Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

773-774

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Brennpunkte in Kirche und Theologie Japans 1989

Rezensent:

Hollenweger, Walter J.

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

773

Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 10

t

774

Asien" (Bd. 9 von A. Pieris). Von den neun Autoren ist der Herausgeber
der einzige Westler, auch er lange in Indien tätig.

Befreiungstheologie gilt als genuin lateinamerikanische kontextu-
elle und postvatikanische Theologie; aber die ökumenische Vereinigung
von Drittc-Welt-Theologen (siehe Dokumente 1976-1983 in
Bd. 4: Herausgefordert durch die Armen) hat sich sehr stark für eine
Verbreitung, wenn nicht der gesamten Befreiungstheologie, so doch
ihres Ansatzes in der ganzen Welt eingesetzt. War denn nicht die
Armut, verursacht durch den Kolonialismus und die ihm folgenden
neo-kolonialen Strukturen, das wichtigste Merkmal und deshalb auch
der gemeinsame Nenner für all die verschiedenen Kontexte in der
Dritten Welt ?

Indische Stimmen haben sich zunächst mit guten Gründen gegen
die Übertragung gewehrt; waren die Unterschiede zu Lateinamerika
doch zu deutlich: die Minderhcitslage der Christen; sie sind nicht
..das Volk", sondern eine in sich noch weiter zersplitterte „Minderheit
" in einer Kultur des Kommunalismus (d. h. des Kastenwesens),
und diese Kultur ist so massiv religiös, daß alle möglichen Widersprüche
in der Gesellschaft sich als religiöse äußern. Vor wenigen
Jahren noch konnte Dehn beklagen, daß die Theologen der Armut in
Indien von ihren Kirchenleitungen eher gehindert werden.

Hier liegt nun ein ernstzunehmender Entwurf eines Weges vor, der
zu einer Bcfreiungstheologic führen will. Er setzt mit einer Analyse
der Situation ein, dann folgt zweitens der Rückgriff auf die Quellen,
während der dritte Teil die Themen indischer Befreiungstheologie
entfaltet.

Die Analyse der Situation (Y. Ambroise) sucht hinter der sichtbaren
Massenarmut die Systeme der Wirtschaft, der Gesellschaft, der
Politik, der Ideologie und der Kultur; skizziert Lösungsansätze: Karitative
, institutioneller Input.,,Partizipation des Volkes". Sie zeigt auf
(W. Fernandos), wie der Widerspruch zwischen reich und arm und
der Protest der Armen seit langem wesentliches Merkma.1 indischer
Geschichte sind.

Der Rückgriff auf die Quellen ist dreifach: S. Painadath sucht im
klassischen Hinduismus den Zentralbcgriff „Mukti" als Entsprechung
für Befreiung auf; T. K. Jahn skizziert Gandhis Praxis als „soziale
Spiritualität"; G. M. Soares-Prabhuu orientiert sich an der befreienden
Pädagogik Jesu von Nazareth.

Der dritte Teil bringt dann Kernprobleme auf den Punkt.
X. Jrudayaraj thematisiert die indische Tendenz zur Innerlichkeit als
falsche Alternative zur Befreiung. S. Kappen entwirrt eine Befreiungstheologie
auf der Grundlage der theandrischen Praxis Jesu.
M. Amaladoss möchte Befreiung als ein „interrcligiöses Projekt"
sehen und bejahen lehren. F. Wilfred behandelt die Frage, wie die
Teilnahme der Kirche am Befreiungsprozeß zu gestalten sei.

Hochrangige Theologen, die sich mit den Tiefen und Vcrschlun-
genheiten der Hindukultur auskennen, sprechen nicht die direkte
Sprache des Volkes; aber sie geben nicht vor, „Vordenker" zu sein,
sondern eine bereits beginnende Praxis zu begleiten, zu ermutigen und
klarer zu machen. Und das leistet die deutsche Ausgabe in vorzüglichem
Ausmaß.

Erlangen Niels-Peter Moritzen

Voshlki, Terazono, u. Hcyo E. Hamer [Hg.]: Brennpunkte in Kirche
und Theologie Japans. Beiträge und Dokumente. Mit einem Geleit-
Wort von T. Sundermcier. Neukirchcn-Vluyn: Ncukirchcner 1988.
XI, 235 S. m. Abb. 8-. Kart. DM 38,-.

Die Christen betragen in Japan 1,3 Prozent der Gesamtbevölkerung
. Sie haben aber durch ihre etwa 100 theologischen Fakultäten,
Seminare und Bibelschulen, ihre 120 Verlage und 329 Zeitschriften
einen weit größeren Einfluß, als dies ihrer Mitglicdcrzahl entsprechen
würde. Im vorliegenden Band werden von einem japanisch-deutschen
Herausgeber- und Mitarbeiterkreis Aufsatze japanischer Theologen

und Dokumente der japanischen Kirchen auf deutsch zugänglich gemacht
. Sie kreisen um die Themen der Heldenverehrung, der Friedensforschung
, des Verhältnisses zu den asiatischen Nachbarstaaten,
zum Buddhismus und vor allem zur wieder erwachenden japanischen
Staatsreligion, der Kaiser-Verehrung.

In seiner kurzen, aber wichtigen Einfuhrung zu der Textsammlung
schreibt Theo Sundermeicr: „Japan und Deutschland haben einen
Krieg angefangen und verloren. Die Kirchen haben nichts getan, um
diesen Krieg zu verhindern. Im Gegenteil, sie haben ihn weithin getragen
. Nach 1945 haben sie diese Schuld bekannt. In beiden Ländern
wurde dieses Schuldbekenntnis durchaus ambivalent rezipiert."

Der Grund für diese Ambivalenz liegt nicht nur im Interesse der
Amerikaner an einer Wiederaufrüstung Japans, sondern vor allem in
der unaufgearbeiteten Geschichte. Schon 1890 verweigerte Uchimura
(der Begründer der Mukyökai) die Verbeugung vor dem Reskript mit
der kaiserlichen Unterschrift. Er wurde als Hochverräter gebrandmarkt
. Es handelte sich um einen Fall von Majestätsbeleidigung.
„Wer im Land Gottes geboren ist und
dieses sein Land Gottes nicht mag,
der soll doch ins Ausland gehen".

So dichtete ein bekannter Dichter. Damit ist aber die Kyödan, die
Vereinigte Christliche Kirche Japans, nicht einverstanden. Im Jahre
1967 veröffentlichte sie ein offizielles Schuldbekenntnis für das Versagen
der japanischen Christen während des Zweiten Weltkrieges.
Dadurch entstand ein Riß in den evangelischen Kirchen. Es wurde
gesagt: Die erste Aufgabe der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums
und nicht die Friedens- und Versöhnungsarbeit. Was aber will
die Kirche nach der Massenvernichtung noch verkündigen?

Hand in Hand mit dem Schuldbekenntnis geht der Versuch, die
japanische Geschichtsschreibung aufzuarbeiten. Das setzt einmal bei
der Sprache und den Soldatenliedern ein: „Wir vertreten den Himmel
und unterwerfen das Unrecht. Unserer Tapferkeit und Treue kommt
nichts gleich." (Lied der Infanterie). Die Gegner des Kaisers sind
Rebellen und wilde Tiere. Die Kirche hat auch erkannt, daß das
Tennö-System (die Kaiser-Verehrung) etwas ist, das in ihnen selber
überwunden werden muß, denn es ist.in ihrem Blut, in ihrer Sprache,
in ihren Genen.

In dieser Arbeit bekommt die Kyödan Hilfe von unerwarteter Seite,
zum Beispiel von der Sekte der Söka-gakkai, von den Buddhisten und
den Baptisten, die sich alle gegen die religiöse Verehrung der Gefallenen
wehren.

Sundermeicr erklärt in seiner Einleitung, warum dieser Band einem
europäischen Theologen unsystematisch vorkommt. Unser Versteckter
Partner, schreibt Sundermeier, ist die Philosophie. Die japanischen
Kirchen leben aber ebenso wie die chinesischen und koreanischen
in einer Kultur, die nicht erkenntnistheoretisch orientiert ist,
sondern kosmologisch und ethisch. Es geht bei ihnen um einen Weg
(Tao), also nicht um ein in unserem Sinne kohärentes System. Unsere
Argumentationsweise von „Sic" et „Non" gilt in Japan als unhöflich.
Es gehört zum guten Ton, möglichst kein Urteil abzugeben. Der
philosophische Begriff der Vernunft wurde im japanischen philosophischen
Wörterbuch erst 1881 neu eingeführt, hat sich aber in der
Alltagssprache nicht durchgesetzt.

Dies ist ein wichtiges Buch. Vom Leser wird Geduld erwartet, denn
er muß sich auf eine fremde Welt einlassen. Die Übersetzung ist gut
verständlich, und die Herausgeber haben durch Anmerkungen und
Literaturangaben viele-Verständnisbarrieren überwunden.

Folgende japanische Autoren haben mitgearbeitet: TSUNODA
Saburö, TSUJI Nobumichi, SEKITA Hiroo, LEE Chong II, SUZUKI
Shözö, NAKAYA Yasuko, YODA Yasuko, TOMURA Masahirö.
NISHIKAWA Shigenori. OHAMA Tetsuya, ARAI Tosch,
MIYOSHI Hiromu, KUMAZAWA Yoshinobu, K1DA Kenichi,
TAKASATO Suzuyo, YAGI Seiichi, KITAMORI Kazoh, TAKI-
ZAWA Katsumi, YASUI Takeshi.

Birmingham Walter J. Hollcnwcger