1989

Rezensent:

Wolff, Gottfried

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Seite 1

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845

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 11

846

tischen Ethik dar. Hier konzipiert LT. unter Aufnahme von Gedanken
Hannah Arendts einen Begriff politischen Handelns, der sich nicht am
Paradigma einer Ontologic des .Noch-Nicht', einer „Verwirklichung"
von. Möglichem, orientiert, sondern der in dem .Möglichkeit' schaffenden
Handeln Gottes begründet ist, das dem Menschen die Freiheit
des „Anfangen-Könncns" (304) gewährt. Die Wahrnehmung dieser
Freiheit aber bedeutet, ein verantwortetes, handlungsorienticrcndes
Urteil zu wagen, das den Raum des Handelns erschließt (vgl. 306), das
aber gleichwohl darum weiß, daß es der Rechtfertigung bedürftig
ist.

Wie notwendig es in der gegenwärtigen theologischen Situation ist,
den Unterschied zwischen dem I landein Gottes und dem Handeln des
Menschen einzuschärfen, scheint evident. U. hat mit seiner Arbeit
jedoch über dieses notwendige momento weit hinausgehend unter
Beweis gestellt, wie leistungsfähig - gerade auch für das Problem der
Grundlegung einer evangelischen Ethik - dieses Paradigma ist, wenn
es nur genau entfaltet wird. Es ist jedoch zu fragen, ob es ausreicht, den
voraussetzungsvollen Begriff des Handelns im allgemeinen und den
Begriff des .Handelns Gottes' im besonderen schon als gegeben vorauszusetzen
. Sicher wäre es sinnvoll, diesem Ansatz gerade wegen
seiner hohen Bedeutung lür die Ethik und für die Rede von Gott in
einer kritischen Rezeption der Handlungstheorie ein möglichst
solides Fundament zu geben.

Marburg(L;'hn) Eberhard Stock

Praktische Theologie: Allgemeines

Schütz. Christian [Hg.]: Praktisches Lexikon der Spiritualität. Frei-
burg-Basel-Wien: Herder 1988. XV, 1504 Sp. gr.8 geb. DM
78,-.

Das praktische Lexikon ist ein neues Werk. Neu vom Titel her.
Denn Spiritualität ist erst seit wenigen Jahren ein fester Begriff im
Raum deutschsprachiger eyang. Theologie geworden. Neu auch von
der Sache her. denn ein „praktisches Lexikon" ist schwer in bisherige
Buchkategorien einzuordnen.

Es ist als Lexikon konzipiert. Das Register mit seinen 1400 Stich-
worten führt in weite Bereiche. Wie komplex viele Artikel sind, zeigt
sich daran, daß etliche Begriffe unter bis zu 30 verschiedenen Stich-
Worten zu finden sind. Dazu kommen die wichtigen Verweise am
Schluß der meisten Artikel, die mit zu bedenken sind, will man den
spirituellen Charakter eines Wortes auch nur einigermaßen erfassen
.

Die Namen der über 200 Theologen stehen für Kompetenz und
Aktualität. Herausgeber und Verlag lassen erwarten, daß die Zahl der
katholischen Mitarbeiter überwiegt. Doch das macht nichts, wenn auf
der gleichen Seite die Professorin des Union Theological Seminary
D. Solle und die Priorin der Berliner Karmelitinncn zu Worte kommt,
die eine mit dem Kreuzweg des guatemaltekischen Volkes 1988, die
andere mit „Kreuzesmystik" von Bernhard von Clairvaux bis Edith
Stein. Die Professorin der Päpstlichen Akademie hat ihren Platz
neben dem Schweizer Theologen aus Heidelberg. Für Martin Luther
ist nicht weniger Platz als für Johannes vom Kreuz.

Im Verzeichnis der Abkürzungen findet man alle großen Nachschlagewerke
aufgeführt, auch über den deutschen Sprachbereich hinaus
. Man kann nur ahnen, welche Kenntnisse hinter den wertenden
Und einordnenden Artikeln stehen, und auch, was da alles noch auf
Erschließung und Auswertung wartet, wenn man nur an das DSp, das
Dictionnairc de Spiritualitc denkt. Dieser Hintergrund ermöglichte
es, die einzelnen Artikel sehr kurz zu halten. Historische Ausführlichkeit
war von vorn herein nicht beabsichtigt. Dafür ist schon genügend
Literatur vorhanden. Das Grundanliegen des Werkes ist, die Existen-
•ialia des christlichen Glaubens heute zu erfassen und darzustellen.
Der Leser soll an praktischen Vollzug des Glaubens, nicht an vermehrte
Information herangeführt werden. Der Theologe, der weiterarbeiten
möchte, findet durch die Literaturhinweisc, die auf neuestem
Stand sind, genügend Einstiegsmöglichkeiten in die Spezialforschung.
Viel wichtiger noch sind aber die Hinweise auf andere Stichworte am
Ende der Artikel. Erst in dieser Komplexität ist der spirituelle Bereich
annähernd zu erfassen, der mit einem Stichwort angesprochen wird.
So verweist die Kurzbiographie Johannes XXIII. noch auf: Barmherzigkeit
, Einfachheit, Erbe, Heilig, Solidarität. Tradition, Vorsehung;
mehr als genug Angebot, daß jeder seine eigene geistliche Beziehung
zu dieser herausragenden Gestalt der Kirchengeschichte finden kann.
Das Wort „Freude" will n,och weiterführen zu: Auferstehung, Denken
. Evangelium, Fest, Frucht des Geistes. Glück, Himmel. Lachen,
Liebe, Liturgie u. v. a. m. Zur „Gotteserfahrung" gehört dann nicht
nur Aufstieg. Sehen. Vergöttlichung, sondern auch Geschwisterlichkeit
, Liebe, Denken. Die Verbindungslinien sind oft unkonventionell,
spiegeln aber die heutige Spiritualität zuverlässig wider. Die Weiterführung
des Lesers zu einem Beteiligten ist beabsichtigt und die Hilfestellung
dazu gelungen.

Auch die Auswahl der Themen ist zeitentsprechend. Schwerlich
hätte früher in einem ähnlichen Werk so selbstverständlich „Würde
des Menschen". Gastfreundschaft, Ikebana. Selbstverwirklichung.
Zärtlichkeit Aufnahme gefunden. Spirituelle Spezialfragen wie die
nach dcrUnterschcidungdcrGcisterstehen neben neuen Themen wie
Entfremdung. Solidarität. Marriage Encounter. Mystischer Tod und
Jugendreligionen. Politisches Handeln und Ruminatio (Wiederkäuen
), Langeweile und Vergöttlichung,-der weite Horizont der Herausgeber
ist deutlich.

Die zwischen die Sachthemen eingestreuten Kurzviten wollen
einen repräsentativen Querschnitt durch alle Zeiten geben. Hildegard
von Bingen und Dag Hammarskjöld. Therese von Avila. Therese von
Kalkutta, Katharina von Siena und Bonhoeffcr, der Pfarrer von Ars
und Erzbisehof Romero. Beeindruckend ist das soziale Engagement
der Hgg. Helder Camara und Desmond Tutu stehen für viele.

Umstrittene Themen sind nicht ausgeklammert. Sclbstcrfahrung
findet positives Echo, wird aber nicht zufällig gefolgt von „Selbstverleugnung
". An Auschwitz. (I2mal erwähnt) kann keine Darstellung
der Spiritualität vorübergehen, wenn sie unserer Situation gerecht
werden will. Manches ist demgegenüber unerwartet kurz. Marienfrömmigkeit
hätte früher sicher mehr als nur knapp drei Spalten
bekommen. Das gleiche Maß ist für „Theologie" in einem Lexikon
des geistlichen Lebens ausreichend. Erfreulich, wie es dem Vorsitzenden
der Deutschen Bischofskonferenz gelingt, auf zwei Spalten bei
„Amt" vor allem dessen geistliche Dimension zu zeigen. Wenn
„Meditation" am Anläng eindeutig als eine der wichtigsten Weisen
des Betens definiert wird, kann dann auch unbefangen über Bild-,
Gesprächs-, Metaphermeditation gesprochen werden, ohne daß die
Gewichte verschoben werden.

Daß der „Spiritualität" mit 45 Spalten großer Raum eingeräumt
wird, ist zu erwarten. Doch e» geht nicht um Definitionen. Wie sehr
Verbindlichkeit gemeint ist, zeigt der große Umfang des Stichwertes
„Bindung". Wandel im Bindungsverhalten muß konstatiert werden,
doch es läuft zuletzt auf die „Bindung als Erlösung", auf Christus hin.
Die Bibel ist unter dem Begriff „Geistliche Schriftlesung" zu finden,
HeiligerGeist unter „Geisterfahrung".

Verglichen etwa mit der ersten Auflage der RGG. erkennt man die
Wegstrecke, die in diesem Jahrhundert zurückgelegt worden ist. Die
im Vorwort ausgesprochene "Absicht, den existentiellen Reichtum
des Glaubens aufzuzeigen und den bereiten Leser mit hincinzuneh-
mcn. ist in überraschender Weise gelungen. Theologen wie Laien werden
Gewinn von dem Lexikon haben. Die Theologen sind gut beraten,
dem ersten Eindruck zu widerstehen, das Werk wegen der Kürze für
entbehrlich zu halten, und die Laien brauchen sich durch die trotz
allem beträchtliche Fülle theologischer Abhandlungen nicht entmutigen
zu lassen, sich für die Nachfolge heute Rüstzeug zu holen. Beiden
wird es erst richtig dienen, wenn die geforderte eigene Mit- und
Weiterarbeit geleistet wird.

Moser bei Burg Gottfried WolfT