Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

839-841

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Millás, José M.

Titel/Untertitel:

Die Sünde in der Theologie Rudolf Bultmanns 1989

Rezensent:

Hübner, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

839 Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 11 840

Folgerichtig schließt sich dem krönenden Kapitel VIII des zweiten
Teils mit dem prägnanten Eingehen auf Kierkegaards Gesellschaftskritik
der dritte Teil an, der - abgehoben vom übrigen Dialog mit
Kierkegaard vor allem „Hermann Deusers ,Dialektische Theologie'
zwischen Kierkegaard und Adorno" behandelt (S. 223-233). Der Vf.
stellt als Dialogergebnis mit Deuser die wichtige Gegenthese zu diesem
auf: Wenn Deuser zusammen mit Adorno Kierkegaards extremes
Engagement „respektiert, aber zugleich für sinnlos hält" (S. 132), so
muß dagegen der Wagnischarakter des Dänen betont werden. Hier
gibt es kein „utilitaristisches Kalkül der Folgen" (ebd.).

Der vierte Teil („Im Dialog mit der Kierkegaard-Forschung",
S. 235-290) ist dem Gespräch mit verschiedenen Kierkegaardforschern
und ihren jeweiligen Tendenzen gewidmet. Im Falle der Kritik
an Emanuel Hirsch (Kap. XIV, S. 270ff) gibt es einen sehr polemisch
gehaltenen Durchgang!

Der fünfte Teil wird zur Wegweisung für einen philosophischen Zugang
zur Christologie, die dem Gesamttrend der Arbeit (s. o.) entspricht
. Die Absage an die Mystifizierung der Person Jesu setzt zugleich
meine freie Position der Ungewißheit, die dann meine Gewißheit
ist, wenn ich denkerisch-existentiell dafür einstehe. Hierin liegt
eine Chance zum Aufbruch - weg von jeder Zweckrationalität. Dazu
gibt das Buch vielseitige Denkimpulse.

Detmold Wolfdictrich von Kloeden

Milläs, Jose M.: Die Sünde in der Theologie Rudolf Bultmanns.

Frankfurt/M.: Knecht 1987. 139 S. 8" = Frankfurter theologische
Studien, 34. Kart. DM32,-.

Wieder hat sich ein katholischer Theologe ausführlich mit Rudolf
Bultmann (B.) beschäftigt. Milläs (M.) hat bekannte katholische Vorgänger
, von denen ich hier nur R. Marie , G. Hasenhüttl und M. lioit-
lin3 nenne. Das von ihm bearbeitete Thema führt mitten in die Theologie
B.s hinein, auch und gerade in Probleme hinein, die mit der
Struktur und den Denkvoraussetzungen seiner Theologie zu tun
haben. Man wird M. bescheinigen können, daß er sich gut in die
Schriften B.s hineingelesen hat und sie kennt.

Die Arbeit - eine von Johannes Beutler betreute und von der Philosophisch
-Theologischen Hochschule St. Georgen, Frankfurt/M., angenommene
Dissertation - ist in zwei Teile gegliedert: I. Historische
und systematische Darlegung der Theologie B.s über die Sünde, 2.
Versuch einer kritischen Wertung. Im 1. Teil referiert er im 1. Kap.
die wesentlichen Stufen in der Entwicklung von B.s Denken, nämlich
die „liberale" Periode vor 1922, die „dialektische" und schließlich die
„existentiale" Periode, die sich im Laufe der zwanziger Jahre durch
die Übernahme von philosophischen Begriffen aus Heideggers „Sein
und Zeit" (SuZ) konkretisierte. Im 2. Kap. stellt der Vf. die ontologi-
sche Struktur des menschlichen Daseins im Sinne B.s dar, d. h. die
Stellung des Menschen zwischen Eigentlichkeit und Uncigcntlichkcit,
im 3. Kap. die ontische Konkretisierung des menschlichen Daseins,
d. h. die Sünde. Der 2. Teil bringt zunächst im 4. Kap. die B.-Interpretationen
von Maurice Boutin, Bernhard Dieckmann und Traugott
Koch, um dann im 5. Kap.. „Kritische Bemerkungen" überschrieben,
seine eigenen Auffassungen dazu vorzutragen.

M. will mit der gedruckten Form der Dissertation eine Arbeit bieten
, die in betont systematischer Absicht verlaßt sei. In der ursprünglichen
Form gehörte zu ihr ein ausführlicher erster Teil, der eine
„historisch-deskriptive Darlegung" der Auffassungen B.s über die
Sünde in einer Reihe seiner Schriften war. Ich kenne diese Urform
nicht, möchte aber vermuten, daß mit ihr dem Anliegen des Vf. und
auch der Sache selbst besser gedient war."1 In der jetzigen Gliederung
wird im 1. Teil erst gegen Ende, nämlich bei der Darstellung der onti-
schen Konkretisierung des Daseins, die Sünde thematisiert. In der
Logik der Darstellung des ontologisehen und des ontischen Aspekts ist
dies durchaus richtig. Es ist sogar vom gedanklichen Ansatz B.s her.
nachdem dieser Heideggers Terminologie übernommen hatte, erforderlich
, der Sünde den ontischen Part erst nach der Darstellung des
ontologischen, also existentialen Aspekts zuzuweisen-. Diese 20 Seiten
machen im Grunde die eigentliche Substanz der gestellten Thematik
aus, zu der dann, zumindest in formaler Sicht, geradezu als Appendix
zur Darstellung der drei genannten B.-Interpretationen, die „Kritischen
Bemerkungen" auf etwas mehr als 40 Seiten folgen. Die Gliederung
des Buches kann also nicht voll überzeugen.

Doch nun zum Inhaltlichen! Daß M. die Sünde als ontische Konkretisierung
des Daseins auf der Grundlage der ontologischen Struktur
dieses Daseins darstellt, ist vom existenzialen Ansatz von Heideggers
SuZ her folgerichtig. Und sicher liegt B.s Konzeption der existentialen
Interpretation im Gefalle dieser Intention des Philosophen.
Aber damit beginnt das Problem doch erst! Richtig sieht M. durchaus,
daß mit der Übereignung der philosophischen Begriffe Heideggers
„der Prozeß der Konstituierung des Bultmannschen Denkens seinen
Abschluß" findet (S. 22). Aber was heißt, daß B. philosophische
Begriffe von Heidegger übernimmt? Immer noch ist ein dringendes
Desiderat der Forschung die Klärung des Sachverhalts, wann genau
und in welchem Sinne die Rezeption der Philosophie Heideggers
durch B. geschah. Für die chronologische Frage bleibt als wichtigster
Fixpunkt, soweit ich es im Augenblick sehe, immer noch die briefliche
Mitteilung B.s vom 5. Juni 1972 an mich, die selbst im Kreise
engster B.-Schüler mit Verwunderung zur Kenntnis genommen
wurde: Er hatte von den philosophischen Gedanken Heideggers noch
nichts gewußt, als er sein Jesus-Buch schriebt Damit stellt sich jedoch
die noch wichtigere Frage nach der Genese der philosophischen
Grundanschauung B.s; denn existentiales und geschichtliches Denken
liegt im Jesus-Buch unzweifelhaft vor. Dann aber ist die Übernahme
philosophischer Begriffe von Heidegger möglicherweise die bloß terminologische
Präzisierung bereits vorliegender Grundstrukturen des
Denkens B.s. Wenn also M. im 1. Teil die Sünde im Denken B.s so
darstellt, daß sie von einem Konstitutivum von SuZ aus entworfen ist.
so hätte die Heidegger-Rezeption durch B. in diesem Zusammenhang
thematisiert werden müssen. Vielleicht ist die Frage erlaubt und sogar
angebracht, inwieweit M. mit der Existenzialphilosophie Heideggers
wirklich vertraut ist. Denn wer dies im größeren Ausmaß ist, wäre
doch wohl von selbst darauf gekommen, die nicht unerheblichen
Unterschiede zwischen Heideggers Fundamcntalontologic und B.s
Konzeption, die mit Hilfe einer Reihe - eklektisch? - ausgewählter
Begriffe aus SuZ. vor allem Existenzialien (im Gegensatz zu den entsprechenden
Kategorien), dargestellt ist, zu registrieren und zu interpretieren
.

Eine eigentümliche Inkonsequenz besteht zwischen dem 1. und
2. Teil der Monographie. Wenn, wie gesagt, M. im I. Teil B.s Verständnis
der Sünde im Rahmen der Grundkonzeption Heideggers von
ontologisch und ontisch bringt, so sollte man meinen, daß er nun im
2. Teil seine Kritik formal so gestaltet hätte, daß er die Sicht der Sünde
als einer ontischen Konkretisierung einer ontologischen Möglichkeit
kritisch bedacht hätte. Erstaunlicherweise ist das aber nicht der Fall-
Nur vereinzelt begegnet dort die Problematik von ontologisch und
ontisch. H. wird so gut wie nicht genannt. Wenn M. das ?. Kap. mit
„Kritische Bemerkungen" überschrieben hat. so trifft diese Formulie-
rung-lcidcr!-z.u. Sicherlich gibt es einen gewissen roten Faden in seinen
Darlegungen, wobei er B.s Verständnis des paulinischen und
johanneischen „simul iustuset peccator" richtig als die Dialektik der
christlichen Existenz von Sünde und Gerechtigkeit herausgearbeitet
hat. Aber die ganze Art seiner Argumentation ist nicht recht schlüssig-
Sie geschieht weithin in bloßer Zustimmung zu den im 4. Kap-
genannten B.-Interpreten, wobei vor allem Traugott Koch sein Kronzeuge
ist. Laufend finden sich Formulierungen wie ..ich meine", „ich
glaube", „nach meiner Meinung" o. ä.

An einer Stelle, die ich als symptomatisch tui viele herausgreife, wird deutlich-
wie M. an der eigentlichen Problematik, nämlich der nach den Denkstrukturen
B.s. die doch nach M.s Entwurf im I. Kap. existenlialer Art sein sollen, vorbeigeht
. Er bezieht sich S. 86(Tauf B.s Aufsat/ ..Welchen Sinn hat es. von Ciott zu
reden?" (Glauben und Verstehen I. 2611") von 1925 und versteht ihn mit