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Ausgabe:

1989

Spalte:

762-764

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Otto, Gert

Titel/Untertitel:

Handlungsfelder der praktischen Theologie 1989

Rezensent:

Hübner, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 10

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sionsfbrdernd sind, so sicher ist, daß der Beitrag Schlatters heute
genauso diskussionswürdig ist wie vor mehr als fünfzig Jahren.

Leipzig Ralf Marschner

Spiegel, Egon: Gewaltverzicht. Grundlagen einer biblischen Friedenstheologie
. Kassel: Weber, Zucht & Co. 1987. 279 S. 8°. Kart.
DM 24,80.

Bei der von E. Spiegel vorgelegten Studie handelt es sich um den
b'ibcltheologischen Teil einer bei R. Henning gearbeiteten sozialethisch
orientierten Dissertation zum Thema „Wege in die Gewaltfreiheit
. Materialien - Argumente - Impulse" (Freiburg i. Br.). Vf.
charakterisiert seine Studie selbst als eine Art „Materialsammlung"
bzw. als „.Umfrage' des Sozialethikers bei den auf Exegese spezialisierten
und bibeltheologisch beschlagenen Kollegen" (16). Dies macht
von vornherein klar, daß der Leser nicht neutestamentliche Detailanalysen
und weiterführende Textauslegung, sondern „Zusammenschau
" und bibeltheologische Systematisierung zu erwarten hat.

Vf. ordnet die Aussagen in drei große Gedankenkreise: 1. „Umfang
des Gewaltverzichtes Jesu" (21 -97), 2.., Wurzeln des Gewaltverzichtes
Jesu"(98-217), 3. „Ziel des Gewallverzichtes Jesu" (218-236).

Der erste Teil beschreibt den Umfang des Gewaltverzichtes Jesu
extensiver, als man es vielfach zu lesen gewohnt ist: als Verzicht „auf
das Recht zur Gewalt" ebenso wie auf „die Gewalt des Rechtes", als
Ablehnungjedes „politisch-strukturellen Gcwaltsystems" ebenso wie
auf gewaltsamen revolutionären Zugriff auf die Macht. Vf. sieht die
Intention Jesu dabei auf die Begründung einer basileia-oricnticrten
„Kontrastgcsellschaft" ausgerichtet, in der neue Formen menschlichen
Miteinander^ praktiziert werden. Der zweite Teil sucht den
Gewaltverzicht Jesu generell als theonomes Handeln verständlich zu
machen und ist bemüht, entsprechende Akzente des Gottesbildes Jesu
zu erheben: Jesus ist barmherzig, heilstiftend, mütterlich-zärtlich und
v. a. gcwaltfrei. Gewaltfrciheit ist somit der Imitatio Dei verpflichtet
und Ausdruck der göttlichen Alleinherrschaft. Der dritte Teil sucht
die Basileia-Orientierung als inneres Ziel des Gewaltverzichtes herauszuarbeiten
. Da die Basileia unverfügbar und undefinierbar ist,
kann nur die Gewaltfreiheit als angemessene Form der-Teilhabe
gelten. Sie definiert nicht das Undefinierbare und sucht nicht, in
menschlichen Strukturen über das Unverfügbarc zu verfügen.

Man muß Vf. bescheinigen, daß er mit großer Umsicht den Ansätzen
der Jcsusforschurrg nachgegangen ist und mit beeindruckender
systematischer Kraft thematische Linien in den verschiedenen Traditionen
aufzuspüren weiß. Freilich birgt eine solche systematische
Darstellung immer auch die Gefahr in sich, etwaige traditionsgeschichtliche
Differenzen zu überspielen (die Abhebung der frühen
Gemeinden vom vorösterliehen Jesus!) bzw. das immer auch
■ •sperrige" Traditionsgut durch Zuordnung und Verknüpfung auf eine
bestimmte These hin auszurichten. Fragen bleiben auch hinsichtlich
der Hermeneutik: Können die Verhaltensweisen Jesu so unmittelbar
in den Horizont heutiger Bewertungsmaßstäbe eingeordnet und aufgenommen
werden, wie Vf. dies praktiziert? Ist hier das hermeneu-
tische Gewicht des unterschiedlichen sozio-kulturellen Umfeldes und
der damit verbundenen Differenzen in der Denkweise immer ausreichend
beachtet? Diese Fragen wollen aber nicht den Wert der
Studie herabsetzen. Der Sozialethiker findet in ihr eine zwar deutsch
akzentuierte, aber durchaus zuverlässige Zusammenfassung
der exegetischen Forschung zur Frage des Gewaltverzichtes bei Jesus,
dem Exegcten wird sie helfen, seine Überlegungen am Text auf die
Sozialethik hin offenzuhalten.

Erfurt C laus-Peter März

Hirsch. Eike Christian: Expedition in die Glaubenswelt. 32 Proben auf das
Christentum. München: dtv 1989. 337 S. kl. 8' = dtv Sachbuch 11047. Kart.
°M 14,80.

Schmithals. Walter: Der junge Hultmann (ThR 54. 1989. 203-2'M

Praktische Theologie: Allgemeines

Otto, Gert: Handlungsfelder der Praktischen Theologie. München:
Kaiser 1988. 388 S. 8" = Praktische Theologie, 2. geb. DM 68,-.

Nur zwei Jahre nach der „Grundlegung der Praktischen Theologie"
(ThLZ 112, 1987, 768ff) legt Otto ihre „Handlungsfelder", seine
materiale Praktische Theologie vor. Einleitende „Aspekte" knüpfen
an ihre Definition als „Kritische Theorie religiös vermittelter Praxis
in der Gesellschaft" in der „Grundlegung" an. Bestimmt von „Impulsen
" vor allem Horkheiniers (28ff), geht er unter den Überschriften
„Religion als Horizont von Gesellschaft und Kirche" und „Kirche im
Horizont von Gesellschaft und Religion" jetzt aber ausführlicher auf
das Attribut „religiös" ein. Überschriften und Reihenfolge zeigen ein
Programm an. „Religion als Horizont" bedeutet in Übereinstimmung
mit F. Wagner, den er hier zitiert. Abkehr von der Rcligionskritik der
„dialektischen Theologie", die den „Religionsbegriff aus seiner
fundamcntalthcologischen Rolle entlassen und durch den Offen-
barungsbegriff ersetzt" hat (230. und Hin- bzw. Rückkehr zu ihrer
„fundamentaltheologischen Rolle". Nur im „Anschluß an die Allgemeinheit
und Einheit des Religionsbegriffs" (F. Wagner) ist die relative
Besonderheit „christlicher Religion" zu bestimmen. Mit Bahr
unterscheidet Otto zwei „Formen von Religion". Die erste ist gekennzeichnet
durch „Ursprungsvergewisserung", „Rückversicherung", die
zweite durch das in den „universalen Verheißungen des Christentums
" „verborgene .utopische Potential' (M. Horkheimer)". Ihm.
nicht ihrem Ursprung, der „messianisehen Erinnerung" der Bibel, gilt
Ottos „Vorrangiges Interesse" (28.41). ..Kirche im Horizont von
Gesellschaft und Religion" bedeutet für ihn. dem „kirchenbild-
bestimmten Typus", dem er pauschal unterstellt, in ihm würde die
Kirche als „Subjekt verstanden", das „eine entchristlichte Gesellschaft
im Sinne ihres Objekts zu bearbeiten habe", eine Absage zu erteilen
. „Es ist diese Spur, der ich . . . nicht folgen werde" (60). Statt
dessen orientiert er die Kirche in eine Zielrichtung, in der sie „im Prozeß
der Herausbildung von Civil Religion eine Rolle zu übernehmen
in der Lage" ist. Sie schließt den „Abschied" von „jeglicher theologischer
Theorie einer Trennung zwischen Evangelium und Religion,
zwischen christlichem Glauben und Christentum", von aller
...Missions'-Terminologie" zugunsten dieser ..Zukunftsaufgabe" ein
(41.47). Rothes spekulative „transitorische" Kirche, die Otto schon
früher faszinierte, läßt grüßen. Aus den auf diese Ausrichtung
zentrierten „Aspekten" „ergeben sich" „Linien ... für die Überlegungen
in den folgenden Handlungsfeldern", deren „Erörterung . . .
durchweg an der Gegenwartsproblematik orientiert" ist (61.65).

Naturgemäß machen sie den Hauptteil einer materialen Praktischen
Theologie aus. Die einzelnen ..Handlungsfelder" sind mit
„Tätigkeits"-wörtern. „denen eine anthropologische Grundbedeutung
nicht abzusprechen ist und von denen zugleich evident ist, daß
sie im Zusammenhang von Gesellschaft - Religion - Kirche eine
Rolle spielen" (65), überschrieben. Wie die „Perspektiven" der
„Grundlegung", so sind auch sie analog aufgebaut. Der „Literatur"
folgen „Kommentierte Zugänge: Beispiele". ..Theorieansätze und
Handlungsformen". „Verknüpfungen" und „Ausblicke". Auch in
diesem Aufbau ist das didaktische Konzept von Seminaren zu erkennen
. 1

Das,.l. Handlungsfeld: Lernen (1)" befaßt sich mit „Erwachsenenbildung
/Jugendarbeit". „Theorieansätzc" der „Erwachsenenbildung
" sind zwei Postulate: „Lernen ist hier als entschultes Lernen
zu begreifen" (79), und das didaktische i. e. S., in kirchlicher „Erwachsenenbildung
" gehe es um „lebensweltbezogenc Auseinandersetzung
mit Religion" (84). Sie werden jedoch kaum entfaltet. „Thco-
ricansätze" der „Jugendarbeit" sind die Herausforderung des „Traditionsabbruchs
" (87ff) und das Eintreten für eine ..offene Jugendarbeit
" ohne „Vorbedingungen". Bäumler begründet es „im rechtfertigenden
Handeln Gottes" (910- Nur als dieses Motiv, nicht
als Inhalt mit dem Ziel seiner .Wiederentdeckung' durch die Jugend