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Ausgabe:

1989

Spalte:

831-832

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Forsberg, Juhani

Titel/Untertitel:

Das Abrahamsbild in der Theologie Luthers 1989

Rezensent:

Schulze, Manfred

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 1 1

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zum christlichen Glauben zu eröffnen" (S. 67). Sie nennt die Vatcr-
vorstellung(S. 58), die Übertragung der Begriffe dementia und libera-
litas auf Gott (S. 61 -63) und das implizite Axiom der Erkenntnis von
Gleichem durch Gleiches (S. 67). Zur These wird diese Thematik für
den Hauptteil über Origenes. Zuerst werden von Seneca bis Porphy-
rios die Aussagen über das Gebet vorgestellt und interpretiert, dann
erst wird des Origenes Auslegung dargestellt. Dabei geht es nicht nur
darum, daß Origenes die Gebetsdiskussion seiner paganen Umwelt
kennt und berücksichtigt, sondern auch um das Problem, wie die Aufnahme
nichtchristlicher Philosopheme von Origenes vollzogen wird.
Die Uberschrift lautet: ,,Theologisches Denken und pastorales Bemühen
." Auf die Seite des pastoralen Bemühens von Origenes fallt der
Einsatz „der ihm zu Gebote stehenden Gelehrsamkeit, d. h. unter Einbeziehung
der Ayxvxho- muöiua. um seine Ansprechpartner in einer
für sie verständlichen und somit auch akzeptablen Darlegung zu
einem vertieften Verständnis des christlichen Glaubens zu führen"
(S. 126). Es wird sogar behauptet, daß des Origenes Auslegung keine
innere Systematik besitze, sondern die vorgegebene Gliederung des
Bibeltextes assoziativ mit Antworten auf die Verständnisprobleme
seiner Leser fülle. Die Vfh. will also zeigen, daß Origenes die antike
Bildungstradition bewußt zur Unterweisung heranziehe und daß dies
ein pastorales Anliegen sei (vgl. S. 135). Überzeugend werden viele
Themen entdeckt, die sich mit der antiken Philosophie berühren und
ihre Kenntnis voraussetzen: diese Korrekturan W. Gessel, Die Theologie
des Gebets . . . (1975) war fällig. Daß jedoch die Aufnahme antiker
Philosophie bei Origenes als eine für die Pastoral verfügbare
Masse gewertet werden kann, scheint mir am Text nicht nachgewiesen
worden zu sein. Außerdem entledigt sich die Vfn. mit der Einstufung
in „pastorales Bemühen" zu einfach der Frage, was Origenes am
Bibeltext verstehen will. Denn ganz anders liest sich seine Auslegung,
wenn die exegetischen Probleme des Bibeltextes mitbedacht werden.
Über den Vaterunsertext als solchen wundert sich die Vfn. nicht; deshalb
droht ihre Beschreibung der Auslegung des Origenes unter der
Hand zu einer Normaldogmatik (Gnade, persönlicher Gott. Schöpfer
-Geschöpf, menschliche Mitarbeit) zu werden.

Die Belehrung über die Verflechtungen mit der antiken Philosophie
ist vielfältig. Aber die Fragen, um beides in seinen Voraussetzungen
und Grenzen zu begreifen, gehen nicht tief genug. Nicht untersucht
wird das Problem, ob Gott durch das Gebet beeinflußbar ist oder nur
der Mensch sein wahres Wesen im Gebet zutagetreten läßt: unklar
bleibt auch, ob das Gebet zum Modell des Weges zu Gott wird oder ob
zum Beten als Glaubensweg angeleitet werden soll. Vielleicht ist die
grundlegende Klassifizierung von ,.theologisch-philosophischer Reflexion
" als pastorales Bemühen (vgl. S. 177 und 179) die Ursache für
den Verzicht, die Reflexion selbst mit existentieller Verantwortung zu
behaften und zu ergründen, was Origenes selbst geglaubt hat. Gerade
wegen meiner Fragen betrachte ich den Hauptteil über Origenes und
die philosophischen Gebetstheorien als Ansporn zum Weiterdenken
und danke für die Beunruhigung.

Göttingen Ekkehard Mühlcnberg

Forsberg, Juhani: Das Abrahamsbild in der Theologie Luthers. Pater
Fidei Sanctissimus. Stuttgart: Steiner 1984. XII. 193 S. gr. 8* = Veröffentlichungen
des Instituts für europäische Geschichte Mainz.
Abt. fürabendländ. Religionsgeschichte. 1 17. Lw. DM 58,-.

In der Genesisvorlesung, die sich mit Unterbrechungen über zehn
Jahre hinzog (1535-1545), findet sich die Menge des Materials für
diese Studie über das Abrahambild Luthers. Damit wird man gleich
zu Anfang auf das Problem der Quelle gestoßen, denn diese Vorlesung
entstammt zwar Luthers Munde, aber nicht seiner Feder. In der vorliegenden
Gestalt ist sie das Ergebnis der Redaktion von Nachschriften
. Vom fremden theologischen Gut, das vor allem der erste der drei
Herausgeber. Veit Dietrich, in die Vorlesung hineingetragen haben
mag, läßt sich der Vf. nicht abhalten, diese ausgiebig für die Interpretation
Luthers zu nutzen. Dessen Abrahambild verw ertet er als ..Paradigma
" für eine umfassende Darstellung der Theologie des alten
Reformators. Der Titel läßt eine Spezialuntersuchung erwarten, tatsächlich
abergeht es dem Vf. um eine Gesamtschau.

Der Einleitung folgen vier Hauptkapitel, zunächst zum Gottesbild,
sodann zur Rechtlertigungslehre, zur Ekklesiologie und schließlich zu
Luthers Hagiologie. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse, ein Quellen
- und Literaturverzeichnis, ein Personenregister und ein Register
der behandelten WA-Stellen schließen den Band ab.

Im ersten Kapitel findet der Leser eine beeindruckende Darstellung,
wie Luther ohne dogmatische Ängste und Enge von Gott und von
Gottes Menschlichkeit redet. Von Anfang an war es sein Wille, dem
Menschen menschlich nahezukommen und ihm Lebendigkeit mitzuteilen
. Der lebendige Gott spendet dem Menschen sein Leben, so daß
auch Abraham der Gestorbene nicht einfach dahin ist. Es ist Luthers
Glaubenserfahrung, auf die man in diesem Kapitel stößt, die in die
Proklamation des geschenkten Lebens mitten im Tode mündet:
„Media morte in vita sumus" (S. 40: WA 43. 219.3).

Im Kapitel zur Rechtfertigung legt der Vf. alles Gewicht darauf,
dem Leser die Theologie der effektiven Gerechtmachung als Luthers
eigentliche Lehre zu vermitteln. Daß Gott dem Gerechtfertigten eine
„neue reale Seinswirklichkeit" (S. 65) schaffe, sei der „Kern der Abrahamauslegung
Luthers" (S. 60). Damit ist die These des Vf. angezeigt:
Luther hält sich nicht bei der forensischen Rcchtfcrtigungslehre auf.
sondern betont die Wirklichkeit des neuen gerechten Seins. Die forensische
Dimension der Rechtfertigung ist nur noch dazu gut, um die
„Restsünde" (S. 78) auszugleichen, die der Mensch bis zum Tode
nicht zu überwinden vermag.

Das Kapitel über die Kirche beginnt mit einer treffenden Beobachtung
: Die Geschichte der Genesis ist grundsätzlich schon die
Geschichte der wahren Kirche - von Anfang an im Kampf gegen die
„Schule des Satans" (S. 108). In dieser Vorlesung kommt also Luthers
„dualistische Ekklesiologie" zum Ausdruck. Doch „bricht" er diesen
Dualismus wieder, wenn er die wahre Kirche als „ecclesia mixta"
beschreibt und als „weiteren vereinigenden Zug" auf den „fortwährenden
Austausch" zwischen beiden Kirchen hinweist (S. 1180-

Im letzten Kapitel erfährt der Leser, daß er auch die Angriffe Luthers
auf den Heiligenkult nicht so ernst zu nehmen hat. Der alte
Reformator spreche nämlich den Heiligen eine aktive Mittlerfünktion
zu(S. 165-167).

Das Abrahamparadigma führt nach der Meinung des Vf. in dl*
Weite und Breite der Ökumene: „Luther hat seine Theologie so
gestaltet, daß in ihr solche Engführungen und Zuspitzungen fehlen,
wie er sie gelegentlich in kontroversen und polemischen Situationen
vorgenommen hat" (S. 179).

Bis ins Sprachgewand hinein hat der Stipendiat des Instituts für
Europäische Geschichte ein Ergebnis beigebracht, das in der Tradition
der Mainzer Lutherdeutung steht. Man sucht vergeblich nach
dem Bemühen, zu erkunden, in welcher Weise Rechtsprechung und
Rechtmachung für Luther zusammengehören. Statt dessen schlägt der
Vf. vor, daß man die forensische Rechtfertigungsichre als Restposten
für die Restsünde hinfort vernachlässigen könne. Konsequent darl
man dann die Rechtfertigungsformel so formulieren: „Real seinswirklich
" ein Gerechter und noch ein bißchen Sünder. Ähnlich wird die
Ekklesiologie zurechtgeschlifien. „Vereinigende Züge" müssen die
Schroffheit „brechen", ohne Rücksicht auf Luthers geladene Enderwartung
des bereits angebrochenen apokalyptischen Kampfes um
die Christenheit.

Das Problem dieser Arbeit sind nicht in erster Linie die fragwürdigen
Einzelergebnissc, es sind vielmehr die Vorgaben der Schule über
die Lehrinhalte eines „katholischen" Luther. Es ist verblülTend. daß
im ersten Kapitel zur Gotteslchre, wo solche Vorgaben nicht bestehen
, ein theologisch erregender und herausfordernder „alter" Luther
zutage tritt.

Tübingen Manfred Schulze