Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

759-760

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Franz Overbecks unerledigte Anfragen an das Christentum 1989

Rezensent:

Gerber, Uwe

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

759

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 10

760

war, in bezug auf welche von Kryptocalvinismus zu sprechen aufgrund
der manifesten Kontinuität zur reformierten Tradition sicher
unangebracht wäre. Wie dem auch sei; daß Gollwitzers Buch Bewegung
in erstarrte Konfessionsgrenzen brachte, war nicht nur in der
kirchengeschichtlichen Stunde des Jahres 1937 an der Zeit, sondern
erwies sich für den weiteren Prozeß der innerreformatorischen
Abendmahlsdiskussion, in der Gollwitzer eine wichtige Rolle spielen
sollte, als höchst folgenreich. Betrachtet man diesen Prozeß von
seinem schließlichen Ergebnis her, so wird man, ohne das erzielte
Resultat in Frage stellen zu wollen, nicht übersehen dürfen, auf welch
nicht nur methodisch unterschiedlichen, sondern auch sachlich
differenten Wegen das erstrebte Ziel erreicht wurde. Auch und nicht
zuletzt dafür gibt Gollwitzers Buch einen Beleg; dies sollte zugleich als
ein Hinweis darauf verstanden werden, daß im ökumenischen
Gespräch der Christenheit, welches derzeit glücklicherweise weit über
den Binnenraum der Reformationskirchen hinausreicht, alle Wege,
sofern sie nur mit religiösem Ernst und theologischer Sachkompetenz
beschritten werden, wenn auch nicht unbedingt nach Rom führen, so
doch dem Ziel kirchlicher Einheit näherbringen.

Augsburg Gunther Wcnz

Brändle, Rudolf, u. Ekkehard W. Stegemann [Hg.]: Franz Overbecks
unerledigte Anfragen an das Christentum. München: Kaiser 1988.
237 S., 2 Taf. 8°. Kart. DM 49,-.

Franz Overbecks (1837-1905) theologisch-religiöses Anliegen läßt
sich eigentlich auf einen kurzen Nenner bringen: „daß allein die
urchristliche Hoffnung auf das baldige Ende von Zeit und Geschichte,
auf die Wiederkunft Christi also, eine legitime christliche Identität
stiftet". Vorläufer von A. Schweitzer, seiner konsequent eschato-
logischen Interpretation des Christentums mit der Konsequenz der
„Ehrfurcht vor dem Leben"? Das Christentum ist letztlich gescheitert,
weil die Geschichte seit dem ersten Oster-Christentum weitergeht,
weil das Christentum selbst historisch geworden ist und sich damit
überholt, überlebt hat - das Ende des authentischen Christentums.
Und alle theologischen Bemühungen bis ins letzte Jahrhundert
hinein, das Christentum dem jeweiligen Zeitgeist, zu Overbecks
Zeiten eben der Moderne anzupassen, den Glauben mit dem Wissen
zu vermitteln und sie füreinander schmackhaft und akzeptabel zu
machen, müssen an der Auflösung der usprünglichen Eschatologie in
Geschichte scheitern.

Diesem Problemfeld „Wesen des Christentums und Moderne" war
das interdisziplinäre Basler Overbeck-Symposion von 1987 gewidmet
: Overbecks Anfragen an das Christentum im theologie- und
geistesgeschichtlichen wie im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext,
im allgemein- und lokaihistorischen und schließlich im lebensgeschichtlichen
Zusammenhang zu diskutieren. Den Auftakt bilden
drei Referate zur Situation in Basel, als Overbeck 1870 dort Professor
wurde. - Dann folgen zwei Erörterungen zum Verhältnis von Overbeck
zu Nietzsche, genauer: das Neben- und Gegeneinander eines
bürgerlich-humanistischen Christentums von Strauss, eines Selbst-
findungs-Mythos des Menschen durch den Rückgang in Musik bei
Nietzsche und in Wagners Musik, und schließlich die historische
Erinnerung an das authentische eschatologische Christentum als
Skepsis gegenüber eigener Glaubenseinstellung bei Overbeck. - Der
dritte Themenkreis ist der Reformulierung der Anfragen Overbecks
an das modernisierte Christentum gewidmet. Ist die Rettung der
Theologie ihre radikale Selbstverortung im dreigestaltigen Wort
Gottes als Angriff gegen jegliche Modernisierung (D. Schellong im
Rückgriff auf K Barth)? Ist dies dann aber nicht ein behauptender
Rück-Sprung in die Verewigung der durch das Wort Gottes geschehenden
Eschatologie. deren inkarnatorische, historische Gestalt aber
gerade Overbeck solch große Mühe machte? Bleibt dann Theologie
nicht die „Verräterin" von uns Menschen und unserer Schöpfungswelt
an einen „offenbarungspositivistischen" Gott (wie D. Bonhoeffer

sagte, dem ja gerade an einer nicht-religiösen, nicht-modernistischen
Interpretation des Christentums lag)? H. Ott geht dieser Problematik
anhand der Overbeck-Rezeption bei P. Schütz und K. Barth nach,
indem er auf unsere veränderte Situation des Theologisierens und auf
die Schwierigkeit eines nichtkausalen Zeitverständnisses eingeht mit
dem abschließenden Hinweis auf buddhistisches Denken von Geschichte
und Eschatologie. Eine kluge Meta-Reflexion auf die Beiträge
von Schellong, Ott und Stegemann (der für eine durchgängige
Historisierung des Urchristentums plädiert) bietet N. Peter: Unerledigte
Anfragen und befragte Erledigungen. - Overbecks fachwissenschaftliche
Kompetenz wird von M. Rese im Blick auf das Neue
Testament und R. Brändle im Blick auf Overbecks Studie zum pseudojustinianischen
Brief an Diognet erörtert.

Eines hat dieser Sammelband klar gemacht: Overbecks radikale
Infragestellung jeglicher Modernisierung des Christentums und damit
des Christentums überhaupt fußt auf einer romantisch-visionären,
von ihm nicht hinterfragten Entscheidung von dem „authentischen
Urchristentum". Daß wir diese Frage heute ganz anders sehen können
(müssen), zeigen die unterschiedlichen Beiträge von Ott und Stegemann
oder auch Befreiungs- und feministische Theologien (die sich
z. B. auch der bei Overbeck virulenten Frage des Antijudaismus stellen
). Im Sinne einer solchen Provokation ist der vorliegende Sammelband
mit Gewinn durchzuarbeiten.

Darmstadt Uwe Gerber

Bockmühl, Klaus [Hg.]: Die Aktualität der Theologie Adolf
Schlatters. Gießen-Basel: Brunnen 1988. VI, 118S. 8° = TV 6.
Monographien und Studienbücher, 345. Kart. DM 19,80.

Eine „ständige Aktualität" der Arbeiten Schlatters hatte U. Luck
schon 1961 konstatiert (RGG3 V, Sp. 1420). Dennoch ist es erstaunlich
, daß sich ein wachsendes Interesse an diesem großen oft übersehenen
Theologen unseres Jh. beobachten läßt. Seine Werke werden
wieder aufgelegt (so z. B. seine „Erläuterungen zum Neuen Testament
" als lObändige Taschenbuchausgabe, Stuttgart 1987) und
kritisch reflektiert. Ein Beispiel dafür ist auch der vorliegende Band.

Der erste Beitrag von H. Burkhardt (Kann Theologie Wissenschaft
sein?, 5-33) ist dem Vermächtnis des Systematikers Schlatter gewidmet
. In einem Vergleich der Positionen Kants und Schlatters zur
Wissenschaftlichkeit der Theologie betont er nicht nur, daß es keine
voraussetzungsfreie Wissenschaft geben kann, sondern, im Anschluß
an Schlatter, daß Theologie als „Wissenschaft von Gott" den mit Gott
konfrontierten und von Gott herausgeforderten Menschen zum Ausgangspunkt
habe. Die neuere wissenschaftstheoretische Diskussion ist
dabei nicht im Blickfeld des Vf. Der Artikel von R. Riesner (Adolf
Schlatter und die Geschichte der Judenchristen Jerusalems, 34-70)
versucht, das bleibende Verdienst von Schlatters Schrift „Die Kirche
Jerusalems vom Jahr 70 bis 130" nachzuzeichnen, die den Bestand
einer judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem bis zum

Bar-Koch-.

ba-Aufstand annahm und darin, nach heutigem Erkenntnisstand.
Recht behält. Überraschend war für mich eine von W. Neuer (Die
ökumenische Bedeutung der Theologie Adolf Schlatters, 71-92)
nachgewiesene konfessionsübergreifende Intention in der Biographie
wie auch in den systematischen Schriften Schlatters. Vf. schreibt, dazu
„läßt sich sagen, daß Schlatters Bemühen um eine Vollendung der
Reformation und um eine biblisch begründete Reformationskritik als
beachtlicher Beitrag zu einem fruchtbaren ökumenischen Gespräch
gewürdigt werden muß" (89). Den Abschluß bilden ein Artikel von
K. Boekmühl (Die Wahrnehmung der Geschichte in der Dogmatil
Adolf Schlatters, 93-112), der im Gegensatz zur „Geschichtsfremdheit
der modernen Theologie" Schlatters Geschichtsverständnis
nachzeichnen will, sowie ein Beilrag von W. Bittner (Methodische
Grundentscheide in der exegetischen Arbeit Adolf Schlatters am
Beispiel seiner Schriften zum Johannes-Evangelium, 113-117).
So offen es ist, ob die Beiträge der Autoren in jedem Fall diskus-