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Ausgabe:

1989

Spalte:

834-836

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Wiltgen, Ralph M.

Titel/Untertitel:

Der Rhein fließt in den Tiber 1989

Rezensent:

Hübner, Siegfried

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833 Theologische Litcratur/.citung I 14. Jahrgang 1989 Nr. I I

Weyer-iYlenkhoff, Stephan: Aufklärung und Offenbarung. Zur Systematik
der Theologie Albrecht Ritschis. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1988. 258 S. gr. 8° = üöttinger theologische
Arbeiten, 37. Kart. DM 54.-.

Die Göttinger Dissertation eröffnet ihre Untersuchung der Theologie
Albrocht Ritschis mit der durch Karl Barth nahegelegten Alternative
: Aufklärung oder Offenbarung, um schließlich das „oder" in
ein „und" zu verwandeln und mit der These zu schließen, daß Offenbarungstheologie
und Aufklärungslheologie bei genauerem Zusehen
identisch sind.

Der Weg zu diesem Nachweis führt über folgende Stationen: Eine
kurze Einleitung nennt die Perspektive, unter der Ritsehl gesehen
wird: nicht genetisch, sondern in der Rückschau. Von spateren, durch
Ritsehl selbst veranlaßten Positionen her soll seine Theologie durchsichtiggemacht
werden.

Das erste Kapitel mit der Überschrift ..Ritschis Programm der
Offenbarungstheologie" umreißt vorläufig das Ganze des Systems.
Die Offenbarung schließt eine ..natürliche Theologie" aus. Dem entspricht
, daß die Theologie „positionell" ist. d. h. sie wird nicht fundamentaltheologisch
, sondern durch die entschlossene Einnahme des
Gemeindestandpunkts begründet.

Ritschis Erkenntnistheorie wird im zweiten Kapitel behandelt. Dabei
interessiert weniger die unter den Ritschlianern heftig diskutierte
frage-, ob Kant und Lotzc mißverstanden sind, als vielmehr das Ergebnis
für Ritschis System. „Von Kant übernimmt Ritsehl den Gedanken
, daß das Subjekt die notwendige, formale Bedingung von Wahrheit
sei. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß außerhalb der
Erkenntnis des Subjekts keine Wahrheit begründet sein kann. Von
Lotzc übernimmt er die Vorstellung einer Wechselwirkung." folglich
gibt es außerhalb dieser Beziehung keine Wirklichkeit (48). Für die
Theologie ist also Gott vollkommen erkennbar und aussagbar, weil er
mit dem Menschen durch Offenbarung in Beziehung steht. Durch
Ritschis erkenntnistheoretische Erwägungen fällt auch ein Licht auf
die doppelte Betrachtungsweise, die Ritsehl in seinem System anwendet
: Die Tätigkeit Gottes löst kraft der Wechselwirkung eine Tätigkeit
des Menschen aus. Folglich kann und muß die Theologie ihre Sätze
abwechselnd vom Standpunkt Gottes und vom Standpunkt des Menschen
aus formulieren.

Das dritte Kapitel stellt Ritschis Dogmatik dar: Gotlcslehre. Chri-
stologie und Reich Gottes. Alle drei trclfen sieh in der Rechtfertigung:
Gott ist der Grund. Christus das Mittel und das Reich Gottes der
Zweck der Rechtfertigung. Indessen wird in allen drei Bereichen eine
Doppelgesichtigkeit festgestellt. In der Liebe verfolgen Gott und die
Menschen ihren je eigenen Zweck (77); in Christus bilden Gott und
Mensch keine unio. sondern nur die Harmonie von Selbstzweck und
Gehorsam (93): und im Reich Gottes bleibt es bei der Doppclhcit von
Theonomie und Autonomie (109). Weyer-Menkhoff deutet diese
Parallelität thcologicgeschiehtlieh als Miteinander von Offenbarungsund
Aufklärungstheologie. Erstere setzt unter Verzicht aufjede natürliche
Theologie neu mit der Offenbarung ein; letztere ist apologetisch
bestrebt, „die Güte der Welt durch den guten Gott zu sichern"
(136).

Bei Ritsehl ist das Miteinander noch dadurch gestuft, daß der
Mensch Gott untergeordnet wird. Später jedoch führt Karl Barth das
Programm der Olfenbarungstheologie zu Ende. Die Polemik Barths
gegen Ritsehl erweist sich angesichts der zahlreichen inhaltlichen
Parallelen - die beim Durchgang durch die matcrialc Dogmatik in den
Anmerkungen registriert werden - als vordergründiges Mißverstehen.
In Wirklichkeit werden Aufklärungstheologie und Apologetik nicht
etwa ausgeschieden, sondern in eine neue Synthese eingebracht, so
daß Weycr-Menkhoff im Blick aufBarth sagen kann: „Offenbarungs-
thcologie ist Aulklärungstheologie - höheren Grades freilich" (137).
Damit ist im vierten Kapitel, das die Würdigung Ritschis bringt, die
eingangs erwähnte Hauptthese des Buches erreicht.

Abschließend formuliert Weyer-Menkhotf von einer lutherischen
Position her seine eigene Beurteilung des beschriebenen Sachverhalts:

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„Es ist von vornherein verfehlt, Theologie nur aus der Offenbarung zu
entwickeln. Wirklichkeitsverkürzung - hinsichtlich Gottes, der Welt
und des Menschen ist sonst die unumgängliche Folge" (137). Ausgeblendet
werden nämlich: die Erfahrung der Religionen, die „Zweideutigkeit
des menschlichen Lebens als Gabe und Schuld" und die
Verborgenheit Gottes, die sieh im Kreuzestod als Liebe Offenbart und
zu einer neuen Gemeinschaft - die mehr ist als Harmonie oder analo-
gia tidei-erschließt.

„Aufklärung und Offenbarung" kennzeichnet also einen nicht-
lutherischen Typus moderner Theologie, dessen Nachteile kräftig
unterstrichen werden. Weyer-Menkhoff deutet allerdings die lutherische
Gegenposition nur skizzenhaft an. Ob sie wirklich eine befriedigendere
Lösung bietet, müßte noch gezeigt und erwiesen werden.

Es bleiben somit einige Fragen, zu denen das Buch anregt. Sie
betreffen teils die Rilschl-Interpretation. teils die daraus gezogenen
theologiegcschichtlichcn Folgerungen.

Bei der Interpretation ist nicht immer klar, wie Weyer-Menkhoff
das von Ritsehl benutzte Bild von der Ellipse anwendet. Ritsehl verteilte
das Religiöse und das Sittliche am Christentum auf die beiden
Brennpunkte, die dann je für sich unter göttlicher Ursächlichkeit
(Rechtfertigung bzw. Stiftung des Reiches Gottes) und menschlicher
Selbsttätigkeit (Versöhnung bzw. sittliches Handeln) gesehen werden
können. Weyer-Menkhoff vereinfacht jedoch dieses Schema an mehreren
Stellen, indem er die Rechtfertigung direkt auf die sittliche
Tätigkeit im Reich Gottes bezieht.

Zu den Folgerungen gehört eine im Namen lutherischer Theologie
geäußerte Ablehnung des Olfenbarungsbcgrilfs überhaupt. In Christus
wird nicht bekanntgemacht, was Gott schon ewig war. sondern: „Gott
erleidet in Christus die Neubestimmung, so wahr er sie selbst durch
Hingabc vollzieht" (138). Weyer-Menkhotf verwendet hier als Maßstab
die modernste Fassung der Trinitätslehre, bei der Gott geschichtlichen
Veränderungen unterworfen wird. Lutherisch ist dieser Maßstab
auf keinen Fall. Inwieweit er überhaupt sinnvoll ist. bedürfte
einer eigenen Diskussion.

Unabhängig von diesen Fragen ist es jedoch verdienstvoll, daß am
Beispiel Ritschis darüber diskutiert wird, wie der Standort der heutigen
Theologie zu bestimmen ist. Ritsehl ist dabei nicht nur ein zufälliges
Beispiel für Problemlösungen. Vielmehr haben sich die von ihm
vorgezeichneten Strukturen tief in die Theologie des 20. Jahrhunderts
eingegraben.

Oldenburg RolfSchJfer

Kirchen- und Konfessionskunde

Wiltgen, P. Ralph M .: Der Rhein fließt in den Tiber. Eine Geschichte
des Zweiten Vatikanischen Konzils. Aus dem Amerik. von t. Köck.
Feldkireh: Lins 1988.316 S. 8". Kart. ÖS 178.-.

Dieses Buch, von seinem Vf. mit Vorwort vom 18. 5. 1988 erneut
auf den Weggeschickt und seinen „deutschsprachigen Kollegen und
Freunden" gewidmet, enthält die deutsche Übersetzung einer Darstellung
des Konzilsverlaufs, die schon 1967 in New York erschienen ist.
damals mit dem Untertitel "The Unknown Council". Im deutschsprachigen
Raum wurde der Titel bekannt durch Berichte über die
Traditionalisten-Bewegung von Erzbischof M. Lefebvrc. Dieser hatte
sich für seine Behauptung, die Konzilsergebnissc seien durch ein
Ränkespiel des deutschen und französischen Episkopats zustandegekommen
, auf das Buch berufen.

Der Vf.. Angehöriger des Ordens der Steyler Missionare und Journalist
, leitete während des Konzils einen Nachrichtendienst in Rom
und verfügt von daher über hervorragende Detail-Kenntnisse in bezug
auf das - nicht nur vordergründige - Konzilsgeschehcn. Was er hörte
und sah und zu erforschen vermochte, bringt er auf die ebenso anschauliche
wie einprägsame Formel, die er im Titel seines Buches ausspricht
. Damit ist gemeint: Die „Rhein-Gruppe" der Konzilsbischöfe.