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Ausgabe:

1989

Spalte:

828-830

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Clausen, Kurt

Titel/Untertitel:

August Marahrens, Landesbischof in Hannover 1989

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 11

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Straßburg ergänzen das Bild. „Es lassen sich jetzt insgesamt ein Dutzend
frühmittelalterlicher Handschriften nachweisen ... ein nicht
geringer Verbreitungserfolg" (543). Katrin Baaken informiert über
„Verlorene Papst- und Kaiserurkunden für Kloster St. Jakob zu
Pegau" (544-561). Die Übersicht nennt 10 Stücke zwischen 1 192 und
1197, die jenes Kloster im Streit mit dem Bischof von Merseburg
zeigen; dazu nahmen Kaiser Heinrich VI. und Papst Cölestin III. Stellung
. Der Band berichtet über die Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung
sowie über die Germania Sacra. Über 300 Seiten stehen zur
Verfügung für Rezensionen und Selbstanzeigen neuer Bücher
(195-348und562-717).

Rostock Gert Hacndlcr

Kirchengeschichte: Neuzeit

Vinke, Rainer: Jung-Stilling und die Aufklärung. Die polemischen
Schriften Johann Heinrich Jung-Stillings gegen Friedrich Nicolai
(1775/76). Stuttgart: Steiner 1987. V, 382 S. gr. 8° = Veröffentlichungen
des Instituts für europäische Geschichte Mainz, 129.
Abt. fürabendländ. Religionsgeschichte. Lw. DM 89,-.

Diese 1986/87 in Mainz als theologische Dissertation angenommene
Arbeit eines Schülers von Gustav Adolph Benrath ist ein willkommener
Beitrag für die Übergangszeit im letzten Drittel des 18. Jh.:
Übergang der Aufklärung zu Kant, Übergang des Pietismus zur
Erweckung. Der Untertitel bezeichnet zwar den Schwerpunkt der
Arbeit, in Wirklichkeit bietet das Buch aber wesentlich mehr. Es ist
eine kritische Aufarbeitung der gesamten Entwicklung Jung-Stillings
bis 1776, weniger umfassend bis 1803. Der Vf. referiert und kommentiert
alle für sein Thema wichtigen Schriften, meist in großer Ausführlichkeit
und mit vielen Zitaten. Es handelt sich um folgende Schriften
:

1. Jung Stilling: Lebensgeschichte (vor allem 27-136),

2. Nicolais Roman: Das Leben und die Meinungen des
Herrn Magisters Sebaldus Nothanker (136-144),

3. Jung-Stilling: Schleuder eines Hirtenknaben gegen den hohnsprechenden
Philister, den Verfasser des Sebaldus Nothanker
(145-170),

4. Jung-Stilling: Große Panacce widerdie Krankheit des Religionszweifels
(199-222),

5. Engelbert vom Bruck: Anmerkungen über die Schleuder eines
Hirtenknaben (231-235; die Schrift konnte weder in Europa noch
USA gefunden werden; ihr Inhalt wird aus anderen Schriften rekonstruiert
, vgl. 231 Anm. 48),

6. Jung-Stilling: Theodicee des Hirtenknaben und Vertheidigung
der Schleuder des Hirtenknaben (244-280; die 92 Seiten im Original
umfassende Theodicee wird auf 24 Seiten sehr ausführlich dargestellt
!),

7. Engelbert vom Bruck: Abbitte an das einsichtsvolle Publikum
(281-287; hier werden alle Zitate, die bekannt sind, abgedruckt, weil
die Schrift letztmalig 1935 benutzt wurde und nicht mehr aufzufinden
ist, vgl. 282).

Der Leser gewinnt einen unmittelbaren Eindruck dieser Schriften,
ihre Entstehung und Wirkung wird sorgsam aus anderen Schriften und
öfters aus handschriftlichem Material, insbesondere aus dem Stadtarchiv
Krefeld, erhoben. Die Lebensgeschichte Jung-Stillings wird
dabei als laufender Kommentar benutzt. Das letzte Kapitel „Jung-
Stilling und die Aufklärung" enthält keine zusammenfassende Würdigung
, sondern die Weiterführung des Themas bis 1803. Dieses Kapitel
hinterläßt einen etwas verwirrenden Eindruck. Es werden folgende
Themen behandelt: Auseinandersetzung mit Max Geiger (298-323),
Verhältnis zu Kant (316-324), Darstellung von zwei der vier Romane
Jung-Stillings (327-345). zusammenfassende Darstellung seiner religiösen
Entwicklung (345-351), Begründung des Übergangs von der
Professur in Marburg zum Volksschriftsteller in Karlsruhe 1803

(351-357) und Wiedergabe der von Jung-Stilling am Schluß des
5. Teiles seiner Lebensgeschichte mitgeteilten 8 Punkte seiner theologischen
Grundanschauungen (357-362).

Natürlich erschöpft sich die Arbeit nicht in der Darstellung. Die
klare und eingehende, mitunter auch scharfe Auseinandersetzung mit
der Forschung (7-26) spitzt sich auf die Auseinandersetzung mit Max
Geiger (Aufklärung und Erweckung. Beiträge zur Erforschung Johann
Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologic, Zürich 1963)
zu (210- Schließlich wird Geigers Hauptthese, Jung Stilling habe
durch den Einfluß der Wolff-Leibnizschen Philosophie eine große
Erschütterung erlebt, die erst durch die Lektüre Kants überwunden
worden sei, Stück für Stück widerlegt (298-323). Vinke weist nach,
daß sich Geiger hier nur auf spätere Äußerungen Jung-Stillings stützen
kann und die Auseinandersetzung mit Nicolai weitgehend übersieht
. Die Mißlichkeit, spätere autobiographische Äußerungen für
richtig zu halten, ist jedem Historiker klar. Wenn aber historisch klar
datierbare Texte vorliegen, verdienen diese den Vorrang. Daraufbaut
Vinke seine Argumentation mit Recht auf. Andererseits frage ich
mich allerdings, ob die späten Äußerungen Jung-Stillings über die
Überwindung des Determinismus nicht ihren historischen Sitz im
späteren Leben haben. Sie als „unzutreffend" (313) abzutun, ist mir
etwas zu wenig.

Als Gesamtbild Jung-Stillings formuliert Vinke: „Er vertritt einen
weltzugewandten und die Welt gestalten wollenden Pietismus und
stellt ihn als konsequent gegen die Aufklärung gerichtet dar. So
gebührt Jung-Stilling trotz aller Schwäche, die er gelegentlich in seiner
Person und seinem Werk erkennen läßt, das Verdienst, den Pietismus
argumentativ gegen die Aufklärung verteidigt zu haben und damit
einer der Gründer des Neupietismus oder der Erwcckungsbewegung
zu sein. Er tat damit der Theologie und der Kirche den Dienst, die von
der Aufklärung bedrohte Substanz des C hristentums biblisch-rcfor-
matorischer Prägung zu wahren und gleichzeitig als christlicher
Volksschriftstellcr missionarisch zu propagieren." (363; andere
Zusammenfassungen: 251,265).

Vinke vertritt eine konsequente biographisch-historische Arbeitsweise
. In den Details geht er mit höchster Genauigkeit vor. Sie grenzt
an „Beckmesserei", wie er es selbst bezeichnet (290 Anm. 53; der
Vorwurf an Gerbeth, er habe die Quellen nicht sorgfältig zitiert,
erweist sich freilich als unhistorisch: Quellentexte des 18. Jh. wurden
vor 50 Jahren von den meisten Forschern heutiger Schreibweise
angeglichen. Der Sinn des Zitates, das Vinke von Gerbeth anführt, ist
exakt erhalten geblieben.) Den Anschluß an die Philosophie- und
Theologiegeschichte zieht Vinke immer wieder. Ein instruktiver
Exkurs über die Neologie (Anm. 5 auf Seite 171-174) beweist das sehr
schön. In der Darstellungsweise fragt man sich bisweilen, ob nicht
manches hätte kürzer gemacht werden können. Mitunter werden
Zitate im Text in den Fußnoten wiederholt, z. B. 194 und Anm. 128
(hierbei ist der Wortlaut nicht exakt identisch!) Oder: Anm. I I I auf
S. 190 steht bereits oben im Text. Vinkes intensive Darstellungsart
bringt es mit sich, daß wichtige dogmatische Streitpunkte wie Erbsünde
, Praedestination, Selbstliebe, amor purus, Tugend u. v. a. ausführlich
behandelt werden. Insofern wäre neben dem vorhandenen
Personenregister ein Sachregister sehr nützlich gewesen. Fraglich ist
mir, ob die Absatzbildung in Fußnoten mit Zitaten nützlich ist, z. B.
80 Anm. 317, 87f Anm. 364, 131 Anm. 643. 187 Anm. 93-95. 325
Anm. 142,333 Anm. 189, 190, 192, 194. Ein ausführliches Litcratur-
und Quellcnverzeichnis (364-378) und eine Zeittafel (5f) bereichern
das Buch. Das Werk wird in der Erforschung Jung-Stillings und der
beginnenden Erwcckungsbewegung einen wichtigen Platz einnehmen
.

Potsdam Peter Schicketanz

Schmidt-Clausen, Kurt: August Marahrens: Landesbischof in Hannover
. Wirklichkeit und Legende. Hannover: Luth. Verlagshaus

1989.

135 S. kl. 8* = Vorlagen, N. F. 7. Kart. DM 12.80.