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Ausgabe:

1989

Spalte:

764-766

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ritter, Werner H.

Titel/Untertitel:

Glaube und Erfahrung im religionspädagogischen Kontext 1989

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 10

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(Nipkow 90) kommt es aber zur Sprache. Das „2. Handlungsfeld:
Lernen (2)" befaßt sich mit „Religionsunterricht/Konfirmandenarbeit
". Seine Ausgangsfrage: „Wie muß ein Religionsunterricht aussehen
, der allen Schülern gerecht wird, der der Aufgabe der Schule
entspricht und der unserer geistigen, kulturellen, politischen und
religiösen Situation gemäß ist?", beantwortet Otto unter Abgrenzung
von der gegenwärtig erneuten „Neigung zum biblisch orientierten
Religionsunterricht" (113) mit der Wiederholung seiner bekannten
Definition: „Religionsunterricht bearbeitet die Wirkungsgeschichte
von Religion und Kirche in der Gesellschaft" (115). In ihrer Verlängerung
sieht er „in einem didaktisch zureichend reflektierten ,Ethik'-
Unterricht" als „Religionsunterricht für alle" „die didaktisch angemessene
Form der Zukunft" (121). In dieser Konzeption nimmt sich
der „Islamische Religionsunterricht an deutschen Schulen" (139ff)
allerdings ziemlich ortlos und sperrig aus. Realistische Einschätzung
der Situation und unkonventionelle Vorschläge enthalten die „Theorieansätze
" der vom herkömmlichen Konfirmandenunterricht schon
durch die Benennung abgehobenen „Konfirmandenarbeit". Zu erwähnen
ist, daß Otto in den „Ausblicken" „altersstufenübergreifend"
für „Erzählungen" eintritt, „in denen es um in der Bibel Gemeintes,
um Konkretionen christlichen Glaubens" geht (136). Wie sie in „Religionsunterricht
" und „Konfirmandenarbeit" zu integrieren sind,
bleibt aber ebenso unklar wie vor allem, was das „in der Bibel Gemeinte
", was „christlicher Glaube" ist.

Das „3. Handlungsfeld: Helfen (1)" befaßt sich mit „Seelsorge/
Beratung". In den „Theorieansätzen" sucht Otto einen Weg zwischen
Thurneysens Ablehnung „aller Tendenzen", „den Inhalt der biblischen
Botschaft mit empirisch-sozialwissenschaftlichen oder kultu-
rdlen Einsichten zu verrechnen oder gar darin aufgehen zu lassen",
der er „bleibendes Recht" zugesteht (152), und dem „Trennungstheorem
" der gleichen „dialektischen Theologie", der „strengen
Differenzierung zwischen Beratungsvorgängen einerseits und der Verkündigung
andererseits" (154f). Während er Psychologie, Psychotherapie
und Beratung eine gewisse Aufmerksamkeit zuwendet, bleibt
der „Inhalt der biblischen Botschaft" unerörtert. Das „4. Handlungsfeld
: Helfen (2)" befaßt sich mit „Sozialgesetzgebung/Diakonie/Ent-
wicklungshilfe". Etwas platt wendet Otto sich hier gegen die
„Methode", „die Klärung von Gegenwartsfragen mehr oder weniger
unmittelbar aus der Exegese einschlägiger neutestamentlicher Stellen
zu deduzieren" (190), und intendiert mit Holl weg „Theorieansätze",
die „biblische Impulse und Grundorientierungen mit systemkritischen
sozialwissenschaftlichen Einsichten zu verbinden" suchen
(191). Das „5. Handlungsfeld" befaßt sich mit dem „Verständigen"
zwischen „Generationen/Ökumene/Männern und Frauen". Diese
aktuelle Aufgabe als praktisch-theologische zu thematisieren ist
ungewöhnlich. Das „6. Handlungsfeld: Reden und Schreiben" befaßt
sich mit „Reden/Sprache/Predigt", dem klassischen Gegenstand
Praktischer Theologie. Otto hat hierzu unter dem Stichwort „Rhetorik
" und Ausweitung des Blickfelds auf „Schreiben" viel Kompetentes
zu sagen. Aber hier kommt auch definitiv zum Vorschein, was
schon die bisherigen „Handlungsfelder" wie ein roter Faden durchzog
: selbst da, wo auch nach Otto „Die Bindung an den biblischen
Text" (256) in besonderer Weise konstitutiv ist, kommt er über vage
Allgemeinplätze nicht hinaus. Der „biblische Text" wird selbst hier
von ihm nicht eigens thematisiert. Sein Satz: „Hier hilft keine Theologie
, sondern allein die Hinwendung zur Sprache und zum Hören"
(260), wird so zur Schutzbehauptung. Er kann die Blöße eines fundamentalen
Defizits dieser Praktischen Theologie nicht zudecken. Das
„7. Handlungsfeld: Deuten" befaßt sich mit „Lebensgeschichte/
Taufe/Trauung". Das Tätigkeitswort „Deuten" und die Einbettung
der „Amtshandlungen" in die „Lebensgeschichte" zeigen Ottos
„Intention" an: „indem die Lebensgeschichte in einen christlichsymbolischen
Deutungshorizont gerückt wird, wird die Diastase
zwischen Biographie einerseits und Glauben oder Verkündigungsinhalt
andererseits prinzipiell aufgehoben" (93). Das „8. Handlungsfeld
: Feiern" befaßt sich mit „Fest/Gottesdienst/Kindergottesdienst
". Ein Leitsatz: „Die neuzeitliche Geschichte des evangelischen
Gottesdienstes ist eine Geschichte nachlassender Beteiligung am
Gottesdienst - bei gleichzeitiger theologischer Stilisierung der zentralen
Bedeutung des Gottesdienstes" (326) faßt prägnant die hier
anvisierte Herausforderung zusammen. Das „9. Handlungsfeld:
Kooperieren" befaßt sich mit „Kommunikativer Praxis/Laien/
Pfarrerinnen und Pfarrer". Otto tritt hier für eine „kommunikative
Gemeindepraxis" ein, in der „Religion, Kirche und Kirchengemeinden
nicht von ihren Amtsträgern her, also nicht klerikal, sondern von
ihren Mitgliedern her, also ,von unten'", verstanden werden (358).
Dem entspricht die Ablehnung eines falschen Amtsverständnisses:
„Pfarrer sind nicht ,Geistliche' im Unterschied zu denen, die keine
.Geistlichen' sind . . . Vielmehr definiert sich die Pfarrcrrolle aufgrund
von Kompetenz und Funktionen" (326).

Daß Otto lediglich „Theorieansätze" in seiner materialen Praktischen
Theologie vorlegt, mag enttäuschen, läßt sich jedoch als
Bescheidung verstehen. Aber auch „Theorieansätzc" können sich ein
fundamentales Defizit nicht leisten. Otto ist es nicht bewußt, weil bei
ihm die „fundamentaltheologische Rolle" der „Religion" von vornherein
die Stelle der „biblischen Botschaft" einnimmt. Was dieser
Rollentausch bewirkt, zeigen die praktisch-theologischen „Handlungsfelder
" immer wieder. Auch Otto möchte der „biblischen Botschaft
" auf seine Weise heute zum Wort verhelfen, vermag sie aber
nicht wirklich zu erreichen. Weil er sie in einen Allgemeinbegriff
„Religion" aufhebt, kommt er über Allgemeinplätze nicht hinaus.
Weil er ihren tatsächlichen Vorgang in den scheinbaren Vorgang eines
in ihr sowie in anderen Religionen und Ideologien induzierten Allgemeinen
verkehrt, wird ihre Kontur diffus. Weil er dem individual-
und sozialanthropologischen Epiphänomcn „Religion" den Schein
der Substanz und ihr den Schein des Epiphänomens zuschreibt, verliert
sie ihre Substanz. In der Praktischen Theologie treten die Folgen
einer der „biblischen Botschaft" unangemessenen fundamentaltheologischen
Weichenstellung unübersehbar an den Tag.

Münster Eberhard Hühner

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Ritter, Werner H.: Glaube und Erfahrung im religionspädagogischen
Kontext. Die Bedeutung von Erfahrung für den christlichen Glauben
im rcligionspädagogischen Verwendungszusammenhang. Eine
grundlegende Studie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1989.
340 S. gr.8° = Arbeiten zur Religionspädagogik, 4. Kart.
DM 88,-.

Der Autor der vorliegenden Studie hat es sich zur Aufgabe gemacht,
angesichts des Hin- und Herpendeins religionspädagogischer Theorie
und Praxis zwischen einem quälenden Relevanzverlust und einem
eher fragwürdigen Identitätsverlust, aber auch angesichts eines bemerkenswerten
Erfahrungsdefizits theologischer Arbeit grundständig neu
nach der Bedeutung von Erfahrung für die Verantwortung des Evangeliums
in derGesellschaft zu fragen. Sein erkenntnisleitendes Interesse ist
es dabei, einsichtig zu machen, „daß und was der christliche Glaube in
wirklichkeitsrelevanter Weise mit Erfahrung zu tun hat".

Der Vf. ist sich bei diesem Vorhaben wohl bewußt, daß der Problemhorizont
, der sich da auftut, außerordentlich komplex ist und
Überlegungen erforderlich erscheinen läßt, die nicht nur den traditionellen
theologischen Disziplinen verpflichtet sein können.

Zweifach ist dann die Zielsetzung dieser Regensburger Habilitationsschrift
: „Es ist zu untersuchen, welche Rolle in Geschichte und
Gegenwart von Religionspädagogik der .Erfahrung' zugekommen ist
und zukommt", und „es ist ein religionspädagogisch relevantes
Erfahrungsverständnis im Umfeld der neuzeitlichen Implikation wie
auch der (gegenwärtigen) wissenschaftlichen und theologischen
Diskussion zu skizzieren bzw. zu entfalten."